Von Mathias Doepfner
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
verehrte Minister und Senatoren, Exzellenzen,
Liebe Friede, lieber Giuseppe, verehrte Damen und Herren.
Herzlich willkommen zum Neujahrsempfang von Axel Springer 2015.
Ihnen ein gutes und frohes Neues Jahr zu wünschen, fällt etwas schwer, denn gut und froh hat dieses Jahr nicht begonnen.
Der Anschlag in Paris, die fast vollständige Auslöschung der Redaktion der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo, die Ermordung von 17 Menschen hat einen ganzen Berufstand, ein zentrales Element unserer westlichen Demokratien attackiert und eingeschüchtert: die Medien, die freie Presse, kurz: die Meinungsfreiheit. Und die entscheidende Frage ist: haben die Terroristen damit Erfolg, hat dieser Anschlag langfristig eine verhaltensverändernde Wirkung auf Journalisten - oder hat er sie nicht?
Wenn er diese Wirkung hat, wird der 7. Januar 2015 als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem der islamistische Terror der westlichen Welt den Schneid abgekauft hat. Als Anfang vom Ende wirklicher Meinungsfreiheit. Als der Beginn eines neuen Appeasement und intellektueller Kapitulation von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten. Wenn der Anschlag diese einschüchternde Wirkung nicht hat, kann er – genau umgekehrt – als ein Tag in die Geschichte eingehen, der unsere Werte gestärkt hat.
Beides ist möglich. Für beides gibt es Indizien. Millionen von Menschen gehen in diesen Tagen rund um die Welt auf die Straße – als Zeichen der Solidarität mit den Opfern und als Geste für das Selbstbewusstsein freier Gesellschaften. Islamische Organisationen haben sich – klar wie nie zuvor – mit extrem deutlichen Worten von dem Attentat distanziert. Gleichzeitig aber gibt es weltweit die ersten Medienorganisationen, TV-Sender und Zeitungen, die beginnen Kompromisse zu machen, die Karikaturen in der Berichterstattung über den Anschlag nicht gezeigt haben oder insgesamt etwas mildere Töne anschlagen – aus Angst vor den Konsequenzen. Die Angst geht um. Die Zeiten des medialen Gratismutes sind vorbei. Jetzt beginnt Mut wieder etwas zu kosten. Im schlimmsten Fall das Leben. Wir stehen an einer schicksalshaften Weggabelung.
Darf man über Glück sprechen vor diesem Hintergrund?
Ich finde ja, jetzt erst Recht – und ich will es versuchen.
Ich muss sagen, mir kommt gerade in diesen Tagen als denkbar schärfster Kontrast zu dem Terror immer wieder als hedonistisch unbeschwerter Glücksmoment unsere Axel Springer-Weihnachtsfeier in Erinnerung. Es war eine ziemlich ausgelassene Party, zum ersten Mal für alle Mitarbeiter des Unternehmens, die in Berlin und Hamburg arbeiten. Es kamen fast 5000 Leute. Es spielten Bands wie „Chic“ und DJs aus Berlin und Detroit. Die letzten Gäste wurden gegen 6:30 Uhr gebeten, nach Hause zu gehen, sonst wäre nach zwölf Stunden noch lange nicht Schluss gewesen. Fest steht: Alle hatten Spaß. Gefeiert wurde ein neues Axel Springer-Gefühl. Und es war – um es klar zu sagen – eine grandiose Sause.
Irgendwann nach dem 4. Bier, der zweiten Bratwurst und während der Zugabe „Good Times“ der legendären Disco-Band „ Chic“ hatte ich blitzartig ein alles überlagerndes Gefühl: Es geht uns verdammt gut. Und ich dachte an meine Mutter, die mir im Alter von sieben Jahren als Reaktion auf meine andauernde Nörgelei einmal sagte: Du sollst jetzt glücklich sein! Sie gab mir daraufhin eine Ohrfeige, so als würde sie ihrer antidepressiven Aufforderung damit Nachdruck und Wirkung verleihen.
In gewisser Weise möchte ich diese Ohrfeige meiner Mutter, oder nennen wir die Ohrfeige lieber einen liebevoll aufrüttelnden Klaps, heute an Sie alle hier weiter reichen.
JA! Es geht uns gut und wir sollten jetzt, gerade jetzt, glücklich sein. Und wir sollten uns überlegen, was wir konkret tun können und müssen, um dieses Glück zu erhalten und zu verteidigen. Denn es ist alles andere als selbstverständlich.
Ich meine mit meinem Glücks-Apell uns alle hier im Raum, uns alle in Europa, uns alle im wohlstandsverwöhnten, demokratieversierten, rechtsstaatszufriedenen, menschenrechtsgepamperten und bis vor ein paar Tagen friedenssatten, sicherheitsgewissen Westen.
Der Westen ist eine Idee und ein Glücksversprechen. Die Idee heißt Freiheit, basierend auf Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten. Und das Glücksversprechen meint das Glück des Einzelnen auf seine ganz individuelle Weise, oder wie die amerikanische Verfassung es formuliert: „The pursuit of happiness“.Von Thomas Jefferson stammt der Satz: “Für das Leben der Menschen und ihr Glück zu sorgen, und nicht es zu zerstören, ist das erste und einzig legitime Ziel einer guten Regierung.”
Und wie glücklich sind die Deutschen? Es geht so. Laut einer global erhobenen Studie, dem sogenannten World Happiness Report, ist Deutschland auf der Skala der glücklichsten und unglücklichsten Länder der Welt auf Rang 26. Die fünf glücklichsten Länder sind übrigens Dänemark, Norwegen, die Schweiz, die Niederlanden und Schweden - alles freiheitliche und reiche Staaten mit demokratischen Strukturen.
Zu den unglücklicheren gehören dagegen Russland, China, die allerunglücklichsten Länder sind einige afrikanische Staaten wie Togo, Benin, Rwanda, Tanzania.
Man sieht zweierlei: Glück und Freiheit hängen zusammen. Das wusste schon Perikles, der meinen persönlichen Lieblingssatz formuliert hat: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“
Die zweite Erkenntnis lautet: Wir Deutschen jammern – wie gewohnt – auf hohem Niveau.
Während wir über die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Frauenquote in börsennotierten Aktiengesellschaften streiten, leben in Ägypten 91 Prozent der Frauen mit zwangsverstümmelten Genitalien. Und kaum einer bei uns regt sich auf.
Während bei uns Alarmstimmung herrscht und Zeitungen Sonderseiten und TV-Anstalten Sondersendungen bringen, weil 17 000 Menschen in Dresden als sogenannte „Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes“ protestieren (und ein paar Wochen später mehr als doppelt soviele für Weltoffenheit und Toleranz), leben auf der Krim Millionen von Menschen unter einer zwangsweisen, völkerrechtswidrigen Annexion von Teilen der Ukraine – und der SPD-Politiker Matthias Platzeck findet, man müsse diese militärische Landnahme „nachträglich völkerrechtlich regeln, so dass sie für alle hinnehmbar ist.“
Während Deutschland über die Rente ab 63 sinniert, werden Schwule in einigen arabischen Ländern gefoltert und exekutiert, weil Homosexualität mit der Todesstrafe geahndet wird.
Während wir über Mautgebühren streiten, dringt das Hackerteam „Guardians of Peace“ in die Sony-Server ein, entwendet Daten, Verträge, Gehaltsabrechnungen, private Korrespondenz. Und am Ende der nordkoreanischen Erpressung wird der Film The Interview vorsichtshalber nicht in den großen Kinoketten nicht gezeigt.
Während bei uns über den Mindestlohn debattiert wird, werden bei einem Taliban-Attentat in Peshawar 132 Kinder ermordet, die Terrororgansiation Boko Haram tötet in Nigeria jeden, der gegen die Errichtung ihres Kalifats ist – wohl 2000 Menschen allein in den letzten Wochen – und die ISIS schneidet seit Monaten in medienwirksam inszenierten TV-Exekutionen Journalisten aus der westlichen Welt den Hals durch wie geschächteten Schafen.
Während bei uns die Republik bebte, weil Rainer Brüderle einer Journalistin angeblich zu tief in den Ausschnitt geguckt hat, wurden in China – dem Land mit den meisten Todesurteilen der Welt – im vergangenen Jahr laut Amnesty International Tausende hingerichtet, einfach nur weil sie anderer Meinung sind als die Regierung.
In diesem Zusammenhang: Warum ist es eigentlich kein Skandal dass einer der beliebtesten Deutschen, der auch von mir geschätzte Zeit-Herausgeber und Ex-Kanzler Helmut Schmidt, heute noch und immer wieder das Massaker am Tian’anmen-Platz verteidigt (Seiner Meinung nach hätten sich die chinesischen Soldaten auf dem „Tiananmen“-Platz lediglich zur Wehr gesetzt. „Sie haben zunächst ausgehalten, aber sie wurden mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen und haben sich gewehrt – mit den Waffen, die sie hatten“.)
Und warum nimmt niemand daran Anstoß dass Schmidt generell findet dass westliche Politiker „Abstand davon nehmen sollten, [...] der Pekinger Führung Belehrungen in Menschenrechtsfragen zu erteilen“ und dass „Menschenrechte nur ein Erzeugnis unseres Kulturkreises sind, die es sonst weder in der Bibel, noch im Islam und in Fernost gibt“.
Er kann das ja sagen. Aber warum stört es niemanden?
Bei uns haben derzeit die Russlandversteher, Islamismusrelativierer und Chinaverherrlicher Konjunktur und diskreditieren immer unverholener und unwidersprochener den Rechtsstaat und die Menschenrechte.
Über was regen wir uns eigentlich auf? Was für Prioritäten haben wir, vor allem wir Journalisten, auch wir bei Axel Springer?
Und mitten in unsere selbstzufriedene Gemütlichkeit platzt der Schock über den Anschlag auf Charlie Hebdo. Warum eigentlich die Überraschung? Warum haben wir ernsthaft geglaubt, dass Europa von diesen antidemokratischen Bedrohungen verschont bleiben würde, dass das eine Angelegenheit der Amerikaner oder der Israelis wäre? Wenn man genau hinschaut ist Paris keine Überraschung, sondern voraussichtlich nur der Anfang der Eskalation eines Kulturkampfes und Religionskrieges, der seit langem läuft.
Geben wir auf, bevor wir es versucht haben oder sind wir bereit mit unseren Mitteln, also mit allen rechtsstaatlichen, demokratischen Mitteln zu kämpfen? Zum Kampf des Westens muss immer gehören: Gelassenheit, Weltoffenheit und Toleranz. Aber auch die Überzeugung, dass wir für etwas stehen, das zu verteidigen sich lohnt. Wer jetzt den Herausforderungen mit einer Radikalisierung unserer Gesellschaft, mit Xenophobie und Verschwörungstheorien begegnet, der Tritt die Werte für die wir stehen mit Füßen. Aber genauso wie Gelassenheit gehört auch Entschiedenheit dazu.
Der Historiker Heinrich August Winkler hat es auf den Punkt gebracht: “Gäbe der Westen die Idee der Universalität der Menschenrechte auf, er würde sich selbst aufgeben.“ Das aber bedeutet Engagement und Mut, nicht nur vor der eigenen Haustür. Immer wieder auf diesem Neujahrsempfang habe ich über die Situation im Nahen Osten gesprochen und betont, dass die Lage Israels uns alle angeht und Israels Sicherheit in unserem eigenen vitalen Interesse ist.
Viele dachten: der Mann phantasiert. Nun müssen wir feststellen: Die Terroristen von Paris verfolgten die gleiche Agenda wie die Attentäter, die in Jerusalem Busse oder in Tel Aviv Nachtclubs in die Luft sprengen. Islamistische Fanatiker sind nicht nur Antisemiten, sie sind die Feinde der freien Gesellschaften, sie organisieren die Abschaffung unserer Werte und unseres Lebensstils.
In Israel ist das seit Jahren grausame Realität. Jeder, der einmal in Tel Aviv in einem Café gesessen hat, kennt die verunsicherten Blicke, die nagende Angst, wenn vor einem Straßencafé ein Lastwagen parkt. Könnte darin jetzt eine Bombe sein, die gleich explodiert? Diese Angst ist seit dem 7. Januar auch in Europa eingezogen. Könnte dieser Besucher am Eingang da unten mit dem großen Rucksack vielleicht ein Terrorist sein, der diesen Empfang sprengen will? Wir sollten uns von dieser Angst nicht beherrschen lassen, und wir sollten durch diese Angst nicht unseren Lebensstil verändern lassen. Denn genau das ist es, was die Fanatiker wollen.
Stattdessen gilt: Glück verpflichtet. Nicht nur Eigentum verpflichtet, sondern auch und mehr noch: Glück. Unser Glück verpflichtet uns.
Keine Frage: wir erleben in diesen Tagen das Ende der Spaßgesellschaft. Unser Leben wird von einem neuen Ernst geprägt sein. Denn Mut hat wieder einen Preis. Und das muss keineswegs schlecht sein.
Es kann zu besserem Journalismus, zu besserer Politik und zu besserer Kunst führen. Und mehr noch: es kann uns – im ernsthaften Kampf um den richtigen Weg, in der bewussteren Wahrnehmung unserer Privilegien - sogar glücklicher machen.
Mein Wunsch für 2015 ist, dass unser Glück in Freiheit uns alle vor allem zu einem verpflichtet: uns niemals einschüchtern zu lassen.
Dazu kann jeder von uns beitragen. Jeder an seinem Platz. Deshalb bitte ich Sie: Trinken Sie jetzt genüsslich und glücklich Ihren Neujahrs-Sekt, vielleicht sogar einen zu viel, lassen Sie sich die Lachsschnitten schmecken. So wie ich das Bier und die Bockwurst bei der Weihnachtsfeier und die Trüffelspaghetti zu Sylvester genossen habe. Aber lassen Sie uns solche Momente als Ansporn empfinden, gegen diejenigen zu kämpfen, die Genuss als gottlos und Spaß als dekadent empfinden.
In diesem Zusammenhang noch eine letzte Bitte: Lachen Sie! Das sind Sie den ermordeten Mitarbeitern von Charlie Hebdo schuldig. Diktatoren und Fanatiker haben keinen Humor. Es ist kein Zufall dass immer wieder CARTOONS und KOMÖDIEN den Unmut der Diktatoren und Nichtdemokraten wecken. Schon im frühen Mittelalter wurde im Christentum das Lachen verboten. Lachen ist antiautoritär. Lachen ist Freiheit. Freie Menschen lachen – und sind glücklich. Und denken Sie daran: dieses Glück steht allen zu – nicht nur denen, die zufällig Glück hatten.
Ich wünsche Ihnen ein in diesem Sinne besonders glückliches Neues Jahr.