René Zeyer, Gastautor / 16.08.2019 / 06:25 / Foto: Pixabay / 57 / Seite ausdrucken

Ciao, Euro? Die deutsche Schräglage

Vor und nach der Lateinischen Münzunion hat etwas weder in Europa noch sonst wo auf der Welt jemals funktioniert: eine Währungsunion ohne gemeinsame Fiskal- und Finanzpolitik. Deshalb war der Euro von Anfang an eine Fehlgeburt. Politisches Wunschdenken setzte sich gegen ökonomischen Sachverstand durch. Die deutsche Einheit für die Aufgabe der D-Mark. Das Hineinpressen von völlig verschiedenen Volkswirtschaften in eine gemeinsame Währung.

Deutschland begann wie wild zu exportieren, schoss aber gleichzeitig das Geld vor, das zum Kauf seiner Waren ausgegeben wurde. Griechenland wurde vorgeworfen, sich in den Euro geschummelt zu haben. Das ist zwar richtig, aber der erste Staat, der die Aufnahmekriterien nicht erfüllte und aus politischen Gründen dennoch den Euro bekam, war – Italien.

Die dysfunktionale EU, die Fehlkonstruktion Euro lässt sich an den Namen von vier Orten festmachen. Schengen, der Wegfall von Grenzkontrollen zwischen den Teilnehmerstaaten und die angeblich gemeinsame Verantwortung für die Außengrenzen: ein Desaster. Dublin, das Übereinkommen zur Regelung des Asylwesens: eine Katastrophe. Maastricht, der Vertrag, in dem eine Defizitquote unter drei Prozent und ein Schuldenstand unter 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Euro-Staaten vereinbart wurde: Makulatur. Genau wie die No-Bail-Out-Klausel, die die Haftung der Europäischen Union für Verbindlichkeiten einzelner Mitglieder ausdrücklich ausschließt: zu Konfetti verarbeitet.

Und als Sahnehäubchen noch der Vertrag von Lissabon. Realersatz für die von den Holländern und Franzosen abgelehnte EU-Verfassung. Und der Anfang der demokratiefeindlichen Methode, Völker so oft abstimmen zu lassen, bis sie endlich für das Richtige votierten. Aber solche Demokratiedefizite fallen in einer EU nicht weiter auf, in der die neue Kommissionspräsidentin zu diesem Posten kommt, obwohl sie gar nicht kandidierte. Und in der Gruppen und Räte bestimmen, die dazu keinerlei demokratische Legitimierung haben. In der Troikas zu unbootmäßigen Staaten entsandt werden. In dem einem griechischen Ministerpräsidenten, der sein Volk über drakonische Sparmaßnahmen abstimmen lassen wollte, so ein Unsinn schnell ausgeredet wurde.

Was können wir denn für Euch Gutes tun?

Mit dem wirtschaftlichen Zwerg Griechenland und dem Floh Zypern konnte man so umspringen. Jede Gegenwehr gegen das völlig sinnlose Verrösten von Abermilliarden Nothilfen, verbunden mit einem jahrelangen Leiden der Bevölkerung, wurde niedergebügelt. Aber Italien ist die drittgrösste Wirtschaftsmacht in der Eurozone. Mit der können Deutschland und Frankreich nicht schlittenfahren.

Italien hat sich noch nie groß um Haushaltsdisziplin oder die Einhaltung von Vorschriften aus Brüssel gekümmert, noch viel weniger um vermeintlich gute Ratschläge. Die Staatsverschuldung ist in den letzten zehn Jahren, also nach der Finanzkrise eins, um 70 Prozent gestiegen und liegt bei über 130 Prozent des BIP. Nur Japan und Griechenland schlagen hier Italien. Allerdings sind das in absoluten Zahlen bei Italien 2,3 Billionen, bei Griechenland bloss 340 Milliarden. Aber was soll’s, die durchschnittliche Staatsverschuldung in der Euro-Zone liegt bei 85,9 Prozent, auch Musterknabe und Zuchtmeister Deutschland reißt die Maastricht-Latte mit 61 Prozent.

Aber das sind alles Schönwetterprobleme im Vergleich zu zwei einfachen Zahlen: Eine Billion und knapp eine halbe Billion. Diese beiden Zahlen sollten eigentlich bewirken, dass die deutsche Regierung bei Matteo Salvini und bei allen italienischen Politikern, die möglicherweise etwas mit der nächsten Regierung zu tun haben, vorstellig wird und fürsorglich fragt: Was können wir denn für Euch Gutes tun? Alleine diese beiden Zahlen reichen aus, damit jeder italienische Politiker nur grinsend eine unfeine Handbewegung macht, wenn aus Brüssel, Berlin oder Paris Ermahnungen kommen, dass man sich in Italien doch mal am Riemen reißen solle.

Diese zwei Zahlen stehen für die Target2-Salden Deutschlands und Italiens. Target2 ist eine Art Ausgleichssystem zwischen den immer noch existierenden nationalen Notenbanken. Deutschland ist hier Gläubiger von einer runden Billion. Und Italien ein Schuldner einer runden halben Billion. Und wie jeder weiß: Bei solchen Beträgen sitzt nicht der Gläubiger, sondern der Schuldner am längeren Hebel. Der Gläubiger wird sich hüten, dem Schuldner zu sehr zuzusetzen, sich im Gegenteil angelegentlich um sein Wohlergehen kümmern.

Mit einem Satz: Die Euro-Krise ist zurück

Denn wenn Italien aus dem Euro austreten sollte – und nicht nur Salvini kokettiert damit schon seit langer Zeit –, dann müsste dieser Saldo glattgestellt werden. Also Italien kehrt wieder zur Lira zurück und legt vorher noch schnell 500 Milliarden Euro auf den Tisch. Selten so gelacht.

Die nächste Regierungskrise in Italien, der Wiederanstieg des Spread, also Italien muss schon heute für Staatsschuldpapiere 1,7 Prozent Zins zahlen, während jeder, der deutsche Bundesschatzbriefe will, dafür noch 0,6 Prozent drauflegt, also Geld dafür zahlt, dass er Geld verleiht: Damit liegt der Spread also bei 2,3 Prozent, und das ist im gleichen Währungskorsett verdammt viel. Bei dem Volumen der italienischen Staatsschulden fehlt nicht mehr allzu viel, dass sich die nächste Regierung ernsthaft überlegen muss, ob sie unter dem Schuldendienst zusammenbrechen will – oder einen radikalen Schnitt machen. Mit einem Satz: Die Euro-Krise ist zurück. Eigentlich war sie auch nie wirklich fort.

Was passiert, wenn man sich zwar unfreiwillig, aber immerhin den Rettungsbemühungen der EU unterwirft, dafür bietet Griechenland ja genügend Anschauungsunterricht. Mehr als 200 Milliarden sinnlos verpulvert, einer ganzen Generation die Zukunft gestohlen, jahrelanges Leiden der Bevölkerung, und am schlimmsten: Es ist keine Besserung in Sicht. Griechenland käme aus dem Elend nur heraus, wenn es wieder mal Staatsbankrott erklären würde und einen Neustart mit eigener Währung versuchte.

Davon ist Italien noch etwas entfernt. Aber wenn die Eurokraten in leichter Verkennung der wahren Verhältnisse auch bei Italien versuchen, das Land mit ungebetenen Ratschlägen oder gar Strafverfahren wegen den ewigen Luftnummern bei den Schätzungen von Staatseinnahmen zu kujonieren, dann könnte aus Kokettieren und leisem Drohen schnell ernst werden: Nach dem Brexit wäre dann vor dem Italexit. Dem sich vielleicht auch noch ein paar andere Länder anschließen würden. Und das wäre dann der Exitus des Euro.

„Die Frau, die den Euro zerstört hat“

Beim Brexit geht es um vergleichsweise wenige Milliarden, die Grossbritannien sozusagen als Austrittsgebühr noch zahlen soll. Bei Italien wären es alleine bei Target2 schon mal rund 500 Milliarden. Die Deutschland wohl unter "ciao, ragazzi" abbuchen müsste. Ist also in Deutschland entsprechendes Problembewusstsein vorhanden? Nun, wenn der "Spiegel" mal wieder die Meinung der Regierung widerspiegelt, eher nicht. Denn der will in seinem aktuellen Artikel über den "Mann, der den Euro zerstören könnte", als Schlusspointe beobachtet haben, dass in Lega-Kreisen das Buch eines Ökonomen herumgereicht werde, das den Titel trägt: "Der Untergang des Euro. Wie und warum das Ende der Währungsunion die Demokratie und den Wohlstand in Europa retten würde."

Mit einer Arroganz, mit der sich der hässliche Deutsche überall sofort unbeliebt macht, schließt der "Spiegel": "Für die meisten anderen Ökonomen klingt das zwar ziemlich unsinnig. Aber der Unsinn hat sich in der Politik zuletzt ja häufiger durchgesetzt."

Da gehört mal wieder auf einen groben Klotz ein grober Keil: Ich bezweifle doch stark, dass das für viele Ökonomen unsinnig klingt. Ganz im Gegenteil. Und Unsinn hat sich im "Spiegel" zuletzt häufiger durchgesetzt, aber leider nicht die entsprechende Fehlerkultur oder etwas Demut statt Rechthaberei. Wenn wir schon dabei sind: Nichts gegen knackige Titel in der Tradition des Warnrufs "Das Ende der Welt" nach dem Wahlsieg Donald Trumps. Aber Salvini mag ja vieles sein, doch den Euro zerstören, das könnte er schon deswegen nicht, weil ihm diese Arbeit andere abgenommen haben.

In erster Linie die deutsche Regierung. Indem sie darauf bestand, dass bei einer der vielen Griechenland-Rettungen zusätzlich noch Privatanleger rasiert werden, also zwangsweise einen Schuldenschnitt hinnehmen mussten. Staatliche Gläubiger aber nicht. Für eine solche Gläubigerbevorzugung kommt man normalerweise in den Knast. Hierzulande bleibt man einfach im Kanzleramt. Als Chefin einer Regierung, die sich um den komatösen Zustand des Euros wahrlich große Verdienste erworben hat. Aber einen Titel wie "Die Frau, die den Euro zerstört hat", den würde man im "Spiegel" nicht mal lesen, wenn ihn Relotius vorschlagen würde.

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Dennis Decker / 16.08.2019

““Die Frau, die den Euro zerstört hat”, den würde man im “Spiegel” nicht mal lesen, wenn ihn Relotius vorschlagen würde.” Eine misslungene Pointe.  Nach dem Naturgesetz “Worte schaffen Wirklichkeit” sollte frau (man) nicht über Relotius lästern. Viele Gläubige werden hier Verunglimpft.

Anders Dairie / 16.08.2019

Lieber Herr ZEYER, ich glaube SIE haben nicht aufgepasst:  Auch ITALIEN und GRE haben sich mit falschen Finanzangaben über das gar nicht zu realisierende Maastricht-Kriterium (von höchsten 3 % Neuverschuldung pro Jahr) in die Euro-Währungsunion hinein=betrogen.  Warum wohl ?  Antwort: Weil sie immer in der Abwertung begriffene Währungen hatten.  Warum hatten sie die ?  Weil ihre Volkswirtschaften (und damit das Volk) auf Pump lebten:  Weniger produzieren als verbrauchen, geht eigentlich auf Dauer gar nicht !  In beiden Staaten hoffte die Führung—sich mit der EU im Rücken als Bürge —riesen Schulden zu niedrigeren Bankzinsen machen zu können.  Nach 1999 ging das los.  GRE hatte schon 2012 über 400 Mrd. Euro Staatsschulden. Prof. SINN riet der Regierung, GRE Pleite gehen zu lassen.  Das erschient Schäuble und Co.  zu risikoreich,  er fürchtet die Folgen des Zusammenbruch (systemrelevanter)  Gläubigerbanken.  Das sind die weit über 1.000 Privat-Banken, bei denen sich Schuldnerstaaten ihr Bares ( auch ) holten und holen.  Das hat nun die EZB mittel Anleihekauf übernommen.  Target-2 ist noch ein weiteres System, um Waren für Lau zu bekommen,  die Bezahlung aber von der Bundesbank machen zu lassen.  Was so verrückt wie genial ist,  dass Private kaum darauf kämen.  Nämlich Deutschland zahlt seine Exporte mittels der Bundesbank selbst, damit schwache Kunden Bestellungen tätigen.  Damit die deutsche Wirtschaft läuft und Arbeitsplatz-Rekorde zu melden sind.  Vor 5-6 Jahren wussten viele Politiker von Target-2 gar nichts, unglaublich !  Das System funktioniert nur zu Lasten der Deutschen, die zu Hunderttausenden - unbezahlt - ihre Lebenszeit irre malochend für Dritte opfern.

Gundela Casciato / 16.08.2019

Danke dem Autor für diese klugen Worte. Salvini hat den Weg für die Parallelwährung Mini-bots bereits freigemacht. Die EU hat keinerlei Macht die Italiener zur Haushaltsdisziplin zu zwingen. Salvini wird der nächste Ministerpräsident Italiens auch wenn die EU derzeit versucht wiederum eine ihr geneigte “technische Regierung” einzusetzen. Salvini hat der Masse der Italiener die Augen geöffnet…und diese will nicht mehr “weiter so”. Er füllt die Plätze in jedem Ort, in dem er auftaucht. Niemand wird diesen Mann auf lange Sicht stoppen, es sei denn durch die finale Lösung, den Tod. Er wird es schaffen die EU zu sprengen, denn er ist einzig “seinen Kindern Rechenschaft schuldig” wie er selbst sagt. Jemand, der aus diesem Motiv handelt, kann man nicht kaufen, nicht erpressen, nicht einschüchtern….AVANTI CAPITANO.

Andreas Rühl / 16.08.2019

Ehrlich gesagt, ich weiß zu wenig ueber Geld, um wirklich mitreden zu koennen. Was ich aber weiß, ist, dass die diversen geldtheorien das sind, was sie sind, Theorien nämlich. Ein Blick zurueck in die diversen experimente mit waehrungen beweist nur, dass alle Propheten mindestens einmal voellig falsch lagen. Als grossbritannien zum goldstandart zurückkehrte, gab es nicht wenige Experten, die dazu geraten hatten. Es war ein Fiasko fuer den Pfund und die Wirtschaft. Mehr Beispiele zu finden, ist nicht schwer. Deflation, so die herrschende Meinung seit ewigkeiten, ist der Tod der Wirtschaft und versenkt sie in ein jammertal ohne Wiederkehr. Japan hat seit ueber 10 Jahren Deflation. Auch die Theorien ueber Staatsverschuldung scheinen nicht immer und ueberall und jederzeit zu stimmen. Und so weiter. Daher waere ich mit der Verkündung prophetische weissagungen vorsichtig. Wir wissen heute, dass Kassandra durchaus den Untergang troyas nicht nur vorhersagen, sondern verursachen kann. Geld ist nur eines. Die Hoffnung, die darin steckt. Diese zerstören, heisst Geld zu vernichten. Von daher ist mir dieses untergangsgeschwaetz zuwider, der eurofatalismus erinnert mich allzu sehr an die klimahysterie.

HaJo Wolf / 16.08.2019

Selten hat mir ein Artikel zum Thema Euro so 100%ig aus der Seele gesprochen!

Johannes Schuster / 16.08.2019

UvdL sie wird das Gesicht des deutschen Hochmuts beim Versagen werden, die Gynäkologin und Möchtegernökonomin aus dem Bereich der Fleißbegabten. Der Untergang wird deutsch sein, er wird geschrieben sein wie die Edda. Und wenn alle in einer Serie aussteigen und Target2 nicht zahlen ist Deutschland der Senegal und hat auch schon das entsprechende Volk bei sich. Den deutschen Handwerker, dieses Akkuschrauber - Arroganz allerdings am Boden zu sehen, wird eine gewisse Genugtuung bergen.

Dr. Roland Stiehler / 16.08.2019

Und ich vermute stark, dass die Globalisten der Regierungen der EU sich in eine sozialistische EU-Diktatur retten wollen. Es gibt schon zu viele offensichtliche Anzeichen dafür leider.

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