Championsleague-Abbruch: Spielte Erdogan mit?

Dienstagabend der Hammer: Spielabbruch in der Königsklasse, beim Fußball-Championsleague-Spiel Paris Saint Germain (PSG) gegen Besaksehir Istanbul. Grund: Verdacht auf Rassismus im Stadion. Ein böser Verdacht. Fußball-Europa hat für heute sein Thema. Mal wieder.

Und doch beschleicht mich der noch bösere Verdacht, dass es vor allem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war, der den Skandal erst auf die Spitze trieb. Indem er, so vermute ich, die Mannschaft seines Leib- und Magenvereins Besaksehir schlicht und einfach anwies, nach der erfolgten Spielunterbrechung nicht mehr auf den Platz zurückzukehren. Um sich selbst und seine Fußballer als härteste Kämpfer vor dem Herrn gegen jeden Rassismus, als Rächer aller Minderheiten auf der Welt hinzustellen. Ausgerechnet Erdogan. Was war geschehen?

In Minute 13 des Spiels begeht ein PSG-Spieler ein Foul an einem Istanbul-Kicker, woraufhin der Besaksehir-Betreuer Pierre Webo (geboren in Kamerun) so wüste Beschimpfungen ausstößt, dass er die Rote Karte erhält und auf die Tribüne geschickt wird. Darauf aufmerksam gemacht worden war der Hauptschiedsrichter von einem Assistenten, der – um dem Schiri in Eile und Hektik klarzustellen, wer überhaupt der „Täter“ war – Webo als „der Schwarze“ bezeichnete, zu hören auch im Stadion und im Fernsehen, wie mir ein bekannter Rumäne bestätigte. Alle Unparteiischen kamen aus Rumänien. In deren Sprache, einer romanischen, ist der Begriff „Schwarzer“ (Negru) nicht weit entfernt vom berüchtigten N-Wort in derselben Sprache. Die Spieler beider Mannschaften hörten auf zu spielen, verließen das Feld, weigerten sich erst mal weiterzuarbeiten. Nach eineinhalb Stunden war klar: Das Spiel wird am Abend nicht mehr angepfiffen.

Man hätte nach zwanzig Minuten wieder anpfeifen können

Dabei konnte der Sachverhalt (Negru / N-Wort), so sieht es aus, schnell geklärt war, was an der Reaktion des Istanbuler Stürmers und Zeugen Demba Ba abzulesen ist: „Wenn du einen Weißen erwähnst, sagst du ja auch nicht ,Der Weiße da‘!“ Damit hat er recht, vor allem aber deshalb, weil das in einer hauptsächlich weißen Gesellschaft keinen Erkenntnisgewinn bringen würde. Bei einem Weißen in einer Mannschaft von sonst nur Schwarzen wäre das allerdings anders. Aber darum geht es nicht, sondern um die Frage: Wie schlimm ist das?

Das N-Wort ist offenbar nicht gefallen. Ja, Schwarze sind von „der Schwarze“ etwas anders betroffen (darf ich hier jetzt überhaupt 'Schwarze' sagen?) als ein Weißer vom Begriff „der Weiße“, und man hätte den 4. Schiedsrichter darauf aufmerksam machen sollen, dass er sich sensibler hätte verhalten können. Und: Man hätte spätestens nach zwanzig Minuten wieder anpfeifen können. Es ist zu begrüßen, dass besonders im Fußball und in dessen Milieu scharf gegen Rassismus vorgegangen wird. Und es ist wahr, dass Fußballer in ihrem ganz speziellen Milieu genervt sind von Dauerrassismus, und die Betroffenen („die Schwarzen“?) vieles anders hören als unbeteiligte Weiße.

Recep Tayyip, komm, gib es zu 

Aber das, was gestern in Paris passierte bis hin zum tatsächlichen Spielabbruch, steht in keinem Verhältnis zu anderen Skandalen, bei denen tatsächlich das N-Wort durchs Stadion hallte, bei denen Bananen flogen, Affengeräusche nachgeahmt wurden oder saudumme Spruchbänder nervten – anschließend jeweils mit kurzer Unterbrechung, Ermahnung des Stadionsprechers und baldiger Fortsetzung des Spiels. Gestern wurde ein Spiel abgebrochen, weil ein Unparteiischer gesagt hatte: „Der Schwarze“. Wenn das künftig der Maßstab ist, bin ich neugierig, wie lange Sepp Herbergers Fußball-Weisheit „Das Spiel dauert 90 Minuten“ noch allgemeine Gültigkeit haben wird.

Erdogan hatte sich bald nach Unterbrechung des Spiels per Twitter ins Geschehen öffentlich eingeschaltet. Er ist mit dem Verein verwandt und verschwägert. Die Rückennummer, die er als Mitgründer beim Eröffnungsspiel des Vereinsstadions trug, die 12, darf seither kein anderer Spieler mehr tragen. Es fiele mir ausgesprochen schwer, anzunehmen, er hätte in dieser Stunde keinen Kontakt zu seinen Schäfchen in Paris gehabt.

Was mich stutzig macht: So richtig eindeutig ist die Reaktion der Medien heute nicht, jedenfalls nicht so, wie sie sonst – zu recht – gegen jede Form von Rassismus auf dem Platz und auf der Tribüne engagiert und mit Empathie in scharfen Worten vorgehen. Es herrscht eher eine gewisse Ratlosigkeit. Es stellt aber auch keiner die richtigen Fragen. Es traut sich keiner. Mal sehen, wie es heute weitergeht. Am Abend soll das Spiel erneut angepfiffen werden.

Schwarze spielen in beiden beteiligten Mannschaften. Es war die Mannschaft aus Istanbul, die nicht wieder auf den Platz kam, Erdogans Mannschaft. Ich werde den Verdacht nicht los: Recep Tayyip, komm, gib es zu, du hast gestern deine Hände im Spiel gehabt. Es wird dir nicht viel nützen, deine Performance als Staatspräsident bleibt im Keller. 

Foto: Matthias Laurenz Gräff/ Devils Child.

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Leserpost

netiquette:

Klaus Klinner / 09.12.2020

Wenn ich so an meine leistungssportliche Vergangenheit vor Jahrzehnten denke, hätte ich mindestens jeden zweiten Lauf auf internationaler Ebene beim Anlegen gleicher Kriterien abbrechen und die Laufbahn und das Stadion verlassen müssen. Ich bin froh, dass damals noch „unter Männern“ gesprochen werden durfte. Klassifizierungen von „Du weißer Schlappschwanz“ bis „Du schwarzer Bastard“ führten dazu, dass man sich nach dem Wettkampf gegenseitig gratulierte und zusammen „ein Bier“ trank. Nun ja, das waren noch archaische Zeiten, zum Glück sind sie vorbei.

Petra Wilhelmi / 09.12.2020

Wir leben in einer Kindergartenwelt, wo jedes Schneeflöckchen wimmert und sich bei jedem Mist beleidigt fühlt. Ich kann’s nicht mehr hören. Ich weigere mich dieser infantilen Welt einen einzigen Gedanken zu widmen.

Silvia Orlandi / 09.12.2020

„Nicht die Hand und Stimme Gottes“, es war der lange Arm Erdogans.

Marc Greiner / 09.12.2020

Alles, was die Linken anfassen ruinieren sie auch: Sport, Frauensport, Bildung, Kunst, Geschlechter, Heimat, Wirtschaft, Religion, Umweltschutz, Freiheit, einfach alles geht den Bach runter. Null Toleranz wäre die beste Lösung. Gar nicht mehr diskutieren, weil es ist nicht rational.

Rainer Niersberger / 09.12.2020

Natuerlich haette der 4. Offizielle den Namen nennen koennen, falls er ihn kannte, oder er haette auf rumaenisch irgendetwas von” tiefer pigmentiert “oder” Angehöriger der people of colour” sagen koennen. Das wird man doch nun wirklich verlangen koennen, in dieser Situation. Immer korrekt bleiben, gell, liebe Weisse. Das andere ueber lassen wir den zu Recht hypersensiblen Muslimen und den poc. Der Wahnsinn hat Methode und lädt vor allem zum ständigen Gebrauch ein. Im uebrigen war mir die grosse Sympathie der Muslime fuer die poc bislang nicht aufgefallen, von einem bestimmten Gebrauch abgesehen.

F. Pressler / 09.12.2020

Anstatt also zu sagen, dass der “Schwarze” es gewesen ist, hat es ab nun ganz kultursensibel zu heißen, dass die Weißen es nicht gewesen sind.

K. Nerweiß / 09.12.2020

,,Das N-Wort ist offenbar nicht gefallen. Ja, Schwarze sind von ,der Schwarze’ etwas anders betroffen (darf ich hier jetzt überhaupt ‚Schwarze‘ sagen?) als ein Weißer vom Begriff ,der Weiße’.” Herr Kulke, ich kann sie nicht mehr hören, diese selbstgewählte Betulichkeit, diese erbärmlichen Entschuldigungen, diesen opportunistischen Kniefall. Den Opferkult haben die Schwarzen, die Neger, doch erst im Weiß-Land gelernt, weil er ihnen nützlich ist. Da, wo sie unter sich sind, herrscht eine klare Ansage:  ,,In order to preserve, foster and maintain the positive Liberian culture, values and character, only persons who are Negroes or of Negro descent shall qualify by birth or by naturalization to be citizens of Liberia.” (Liberian Constitution, Art. 27b)

Gottfried Meier / 09.12.2020

So kann man den Fußball auch ruinieren. Was sind das für Bekloppte, die hinter jedem Grashalm Rassismus vermuten? Mich interessiert Fußball und nicht solche politischen Mäzchen.

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