Georg Etscheit / 28.04.2024 / 14:00 / 11 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Maikäfersuppe

Maikäfer sind eine Plage meinen Sie? Nicht nur – man kann sie auch wunderbar zu Suppe oder einem süßen Dessert verarbeiten.

Ich habe zu Insekten ein gespaltenes Verhältnis. Natürlich ist mir bewusst, dass es sich hier um eine ganz besondere Gattung von Lebewesen handelt, die nicht nur in der Nahrungskette eine unverzichtbare Rolle spielen. Aber eigentlich mag ich sie nicht mit ihren Facettenaugen, Krabbelbeinen und Chitinpanzern, von nützlichen Bienen und drolligen Hummeln einmal abgesehen. Selbst die schillernden Libellen wirken bei näherer Betrachtung wenig vertrauenerweckend, von Mistkäfern, Kakerlaken und jenen Kellerasseln, die meinen Weinkeller bevölkern, ganz zu schweigen.  

Und wenn sie sich im Sommer nachts auf einen stürzen, um einem nach Vampirart das Blut abzuzapfen, greife ich schon mal zur ökologisch verpönten Paral-Dose. Die altmodische Fliegenklatsche leistet nur bei den langsamen Schmeißfliegen gute Dienste, gegen die heimtückischen, extrem wendigen Schnaken ist sie machtlos. Ich habe auch keine Hemmungen, in der Küche chemische Ameisenfallen aufzustellen.

Dass andauernd vom Insektensterben gesprochen wird, kann ich nicht nachvollziehen. Vor allem dann nicht, wenn ich sehe, wie sich gerade die Maikäfer über unsere schöne Buche hermachen. Alle paar Jahre rüsten sich die gefräßigen Tiere zu einer groß angelegten Invasion, dieses Jahr scheint es wieder einmal so weit zu sein. Dann surrt und schwirrt es in der Luft, dass man annehmen könnte, die Russen hätten ihren lang erwarteten Großangriff auf Wertedeutschland begonnen, und man kann buchstäblich dabei zusehen, wie die Buche ihr schönes, lindgrünes Blätterkleid verliert. Ja gut, Kinder und Vögel mögen sie, doch mir sind Maikäfer aus Schokolade weitaus sympathischer. 

Vortrefflich und kräftig

Schokoladen-Maikäfer oder Marienkäfer aus Marzipan zu Silvester sind definitiv die einzige Form von Insekten, die ich freiwillig essen würde. Ansonsten halte ich die Entomophagie, also das Verspeisen von Insekten, für eine Verirrung, auch wenn laut Wikipedia weltweit mehr als 2.000 Insektenarten als essbar dokumentiert sind und sie beispielsweise in China seit 2000 Jahren auf dem Speiseplan stehen. Aber muss man denn alles nachmachen, was andere Völker machen? Oder ist mal jemand auf den Gedanken gekommen, Olaf Scholz oder Robert Habeck als große, weise Steuermänner zu huldigen und sie auf dekorativen Tellern zu verewigen?

Wenn überhaupt, wurden hierzulande gewisse Insektenarten allenfalls zu Notzeiten verspeist oder von gesellschaftlichen Randgruppen wie minderbemittelten Studenten. Dazu zählten vor allem Maikäfer, die in Jahren, in denen sie massenhaft auftraten, zum Teil auf behördliche Anordnung und gegen eine Prämie gesammelt wurden. Die mancherorts zu Millionen gefangenen Tiere sollten als Schweine- oder Hühnerfutter verwendet werden. Oder man empfahl kurzerhand, aus ihnen eine Suppe zu bereiten. Im Magazin für die „Staatsarzneikunde“ von 1844 wird Maikäfersuppe als ein „vortreffliches und kräftiges Nahrungsmittel“ gepriesen. Es soll auch Maikäfer als Dessert gegeben haben, in Honig eingelegt oder geröstet und mit Puderzucker überstreut.

Für eine Maikäfersuppe sollten pro Person mindestens dreißig Maikäfer gewaschen und entbeint werden, außerdem riet man dazu, die harten Flügeldecken zu entfernen. Sie sollten frisch von den Bäumen lebend gesammelt werden und nicht von Eichenlaub genascht haben, was sie bitter schmecken lasse. Hernach wurden die Käfer in Butter angeröstet und schließlich mit Fleisch- oder Gemüsebrühe aufgegossen und püriert. Alternativ dazu konnten die gewaschenen Käfer in einem Mörser zerstoßen werden. Dann röstete man den Brei wiederum in Butter an, goss ihn mit Brühe auf und ließ alles eine halbe Stunde kochen, bevor die Suppe durch ein Haarsieb gestrichen und mit Mehlschwitze und Eidotter abgebunden wurde. Dazu gab es Brotcroutons. Wie Maikäfersuppe schmeckt, weiß ich nicht, angeblich soll der Geschmack dem einer Krebssuppe ähneln.

Das ultimative Gourmetrezept

Wilhelm Busch, in dessen fünftem Max-und-Moritz-Streich Maikäfer die Hauptrolle spielen, schrieb in seinen Erinnerungen, dass in seinem Elternhaus Maikäfersuppe gegessen wurde. Gäste, die nicht gewusst hätten, was in der Suppe war, hätten oftmals einen Nachschlag verlangt. Nach dem Krieg geriet das ultimative Gourmetrezept glücklicherweise in Vergessenheit, was auch am Siegeszug der Schädlingsbekämpfungsmittel lag.

Ihren mutmaßlich letzten größeren Auftritt hatte eine Maikäfersuppe in dem DDR-Nostalgie-Streifen „Sushi in Suhl“. Der 2012 herausgekommene Film handelt von Rolf Anschütz, dem Koch der HO-Gaststätte „Waffenschmied“ in Suhl, der ungewöhnliche Gerichte präsentieren wollte und damit bei den Gastrofunktionären aneckte. Als die HO in seinem Restaurant ein Jubiläum feiert, lässt er als Vorspeise Maikäfersuppe servieren, für die er extra die damals seltenen Krabbeltiere organisiert hatte. Als die HO-Chefin jedoch nach einigen Löffeln erfährt, worum es sich bei der Suppe handelt, wird ihr schlecht.

Es kommt zum Eklat und Anschütz, gespielt von Uwe Steimle, sieht sich aufgrund seiner Experimentierfreude schweren Vorwürfen ausgesetzt, was ihn nicht davon abhält, sich nunmehr der japanischen Küche zuzuwenden – mit durchschlagendem Erfolg. Wenn die allmähliche Verwandlung der wiedervereinigten Republik in eine Wiederauflage der DDR weitere Fortschritte macht, könnte es diesmal andersherum laufen. Dann wird eine „schnelle Maikäfersuppe“ vielleicht zum Standard ökosozialistischer Esskultur. Und mit ihr viele weitere, leckere Insektengerichte, die man uns gerade als Schlüssel zur Rettung des Planeten schmackhaft machen will.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Hans Manser / 28.04.2024

Ich gebe zu, nie Maikäfer gegessen, und folglich am Gefühl leiden zu müssen, etwas verpasst zu haben. Die Publikation aus 1844, mit ihrer lehrreichen Detailbeschreibung (waschen, entbeinen, harte Decken entfernen, und bloss keine eichenliebenden Käfer zu verwenden) zeigt, in all ihrer Logik jedoch den urdeutschen Geist. Es bei der beschriebenen Vorbehandlung und dem Rösten zu belassen, und die Tierchen mit etwas Salz als Snacks zu geniessen, wird einem Echten Deutschmann nie in den Sinn kommen. Irgendwas hinzufügen, durchkochen, einen Mörser verwenden, und anschliessend ein Haarsieb (!), um dem Ganzen mit einer Schwitze und etwas Dotter die Krone aufzusetzen, gehört für die naturdeutsche Zunge zum Gebot. So kam es zu der Currywurst.

Jürgen Fischer / 28.04.2024

Gibt’s auch Rezepte für Kartoffelkäfer? So als Kartoffelersatz? Ferda darf vorkosten.

Elizabeth Bennett / 28.04.2024

Maikäfersuppe, das wäre doch mal was für jene alternden weißen Frauen und manchmal auch deren durch sie stark geprägten Töchter (oder auch stramm woke Jungs, umgeprägt durch ein inzwischen geradezu weibisch gewordenes Bildungssystem voller alternder Zeuginnen Coronas, Gretas und feministischer „Weltinnenpolitik“ mit deutschen Wunderwaffeln, die Russland „die Beine wegschlagen“ wollen). Ich denke, solche Klientel schart sich deshalb zum eigenen Schaden hinter eins der vielen (zusammenhängenden) woken Fraktionsbanner, weil in ihnen die über Generationen fortgezüchtete German Angst durch die planetareschatologische Apokalypse-und-Erlösungs-Lehre wirksam getriggert wird. Zusätzlich frage ich mich aber bei dieser Klientel, wo die evidente Lustfeindlichkeit herrührt, Steaks, Schnitzel, guten Wein, adrette Klamotten und die Freude an Huldigungen und Aufmerksamkeiten durch Männer rundweg abzulehnen - kann dieser selbstkasteiende Kontrollwahn etwas mit sublimierten sexuellen Störungsbildern zu tun haben? Fragen!!!)  Dieses Klientel scheint mir nach meiner anekdotischen Evidenz auch kompatibel mit jener Minderheit, die den Super Mario Fart zum polit-hygienischen „Schutz“ des digitalen Peehive durch verwirkbare Social Media Accounts unterstützen würde.

Ralf.Michael / 28.04.2024

Ich liebe diese ” Guten Appetit-Suppen “, Sie etwa nicht ?

Holger Kammel / 28.04.2024

Wisst ihr, was Brötchen oder gutes Brot sind? Das wisst ihr nicht! Kuchen wird hierzulande ja als(( Kaffee-) Stückchen benannt. Zu Recht, denn als Kuchen kann man das nicht bezeichnen.

L. Luhmann / 28.04.2024

1.“Schnaken ernähren sich von freiliegenden Säften wie Wasser und Nektar. Andere Nahrung können sie durch ihre Mundwerkzeuge nicht aufnehmen.[4] Die verbreitete Annahme, dass Schnaken den Menschen „stechen“, ist bereits dadurch widerlegt, dass die Mundwerkzeuge der Schnaken die menschliche Haut nicht durchdringen können.” 2. Wenn ich durch den Verzehr einer kräftigen Maikäfersuppe befähigt werde, Gutmenschen*innenkōpfe zum Platzen zu bringen, dann wūrde ich Maikäfer zūchten! Vor fast 100 Jahren habe ich auf einer Dūne an der Côte d’Argent Maikäfer in die Frisuren mancher Mädchen geworfen. Das war ein großes Vergnügen. Oder waren es Junikäfer? Andere böse Buben haben die ūberall herumbrummenden Käfer mit ihren Federballschlägern aus ihrem Element geschlagen. Die Mädels waren dankbar. Lacostekleidung war “in”. Der Käfermassenmord war ein Spektakel! Ich bin noch heute glūcklich, dabei gewesen zu sein.

Gerd Maar / 28.04.2024

Die DDR hatte zumindest noch Braunkohle. Wenn in Deutschland demnächst aus Not wieder mit Holz geheizt wird, wird ihre Buche wohl leider sowieso dran glauben müssen. Ausserdem-  Hummer z. B. sind im Prinzip auch nur Wasserspinnen. It’s all in your mind.

armin_ulrich / 28.04.2024

“Selbst die schillernden Libellen wirken bei näherer Betrachtung wenig vertrauenerweckend, von Mistkäfern, Kakerlaken und jenen Kellerasseln, die meinen Weinkeller bevölkern, ganz zu schweigen. “ Kellerasseln sind keine Insekten, sondern Krebstiere.

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