Georg Etscheit / 26.06.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Erdbeeren

Dieses Jahr trifft eine gute Erdbeer-Ernte auf eine geringe Nachfrage. Wegen der explodierenden Inflation und der allgemeinen Verunsicherung sparen die Leute. Und wenn der Deutsche spart, das ist ein Naturgesetz, dann zuerst bei Lebensmitteln.

Die Natur hat das doch ganz schön eingerichtet: Wenn im Frühsommer Äpfel und Birnen aus den Kühlhäusern mangels Geschmack ungenießbar geworden sind, beginnt die lang ersehnte Beerenzeit. Dann reifen auf den Feldern überall Erdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren und etwas später Brombeeren, Stachelbeeren und Heidelbeeren. Letztere gibt es in größeren Mengen auch aus Wildsammlung. Sie schmecken viel besser als die aufgeblasenen Zuchtheidelbeeren. Meist kommen sie, in kleine Bastkörbchen verpackt, aus Osteuropa, wo es noch Menschen gibt, die sie sammeln. Manche Leute haben panische Angst vor wilden Blaubeeren, weil an ihnen Eier des Fuchsbandwurms kleben könnten. Da sage ich nur: No risk, no fun!

Einstweilen haben Erdbeeren ihren Galauftritt. Voll ausgereift besitzen diese Früchte, die streng genommen gar keine Beeren sind, ein unverwechselbares, sehr angenehmes Aroma und eine natürliche Süße, die sie unwiderstehlich macht. Kein Sommer ohne Erdbeerkuchen, wobei ich selbst eine französische Tarte aux fraises der deutschen Sahnetortenedition vorziehe oder der verbreiteten Unsitte, einen fertigen, viel zu dicken Biskuitboden einfach mit Sahne zu bestreichen, mit Erdbeeren zu belegen und einem Gruselglibberguss von Dr. Oetker luftdicht zu versiegeln.

Für die französische Erdbeertarte macht man zunächst einen einfachen, leicht gesalzenen Mürbeteig ohne Ei (französisch: Pâte brisée). Der wird in einer niedrigen Tarteform „blind“ gebacken, wozu man auf dem Teig auf einer Backpapierunterlage schwere, getrocknete Bohnen ausbreitet, die verhindern sollen, dass die Teigplatte Blasen schlägt. Den fertig gebackenen Boden kann man zur Abdichtung mit flüssiger Schokolade besteichen. Dann folgt eine Schicht Crème pâtissière, eine mit etwas Mehl oder Speisestärke stabilisierte Eier-Vanille-Creme, auf der man die Früchte anordnet. Das ganze wird noch mit etwas erhitztem Johannisbeergelee überglänzt. Der Aufwand ist nicht unerheblich, doch das Ergebnis überzeugt immer, wenn, ja, wenn man vollreife Erdbeeren erwischt hat.

Gute Ernte trifft auf geringe Nachfrage

Dieses Jahr muss man eigentlich froh sein, wenn man überhaupt (noch) welche erwischt. Es gibt nämlich Erdbeerbauern, die einen Teil ihrer Ernte einfach vernichtet haben, was an die unseligen Lebensmittelvernichtungsaktionen der EU zwecks Preisstützung erinnert. Dabei ist die Ernte des Jahres 2022 qualitätsmäßig so gut und so reichlich, wie schon länger nicht. Das Wetter war, dank Erderwärmung, optimal, ausreichend Sonne, kaum Hagel oder Frost. Doch die Früchte liegen, glaubt man den Berichten, wie Blei in den Regalen. Was ist da los?

Nachfrage bei einem, der es wissen sollte, dem Obstbauern Klaus Langen aus Kerpen-Buir im Rheinland. Er hatte zuvor schon mit der Süddeutschen Zeitung gesprochen, die daraufhin unter der originellen Überschrift „Entbeerlich“ einen Artikel über die Erdbeerkrise veröffentlichte. Allerdings vergaß der Reporter, ein paar Dinge zu fragen, die für das Verständnis der Lage nicht unerheblich sind.

Ganz allgemein gesagt, trifft dieses Jahr auf eine gute Ernte eine geringe Nachfrage. Wegen der explodierenden Inflation und der allgemeinen Verunsicherung sparen die Leute. Und wenn der Deutsche spart, das ist ein Naturgesetz, dann zuerst bei Lebensmitteln. Um die verderbliche Ware trotzdem, Pardon, werte Ladys, an den Mann bringen zu können, drücken die Großeinkäufer die Preise. Doch zu den aktuellen Dumpingpreisen kann kaum ein deutscher Beerenbauer noch einen Gewinn erwirtschaften. Deswegen entschied sich Herr Langen zum ersten Mal in seiner dreißig Jahre währenden Laufbahn, einen Großteil seiner Ernte abzuschreiben.

„Da bückt sich niemand mehr nach Erdbeeren.“

Zusätzlich zu den niedrigen Preisen haben die Kosten stark angezogen. „Die Preis-Kosten-Schere klafft immer weiter auseinander“, sagt Langen in schönstem Betriebswirtschaftlerdeutsch. Nachdem die sich sozial gerierenden Bundesregierungen die Mindestlöhne immer weiter angehoben haben, sind für Erntehelfer jetzt zwölf Euro pro Stunde fällig. Das ist bei den aktuellen Ramschpreisen schwer zu refinanzieren.

Zu all den Kalamitäten gesellt sich ein immer bedrohlicherer Personalmangel. Vor einigen Jahren, sagt Langen, habe er vor allem Pflücker aus Rumänien beschäftigt. Doch leider waren diese Menschen kaum des Lesens und Schreibens mächtig und so ungebildet, dass kaum mit ihnen zu arbeiten war. „Denen musste man noch erklären, warum man rote Erdbeeren pflückt und keine grünen.“ Deswegen sah er sich in Polen und vor allem in der Ukraine nach Helfern um. Er fand sie etwa an Universitäten und Hochschulen. „Mit solchen Praktikanten habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Langen. Bis der russische Angriff auf das Land die neue Quelle für Erntehelfer einstweilen versiegen ließ. Denn viele Hochschulen seien geschlossen und könnten den jungen Leuten nicht die nötigen Papiere ausstellen.

Eine Frage, die die SZ nicht gestellt hat: Lassen sich unter den vielen tausend Flüchtlingen aus der Ukraine, die jetzt in Deutschland leben, denn keine neuen Erntehelfer rekrutieren? „Habe ich ja versucht“, sagt Langen. Nur würden diese Menschen hierzulande auf Hartz IV-Niveau versorgt, was ihnen im Vergleich zur wirtschaftlichen Lage in ihrer bitterarmen Heimat zu einem sehr komfortablen Einkommen verhelfe. „Da bückt sich niemand mehr nach Erdbeeren.“ Wenn das alles so weitergehe, meint Langen, drohe der Erdbeeranbau in Deutschland auf breiter Front unrentabel zu werden. „Dann können Sie sich die Erdbeeren aus Peru holen.“

Spätestens dann werde ich den Erdbeeranbau im eigenen Garten wiederbeleben. Die allsommerliche Erdbeerernte im Garten meiner Großmutter zählt zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Niemals mehr sonst, so scheint es mir, haben die Früchte so gut geschmeckt. Und erst ihre Erdbeermarmelade! Sommer pur, den ich, wenn die alte Dame nicht zuschaute, direkt aus dem Glas löffelte, das noch, ganz altmodisch, mit einer Cellophanhaut verschlossen war. Mit fast schon überreifen Früchten mundet sogar eine Erdbeerbowle. Dazu Erdbeeren putzen, in kleine Stückchen schneiden, einzuckern und mit etwas Wodka marinieren. Kurz vor dem Einschenken mit gut gekühltem, trockenen Weißwein und gutem Sekt aufgießen. Und dann auf den Klimawandel anstoßen!

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Max Kowalski / 26.06.2022

Meine Mutter musste in den 60ern in der Ostzone(in der richtigen)Blaubeeren sammeln damit sie sich für den Winter Schuhe kaufen konnte.Nur zur Info falls hier jemand Links wählt…Fliessend Wasser gabs natürlich auch nicht,war im Winter aber von Vorteil da dann auch keine Leitungen platzen konnten wie bald Millionfach geschehen wird.Es war manchmal so kalt das es Eis an den Wänden gab wenn der Ofen ausging.Und haben sie einen Ofen lieber Regierungsgläubiger?

Christa Vorberg / 26.06.2022

Alles stimmt, dennoch fehlt das Wichtigste: Erdbeeren waren nie “billig”, aber sie wurden gekauft. Wer würde sich noch auf Weihnachten und Santa Claus freuen bzw. feiern, wenn Santa jeden Tag zur allgemeinen Verfügung stünde? So wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren etc.  das ganze Jahr, jeden Tag in den Supermärkten zu kaufen sind. Nicht jammern, sondern saisonbedingt kaufen, dann regelt sich vieles von selbst, auch die 12 Euro Stundenlohn sind ok - wer was dagegen hat, sollte nur einen Tag Erdbeeren pflücken .

M. Corvinus / 26.06.2022

Wir hatten letztes Jahr den unseligen Rasen rausgeschmissen und durch eine Naturwiese ersetzt (sehr gute Entscheidung:  Weder wässern noch mähen noch Unkrautbekämpfung - 2 x sensen und fertig). Ein Teil der ehemaligen grünen Wüste wird jetzt zur Selbstversorgung genutzt. Die Erdbeeren - inkl. der im Handel nicht zu erwerbenden, hochempfindlichen “Mieze Schindler” - gediehen so gut, dass wir uns im Wesentlich selbst versorgen konnten bzw. die einschlägigen Buden nur noch zum Spargelkauf frequentierten. Mit Do-it-yourself sollte man sich wohl anfreunden, wenn man den WELT-Artikel “die Ära der Knappheit” so liest ...

Florian Bode / 26.06.2022

Die Hauptmedien haben mir eingebleut, dass ich Spargel und Erdbeeren als Ausbeuter auf Kosten der Erntehelfenden genieße. Das gab mir zu denken und so ließ ich es. Lustig anzuschauen, wie der Spargel auf den Feldern ins Kraut schießt. Wetten, nächstes Jahr gibt es keinen.

Rolf Mainz / 26.06.2022

“Nur würden diese Menschen (aus der Ukraine) hierzulande auf Hartz IV-Niveau versorgt, was ihnen im Vergleich zur wirtschaftlichen Lage in ihrer bitterarmen Heimat zu einem sehr komfortablen Einkommen verhelfe.” Tja, das war wohl - nach 2015 - wieder nichts mit neuen Beitragszahlern. Wer hätte das gedacht? Abwarten, der Ukraine-Wiederaufbau naht (plus Behandlung des Tschernobyl-Reaktorgrabs als Draufgabe) - dann mit EU-Status und gezahlt vorrangig von einem bestimmten Land. Neue Sozialhilfeempfänger (und die Männer kommen ja nach Kriegsende noch nach) plus astronomische Kosten für den Wiederaufbau - perfekt, dümmer kann man es aus deutscher Sicht nicht angehen.

A. Ostrovsky / 26.06.2022

“Denn viele Hochschulen seien geschlossen und könnten den jungen Leuten nicht die nötigen Papiere ausstellen.” Wozu, um Himmels Willen, braucht man von einer Hochschule Papiere, um Erntehelfer zu beschäftigen? Sind die vollblöd, oder habe ich nur die Schwierigkeiten noch nicht verstanden. Die meisten “Student*Innen” sind doch seit Jahren hier, aber die werden ihre teure Zeit nicht mit diesen lächerlichen Erdbeeren verbringen wollen.

Bernhard Büter / 26.06.2022

..die wichtigste Fragestellung fehlt: Was hat der Erdbeerproduzent denn gewählt?

Hartmut Laun / 26.06.2022

++ Und wenn der Deutsche spart, das ist ein Naturgesetz, dann zuerst bei Lebensmitteln++ Wer ist DER Deutsche? Und wenn er spart, sparen muss, weil die Lebensmittel immer teurer werden, er aber nicht mehr Rente oder mehr Lohn bekommt, wo sonst soll er sparen? Beim Kauf der nächsten Rolexuhr?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com