Wolfgang Meins / 26.11.2019 / 06:00 / Foto: FORTEPAN/ Urbán Tamás / 67 / Seite ausdrucken

Verfassungs-Gericht ebnet Weg für bedingungsloses Grundeinkommen 

Zwar wurde in den Medien das am 5. November vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ergangene Urteil in Sachen Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher durchaus gewürdigt. Dass damit aber de facto eine Art bedingungsloses Grundeinkommen kreiert wurde, blieb in der öffentlichen Diskussion bisher unberücksichtigt. Jedenfalls kann jetzt jeder gegenwärtige oder zukünftige Bezieher von Hartz IV – oder wie es amtlich korrekt heißt: Arbeitslosengeld II (ALG II) – ganz offen und direkt auf dem Amt erklären, Null-Bock auf Arbeit zu haben und jedes Arbeitsangebot sowie jede qualifizierende Maßnahme ablehnen zu wollen. Trotzdem muss dem Bezieher oder Antragsteller dann zunächst der Regelsatz von derzeit 424 Euro gewährt werden. Einschließlich der sogenannten Leistungen für Mehrbedarfe, also für Unterkunft, Heizung und Nebenkosten sowie der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.  

Hat sich das Amt dann nach einigen Monaten und sorgfältiger Prüfung vergewissert, dass es der „Kunde“ ernst mit seiner ablehnenden Haltung meint, kann es ihm den Regelsatz um 30 Prozent kürzen, aber maximal für drei Monate. Eine längere Kürzungsdauer hat das BVG mit seinem Urteil kategorisch ausgeschlossen. Nach dieser Frist geht das ganze Theater wieder von vorne los: Hartz-IV-Höchstsatz, Prüfung, Kürzung um 30 Prozent für drei Monate. Im Extremfall bis zum altersbedingten Ende der Erwerbsfähigkeit. Dann greift die Grundsicherung. 

Bisher konnte die Agentur für Arbeit bei fehlender oder wiederholt ungenügender Kooperation eine Minderung des Regelsatzes auch um 60 oder gar 100 Prozent verfügen, gegebenenfalls auch für länger als drei Monate. Sogar die Leistungen für Mehrbedarfe konnten völlig gestrichen werden. Das alles ist nun nicht mehr zulässig, da nach Meinung des BVG nicht verfassungskonform. 

Wer sind die ALG-II-Anspruchsberechtigten? Im Wesentlichen diejenigen, die über kein Einkommen oder Vermögen verfügen, nicht von anderen Sozialleistungsträgern oder nicht (offen) von Angehörigen unterstützt werden, mindestens 15 Jahre alt und in der Lage sind, eine gesundheitlich zumutbare Tätigkeit auszuüben. Im Februar 2018 waren das insgesamt 4,26 Millionen, wobei ein Teil davon nicht im engen Sinne arbeitslos war, etwa weil sie einem Minijob nachgingen. 

Das Welt- und Menschenbild des BVerfG

Zumindest für diejenigen, die nicht regelmäßig BVerfG-Urteile lesen, ist das einseitige Welt- und Menschenbild des Gerichts doch etwas gewöhnungsbedürftig, wenngleich nicht wirklich überraschend: Man glaubt dort ganz fest an das Gute im Menschen, zumindest beim Hartz-IV-Bezieher. Von dessen Verantwortung für sein eigenes Leben ist man dagegen deutlich weniger überzeugt. Als Ausgleich dafür wird er mit einer besonderen Portion an Menschenwürde bedacht, die den Normalbürgern – vor allem den Steuerzahlern unter ihnen – nicht zuteil wird. Jedenfalls spielt für das BVerfG die Frage keine Rolle, ob es dem Steuerzahler wirklich zumutbar beziehungsweise mit dessen Menschenwürde vereinbar ist, auch chronisch arbeitsscheue Mitbürger unbefristet alimentieren zu müssen.  

Je nachdem, in welchem Modus sich die Beziehung zwischen Amt und unkooperativem Hartz-IV-Bezieher gerade befindet, erhält der also künftig entweder den ungekürzten Regelsatz von derzeit 424 Euro oder eben 70 Prozent davon, macht 297 Euro monatlich, plus den erwähnten Mehrbedarf sowie einige weitere Vergünstigungen, wie Befreiung von den Rundfunkgebühren oder auch Rabatte im ÖPNV. Dabei lässt sich der Bezugszeitraum für den ungekürzten Hartz-IV-Betrag sicherlich jeweils verlängern, wenn der „Kunde“ zwar ebenfalls an einer therapieresistenten Arbeitsscheue leidet, aber sich doch ein bisschen konzilianter gibt. 

Wer bereit ist, zwischendurch für maximal drei Monate immer mal wieder das Einkommen etwas gekürzt zu bekommen, hat dafür aber eben keinen Stress mehr mit dem Amt und seine Ruhe. Sei es, um ein etwas mönchisches, stärker von Entsagung geprägtes Leben zu führen oder auch, um gänzlich ungestört bestimmten Nebentätigkeiten nachzugehen, die von gut bezahlter Schwarzarbeit bis hin zum zweimal wöchentlichen Einkauf für den gehbehinderten Opa von gegenüber reichen können. Auf jeden Fall lassen sich so die fehlenden 30 Prozent meist recht gut kompensieren, wenn es denn gewünscht wird.  

In seinem Urteil gesteht das BVerfG dem Staat – nach gesetzlicher Neuregelung – zwar grundsätzlich zu, auch härtere Sanktionen als Abzüge von 30 Prozent durchzusetzen. Gleichzeitig errichtet es dafür aber dermaßen hohe Hürden – etwa den schlüssigen Beweis, dass 60 Prozent Abzug wirksamer als 30 Prozent sind und Totalentzug wirksamer als 60 Prozent –, dass es eines extrem versierten, engagierten und motivierten Gesetzgebers bedürfte, um diesen Ansprüchen zumindest nahezukommen. Und ein solcher Gesetzgeber, das weiß unser ja schon seit geraumer Zeit zum Opportunismus neigendes BVerfG natürlich genau, ist nicht in Sicht. Dafür aber jede Menge Claqueure, die jetzt darauf drängen, auch noch die letzte Sanktion zu Fall zu bringen, um ein bedingungsloses Grundeinkommen für Arbeitsunwillige zu schaffen.  

Foto: FORTEPAN/ Urbán Tamás CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Robert Schleif / 26.11.2019

Pfui Spinne: Billigste “bürgerlich-konservative” Profilierung durch sozialdarwinistische Propaganda und Hetze gegen den “faulen asozialen Arbeitslosen”, den die braven Fleisspelze durchfüttern müssen. Wo, bitte, ist Hartz “bedingungslos” und wo ermöglicht es auch nur ein Mindestmass an Freiheit und menschenwürdigem Leben? Und wo bekomme ICH als Angestellter dieses angeblich bedingunglose Grundeinkommen? Wäre für ein Zubrot sehr dankbar!

Timm Koppentrath / 26.11.2019

Das war erhellend. Wir haben mittlerweile viele Gesetze, die nur auf dem Papier stehen, aber nicht oder nicht großflächig durchgesetzt werden oder bei dem derzeitigen Apparat nicht durchgesetzt werden können. “Früher” war das doch ein Identifzierungsmerkmal von Ländern, die Entwicklungs- oder Schwellenländer genannt wurden. Mich würde zusätzlich das Große Ganze interessieren, welcher %-Anteil an Gesetzen steht nur noch auf dem Papier im Verhältnis zu den Gesetzen, die noch einigermaßen exekutiert werden.

Stefan Zorn / 26.11.2019

Jetzt gibt es wenigstens keine Unterbrechungen mehr bei den Leasingratenzahlungen für den AMG von Oma-Fatimas Enkelbuben….

Franck Royale / 26.11.2019

Die arbeitsscheuen „Kunden“ fahren dann bekanntlich nicht selten in der Premium-Klasse zum Amtstermin. Das Menschenbild des BVG ist das eine, das Bild vieler Menschen von diesem Staat das andere.

Hans-Peter Dollhopf / 26.11.2019

Herr Meins, was für ein glorreiches Thema für einen Schulaufsatz: “Das Einzelschicksal und die Art und der Umfang seiner staatlichen Reglementierung in jeder Lebenslage!” Es gibt ehrlich gesagt keinen einzigen lebenden Menschen auf der Welt, der nicht lebt, solange er nicht gestorben ist. Beides kann man hinkriegen oder nicht. Max. 2000 Zeichen pro Leserkommentar reichen da bei Weitem nicht aus, um wenigstens die Note “befriedigend” zu erhalten. So viel kann man den Achgut-Lesern schon einmal verraten. Noch nicht einmal bei der geschwätzigen Oberstreberin Manuela Schwesig. Ich freue mich schon auf die Lektüre der Leserkommentare heute um Mitternacht, wenn die Kommentarfunktion zu Ihrem Beitrag hier schließt.

Max Wedell / 26.11.2019

Genau dies war mein allererster Gedanke, als ich von dem Urteil erfuhr: Jetzt haben wir also das Grundeinkommen bekommen, dessen einzige Bedingung ist, Vermögen jenseits der Unantastbarkeitsgrenze vorher aufgebraucht oder gar nicht erst gehabt zu haben. Welcher unserer Journalisten aber hatte dieselbe Idee? Betrachtet man die Berichterstattung dazu - keiner! Braucht es eigentlich noch einen weiteren Beweis, daß unsere Medien ganz überwiegend von linken Gutmenschen gesteuert werden? Deren Ansichten zur menschlichen Faulheit lassen sich ja bekanntlich in 2 Gruppen einteilen: 1. Es gibt ÜBERHAUPT KEINE arbeitscheuen Menschen, sondern nur Menschen, denen die Gesellschaft sträflicherweise noch nicht einen Job angeboten hat, der ihrer Menschenwürde entspricht. 2. Es gibt MASSENHAFT arbeitsscheue Menschen, aber sie erben entweder große Vermögen und leben dann in den Tag hinein, oder sie kommen durch andere Glücksfälle wie etwa Firmengründungen in den Besitz einer Firma, in der andere Menschen für sie schuften, während sie auf ihrer Jacht die Karibik durchsegeln. Arbeitsscheue in Hartz IV? Nie und nimmer!!! - Daß von solchen Weltanschauungen Beseelte in dem BVG-Urteil kein extrem bedingungsarmes Grundeinkommen sehen konnten, ist doch kein Wunder. Umso dankbarer muß man sein, wenn es doch mal jemand offen als das bezeichnet, was es eigentlich ist. Herzlichen Dank, Wolfgang Meins!

Klaus Biskaborn / 26.11.2019

Sind wir ehrlich, dieses BVerG ist längst stramm in politisch korrekter linker Hand. Die können es sich nicht erlauben, ein Urteil rein nach juristischen Erwägungen zu fällen. Auch bei diesem Urteil ging es darum, Ruhe an der Front der Harz IV Bezieher sicherzustellen. Ein Hintergrund der Erwägungen, wenn wir diese Menschen ruhig stellen wählen die vielleicht und hoffentlich nicht die AfD, es geht auch hier nur um dieses eine Thema.

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