Stephan Kloss, Gastautor / 06.10.2023 / 11:00 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Brandmauer in Mittelsachsen fällt bei Migrationskosten

Aufstand im Kreistag von Mittelsachsen: CDU, AfD und Freie Wähler verweigern dem Landrat mit ihrer Mehrheit zusätzliche Millionen für die Unterbringung einer stetig steigenden Zahl von Migranten. Wie wird der Freistaat reagieren?

In Mittelsachsen bebte am vergangenen Mittwoch, dem 27. September 2023, die Erde. Ja, wirklich. Es waren politische Vibrationen. Die Brandmauer stürzte ein und kaum ein Medium berichtete. Der Kreistag lehnte mehrheitlich mit den Stimmen von CDU, AfD und Freien Wählern eine Erhöhung der Ausgaben für Migranten um 3,5 Millionen Euro ab. Wer zu welcher Kreistagsfraktion gehört, ist hier aufgelistet. Jener 27. September in der „HarthArena“ von Hartha, wo der Kreistag zusammentraf, war auch ein harter Tag für Landrat Dirk Neubauer (jetzt parteilos, vorher SPD, davor parteilos). Er soll außer sich gewesen sein, berichten Sitzungsteilnehmer. Den Nein-Sagern der demokratischen Abstimmung im demokratisch gewählten Kreistag soll der Landrat vorgeworfen haben, gegen die Verfassung zu sein, denn Leistungen für Asylbewerber seien eine kommunale Pflichtaufgabe.

Die Sitzung sollte über eine brisante Beschlussvorlage mit der Nummer KT 358/21./2023 entscheiden:

„Der Kreistag des Landkreises Mittelsachsen bewilligt für das Haushaltsjahr 2023 überplanmäßige Aufwendungen/Auszahlungen in Höhe von 3.482.700 EUR im Budget 0074/0084 für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.“

Von den 78 anwesenden Kreisräten stimmten 47 (60 Prozent) mit Nein, 20 (26 Prozent) mit Ja bei 11 (14 Prozent) Enthaltungen.

Kreisräte aus Parteien, die sonst den Landrat unterstützt haben, enthielten sich bei der Abstimmung, z.B. der Bürgermeister von Hainichen, Dieter Greysinger (SPD), der Bürgermeister von Flöha, Volker Holuscha (Die Linke), David Rausch (Die Linke) und Ronny Kühnert (Die Linke). Noch 2022 hatten Linke und SPD (auch Grüne) die Wahl von Dirk Neubauer zum Landrat unterstützt. Neubauer gewann die Wahl im ersten Wahlgang, vor seinen Mitbewerbern von AfD und CDU. Doch nun scheint es einigen Kreisräten aus den Unterstützer-Parteien mulmig zu werden, denn in den Städten und Gemeinden brodelt es.  

Mehraufwendungen für Asylbewerber in einem Pleite-Landkreis

Gleich zu Beginn der Kreistagssitzung trat der Kämmerer des Landkreises Mittelsachsen vor die Kreisräte und teilte mit, dass der Landkreis in diesem Jahr mit rund 41 Millionen Euro in den Miesen liege, war von Teilnehmern der Kreistagssitzung zu erfahren. Übersetzt heißt das: Die Konten sind leer. Tendenz: Die Konten werden künftig noch leerer sein. Oder anders gesagt: Der Landkreis in der Mitte von Sachsen ist pleite. Und weil der Landkreis kein Geld mehr hat, ermächtigte der Kreistag den Landrat, Darlehen für dringend benötigte Investitionen in Höhe von 11 Millionen Euro aufzunehmen.

In dieser Gemengelage sollte der Kreistag die überplanmäßigen Aufwendungen für Asylbewerber beschließen. Woran sich offenbar zahlreiche der Nein-Sager störten, ist, dass der Landkreis trotz klammer Kassen den zusätzlichen Mehrbedarf für Flüchtlinge zum Teil „vorerst aus liquiden Mitteln“ bezahlen sollte. Welche eigentlich? Noch mal zur Erinnerung: „Minus 41 Millionen Euro“ steht auf dem Kontoauszug des Landkreises. Und dann steht in der Beschluss-Vorlage noch niederschmetternd:

„Entsprechend des Rettungspaketes „Gemeinsame Verantwortung für Sachsen“ vom 6. Juni 2023 erhalten die Landkreise und kreisfreien Städte 133 Mio. EUR als Bedarfszuweisung. Eine verbindliche Rechtsgrundlage sowie die tatsächliche Höhe der Bedarfszuweisung für den Landkreis Mittelsachsen liegen zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Vorlage noch nicht vor.“

Also nichts Genaues weiß man nicht. Die Euros könnten kommen, könnten aber auch wegbleiben. Mehrere Kreisräte der „Nein-Sager-Fraktion“ haben kein Problem damit, Flüchtlinge zu unterstützen. Im Gegenteil, so ein Kreisrat gegenüber dem Autor. Aber: „Berlin macht die Flüchtlingspolitik. Dann muss Berlin auch das Geld geben. Wer bestellt, muss auch bezahlen“, so der Kreisrat, der gleichzeitig Bürgermeister ist. "Wir Kommunen wollen uns nicht weiter schröpfen lassen."

Termin für nächsten Showdown steht schon fest

Landrat Dirk Neubauer, der nach der Ablehnung der Beschlussvorlage durch die Stimmen von CDU, AfD und Freie Wähler gegen eben jene wetterte, bekam noch eine verbale Breitseite von der Bürgermeisterin der Gemeinde Kriebstein, Maria Euchler (Freie Wähler Mittelsachsen). Neubauer sei Teil des Problems und nicht Teil der Lösung, sagte sie. Ohne Rücksicht auf den Kreis renne Neubauer oft allein vornweg, so Euchler vor dem Kreistag. Beispiel "erneuerbare Energien": Da solle Mittelsachsen nach Aussagen Neubauers ein Vorreiter sein. „Das ist nicht mit Kreistag, Kommunen und Bürgern abgestimmt. Ob das alle so wollen, ist fraglich.“ Im Wahlkampf habe er Transparenz und Beteiligung versprochen. „Vieles davon hat sich als Fassade herausgestellt“, kritisiert die Kreisrätin der Freien Wähler. Auch die Diskussionskultur im Kreistag kritisierte die Kriebsteiner Bürgermeisterin: „Ein Stammtisch, ja ein Kindergarten ist zuweilen nichts gegen diesen Kreistag.“

Über die hochumstrittene Beschlussvorlage soll auf der nächsten Sitzung am 25. Oktober erneut abgestimmt werden. Wie es danach – falls die Brandmauer erneut einstürzt – weitergeht, ist unklar. Es könnte sein, dass die Landesdirektion Sachsen als Aufsichtsbehörde den Beschluss durch eine eigene Anweisung ersetzt. "Wenn das passiert, dann frage ich mich, ob wir noch in einer Demokratie leben", so ein Kreisrat gegenüber dem Autor. Wenn demokratische Entscheidungen rückgängig gemacht würden, könne man sich demokratische Abstimmungen künftig auch sparen.

Korrekturanmerkung: In einer früheren Fassung war fälschlicherweise von Donnerstag, dem 27. September die Rede. Die Kreistagssitzung fand natürlich am Mittwoch, dem 27. September statt. 

Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und studiert Psychologie.

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Leserpost

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Christian Franke / 06.10.2023

Karl Dietsch, Sie liegen völlig richtig.

Dietmar Blum / 06.10.2023

@ Herrn Rolf Mainz / 06.10.2023: Die EINZIGE kommunale PFLICHTaufgabe, die ICH akzeptiere, ist DIE, die jeweilige Kommune voranzubringen, den Bürgern zu dienen und deren Nachfahrenwohlbestallte Verhältnisse zu hinterlassen. Alles andere ist ideologische Anmaßung.

Hans-Peter Dollhopf / 06.10.2023

“Den Nein-Sagern der demokratischen Abstimmung im demokratisch gewählten Kreistag soll der Landrat vorgeworfen haben, gegen die Verfassung zu sein, denn Leistungen für Asylbewerber seien eine kommunale Pflichtaufgabe.” - - - Was für ein argumentatives Eigentor: Die Kreistagsabgeordneten wurden aufgefordert, über eine Beschlussvorlage abzustimmen, die nach Ansicht des Landrates aus verfassungsrechtlicher Sicht gar nicht zur Abstimmung vorgesehen sein konnte? Das fiel ihm aber erst ein, nachdem die Abstimmung nicht seiner Erwartung entsprochen hatte? Ein Schelm ...

M. Vogel / 06.10.2023

Da fällt mir doch glattweg der Sachsen-Spruch aus “Go Trabi, go” ein. Wir Sachsen, wir sind helle, det weeß die ganze Welt, Und sind wir mal nicht helle, dann ham wir uns verstellt.

Dirk Kern / 06.10.2023

Findet da zusammen, was zusammen gehört?

Jochen Lindt / 06.10.2023

Brandmauer = Regierung.

Dietmar Herrmann / 06.10.2023

In Mitteldeutschland gibt es die ersten Brandmauerspechte und somit lebendige Demokratie. Bei den anstehenden Wahlen im Westen wird hingegen wieder der Verrat am Souverän geplant, indem die überragende Mehrheit der bürgerlich-konserativ-patriotischen Wähler (AfD/ CDU/Freie/FDP) einfach ignoriert und durch eine gründominierte ,CDU-tolerierte Merkelrosettenlecker-Bande beiseite geschoben wird. Ein Sonderfall ist Bayern, wo aber durch Söder nichts außer Bullshit zu erwarten ist.

N.Lehmann / 06.10.2023

Wenn diese “Brandmauer” fällt, ziehen die Rückwärtsgewandten-Öko-Links-faschisten die Nächste hoch. Es geht um Pfründe, die verteidigt werden müssen. Koste es was es wolle!

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