Christoph Kramer / 22.10.2020 / 16:30 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Berlin kann Quarantäne – mein Tagebuch

Ja, ich war unvernünftig, ich habe gesündigt und nun geschieht es mir recht. Erstens wohne ich in Berlin. Und zweitens war ich zum Urlaub in einem Corona-Risikogebiet. Fronkreich, Fronkreich. Ich weiß, das war total unverantwortlich, aber zum Glück trotzdem total legal. Jetzt hab ich aber den Salat, denn für Reiserückkehrer aus Corona-Risikogebieten lautet der Befehl: PCR-Test und dann ab in die Quarantäne, bis das Ergebnis da ist. Und wenn es negativ ist, darf man wieder raus. Hmmm, wie lange mag das wohl dauern, bis so ein Testergebnis kommt, hab ich mich natürlich gefragt. Als ich die Reise buchte, hieß es: 24 bis 48 Stunden. Als ich die Reise antrat, hieß es: bis zu 72 Stunden. Jetzt, nachdem ich wieder zurück bin, steht auf der einschlägigen Seite: „Auf Grund der gestiegenen Anfrage an Covid-19 PCR-Testungen, kommt es derzeit zu Verzögerungen in der Ergebnisauswertung/Analyse. Dies betrifft insbesondere die Testung von symptomlosen Reiserückkehrern.“ 

Ja, das betrifft besonders mich, denn ich sitze nun bereits seit 96 Stunden in Corona-Quarantäne und warte auf mein Testergebnis. Sonst geht es mir prima. Ich bin völlig symptomfrei und fühle mich kerngesund. Ich hab eigentlich keine Angst, dass ich mir Corona eingefangen haben könnte. Aber ich frage mich, ob ich hier jemals wieder rauskomme. Zwischenzeitlich fiel noch die Heizung aus und der Lieferdienst vom Supermarkt konnte meine Bestellung erst an Tag vier ausführen. So saß ich drei Tage in einer kalten Wohnung mit einem leeren Kühlschrank und überlebte nur dank Pizzalieferdienst, Wollpullover und Netflix. Selbst schuld! Ich hätte ja nichts ins Risikogebiet fahren müssen. Das heißt ja nicht ohne Grund so. Man geht eben ein Risiko ein.

Jeden Morgen werfe ich einen bangen Blick auf die neuen Testergebnisse, nur um festzustellen, dass mein Corona-Test nicht dabei ist. War vielleicht beim Testen etwas schiefgegangen? Der Abstrich fand in einer großen Halle im Berliner Hauptbahnhof statt. Da stand ich mit hunderten Reiserückkehrern in einer langen Schlange. Am Ende erwartete uns nach einer guten Stunde eine Gruppe Bundeswehrsoldaten, Oberfeldwebel, Unteroffizier, Stabsgefreite ohne Namensschilder an den Uniformen. Sie trugen sorgfältig unsere Daten am Computer in lange Listen ein. Mir gingen ein paar Schlagwörter durch den Kopf („Datenschutzgrundverordnung“, „Einsatz der Bundeswehr im Inland“), aber ich stellte keine Fragen und ließ alles über mich ergehen. Dann stieß mir der Onkel Doktor den langen Teststab in den Hals, ein kurzes Röcheln und es war vorbei. Dachte ich.

Aber es ist nicht vorbei. Es zieht sich. Offenbar gibt es sehr viele Risiko-Reiserückkehrer wie mich und zu wenige Kapazitäten für die Durchtestung der unvernünftigen Massen. Sollte man sich da vielleicht um Ausweitung der Kapazitäten bemühen? Ach was. In den nächsten Ferien wird es bestimmt nicht mehr so schlimm. Die Qual der langen Quarantäne wird viele von uns schon zur Räson bringen. 

Zum Glück heißt mein Arbeitgeber Achgut.com. Die haben Humor. Und ich sorge seit meinem Urlaubsende jeden Tag mit einer Entschuldigungs-Email für Unterhaltung:

19.10.2020

Guten Morgen,

ich bin aus dem Urlaub zurück und momentan noch in der häuslichen Quarantäne und warte auf mein negatives Coronatestergebnis. Soll es heute eine Zoom-Konferenz geben? 
Das würde auch aus dem HomeOffice gehen.

Freundliche Grüße

20.10.2020

Liebe Kollegen,

auch heute war mein Coronatest-Ergebnis noch nicht auf der dafür vorgesehenen Seite einsehbar: https://www.mdi-limbach-berlin.de/ (Da kann man sehen, wieviele Tests negativ/positiv sind)

Ich kann also morgen noch nicht ins Büro kommen.

Auf der Seite heißt es jetzt auch: "Auf Grund der gestiegenen Anfrage an Covid-19 PCR-Testungen, kommt es derzeit zu Verzögerungen in der Ergebnisauswertung/Analyse. Dies betrifft insbesondere die Testung von symptomlosen Reiserückkehrern.“

Es ist also unklar, wann ich endlich aus der Quarantäne rauskann :-(

Freundliche Grüße

21.10.2020

Auch heute war mein Test nicht dabei. Kann also heute und morgen vormittag noch nicht ins Büro.

Freundliche Grüße

22.10.2020

Es bleibt bei „Warten auf Godot“. Auch heute kein Testergebnis für mich. Ich fürchte, ich werde erst am Montag wieder ins Büro kommen können (hoffentlich!)

LG Christoph

Nachtrag 23.10.2020

Liebe Kollegen,

die Farce geht weiter. Kein Testergebnis heute auf mdi-limbach-berlin.de

Alles weitere könnt ihr ja auf Achgut nachlesen:

https://www.achgut.com/artikel/berlin_kann_quarantaene_mein_tagebuch

Ich hab mir übrigens von Bundeswehrfreunden sagen lassen müssen, dass die Soldaten keinen „Einsatz“ der Bundeswehr im Innern machen, sondern „Amtshilfe“: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/streitkraeftebasis/im-einsatz/der-inspekteur-der-streitkraeftebasis-informiert

Ich wünsche schon mal ein schönes Wochenende und hoffe auf ein Wiedersehen am Montag.

Venceremos!

LG Christoph

Nachtrag 26.10.2020

Liebe Kollegen,

einen schönen Guten Morgen! Ich schreibe aus dem Büro, denn seit Samstag habe ich meinen Corona-Test. Negativ. Nach 6 Tagen kam dann doch ein Ergebnis. Mein Dank gilt dem Labor, das zur Zeit offenbar rund um die Uhr rödeln muss, um die Massen an Tests zu bewältigen und das netterweise auch am Wochenende die Ergebnisse veröffentlicht hat.

Freundliche Grüße

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Hermann Sommer / 22.10.2020

@K.Bucher - Guter Vergleich, nur daß damals in Berlin der Ivan kam und den 13-jährigen Uniformierten nach Walhall schickte oder im -Glücksfall- ein GI dem Buben die Waffe abnahm, eine gehörige Tracht Prügel gab und ihm Spearmint mit einem Zettel in die Tasche schob: “Wir kämpfen nicht gegen Kinder!” Die amerikanische Lösung wäre heutzutage wieder angebracht.

Frank Danton / 22.10.2020

Was ist nur los mit ihnen? Ist das ihr Ernst das sie sich seit 4 Tagen vorführen lassen von den Clowns im Parlament?

Helmut Scheid / 22.10.2020

Das was sie Christoph Kramer da in Berlin erleben mussten und wohl immer noch müssen ist eine absolute Unverschämtheit! Dann auch noch den Einsatz von Bundeswehrsoldaten über sich ergehen lassen zu müssen, der “absolute Hammer”! Checken diese Pappnasen nicht was sie da tun? “Befehl ist Befehl” war doch mal im Nazireich angesagt…..............unglaublich. Bleiben sie tapfer und lassen es sich trotzdem “gut gehen”..........

m. neland / 22.10.2020

So lustig ist das nicht. Und Pizzaliefer und Netflix sieht auch nicht nach Brainfood aus. Angesichts und in Kenntnis der Lage hätte man da Vorsteuern können. Gute Konserve oder Frischtiefkühl sowie Test bei Abreise vom Urlaubsort. Bei negativem Ergebnis max ein Tag Q.

Volker Dreis / 22.10.2020

Was ist eigentlich das größere Risikogebiet? Teile von Frankreich oder Berlin?

Wolfgang Kaufmann / 22.10.2020

Sie sitzen Ihre Zeit jetzt bei Pizza und Netflix ab; die allseits bekannten Verursacher dann bei Wasser und Brot. Leider steht der Gedanke der Resozialisierung nicht mehr im Vordergrund, sonst wäre noch Steineklopfen im Steinbruch im Angebot. Na ja, man wird ja wohl mal träumen dürfen. Und nein, Masken sind in deutschen Gefängnissen verboten, wir sind ja hier nicht in Guantánamo.

K.Bucher / 22.10.2020

Meine Phantasie spielt mir mal wieder einen streich aber ich liebe es trotzdem wie es ist .Mir kommt das in gewisser weise so wie in Berlin im sogenannten Endkampf vor .Und am Hauptbahnhof verteilen spärliche Reste der Wehrmacht und SS Truppen noch ein paar wenige Lebensmittel und natürlich auch paar Panzer und sonstige Abwehrwaffen an die Bedauernswerten ausgebombten und Verletzten . Und auf einmal ist Toten Stille und der Gröfaz samt Knechte kommt Höchstpersönlich vorbei um 10 bis 15 Jährigen auf die Schulter zu klopfen und das EK 1 Klasse in Massen zu verteilen .......Berlin ? der Horror ist zurück wer hätte das gedacht ?

Th.F.Brommelcamp / 22.10.2020

Wie in der DDR ist die Reisefreiheit nur der Elite(Staatsrat und FDJ) und den Rentnern gegeben. Der Rentner, soweit er nicht dem ideologischen Gehorsam frönt,  verreist und pfeift auf die Quarantäne. Er fährt mit Auto, meist ein Diesel, und über lässt das Fliegen denen die gern überprüft werden. Rentner haben Mut zur Lücke.

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