Tobias Kaufmann / 30.07.2007 / 22:22 / 0 / Seite ausdrucken

Bagdad leuchtet

Ausnahmezustand. Selten klang dieses Wort so nach Hoffnung wie am Sonntag im Irak. Menschen tanzten auf den Straßen. Sie trugen Fahnen in den Händen und die Nationalfarben im Gesicht, Frauen verteilten Süßigkeiten, junge Männer fuhren hupend durch die Städte. Erstmals hat der Irak die Asienmeisterschaft im Fußball gewonnen, durch ein 1:0 gegen die Saudis in der indonesischen Hauptstadt. Es ist das Wunder von Jakarta, fußballerisch sowieso, aber auch sonst. Sport als Kleister der Gesellschaft wird oft übertrieben, oft belächelt. Wegreden kann man das Phänomen aber nicht - nicht einmal wegsprengen.

„Mir fehlen die Worte, und ich kann meine Gefühle nicht beschreiben, also seht es mir nach, wenn dieser Eintrag etwas wirr erscheint“, schreibt Omar aus Bagdad auf seiner Internetseite „Iraq the Model“. Trotz der gefährlichen Freudenschüsse, die auch an diesem Tag mindestens sieben Menschen das Leben kosten, trotz der Gefahr, dass sich wie nach dem Sieg im Halbfinale Selbstmordattentäter inmitten der Jubelnden in die Luft sprengen - der Irak, der ein einziges Tal der Tränen scheint, badet im Glück. „Die Angst ist verschwunden“, schreibt Omar, „die Ausgangssperre wird ignoriert, heute kennt der Irak nur Freude.“

Die Flanke des Kurden Mullah Mohammed und ein Kopfball des sunnitischen Mannschaftskapitäns Yunis Mahmud gegen 21.45 Uhr Ortszeit in Jakarta löste im fernen Irak einen nationalen Taumel aus, der alle Gräben verwischt. „Als ich mit unserem Büro in Suleymaniah in den irakischen Kurdengebieten telefoniert habe, hörte ich das Hupkonzert im Hintergrund“, erzählt Thomas von der Osten-Sacken von „WADI e.V.“, einem Verband für Krisenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit. „Es war das erste Mal seit den Wahlen, dass die Kurden wieder wegen etwas Gesamt-Irakischem auf die Straße gehen.“ Der Jubel über die Fußballer erfasst alle: Kurden, Schiiten, Sunniten und Turkmenen. Es ist der Stolz auf ein Team, in dem Spieler aus allen Bevölkerungsgruppen stehen, und das vorlebt, wonach sich die Mehrheit der Iraker sehnt: Einheit.

In die Begeisterung mischt sich deshalb Kritik an der zutiefst korrupten und sektiererischen Politik im Land. „Unsere Spieler haben gelernt, dass sie nur mit Teamwork erfolgreich sein können“, stellt Omar fest, und fährt mit einem Pathos fort, wie ihn nur siegestrunkene Momente hervorbringen können: „Mögen die Politiker von den Spielern und von den Fans lernen, die ein Bild der Einigkeit und des nationalen Stolzes zeichnen und die Terroristen wissen lassen, dass nichts den Geist der Söhne der unsterblichen Euphrat und Tigris töten kann.“ Irakische Politiker aller Fraktionen beeilen sich, die Erwartungen zu erfüllen. „Eure Freude ist stärker als der Hass der Terroristen“, teilte Premier Nuri el Maliki den Kickern mit.

Selbst wenn man es nüchtern betrachtet, bleibt das Fußballteam des Irak ein Phänomen. Zu Zeiten von Saddams Tyrannei litten die Spieler unter dessen grausamem Sohn Udai, Chef des Nationalen Olympischen Komitees des Irak. Nach Misserfolgen, so berichten Ex-Nationalspieler, wurden sie geschlagen und gefoltert. Heute macht das Team das Land stolz. Allzu offensichtlichen Jubel der US-Regierung weisen die Spieler ebenso zurück wie andere Vereinnahmungen. Dennoch: Wenn es ein erfolgreiches Projekt des „neuen Irak“ gibt, dann ist es der Fußball. 2004 erreichte der Irak Platz vier bei den Olympischen Spielen in Athen, 2006 wurde er Zweiter bei den Asienspielen in Katar. Von der Osten-Sacken sagt: „Gerade im Nahen Osten, wo die jungen Männer nichts zu tun haben und von Terrorgruppen regelrecht an der Straßenecke aufgesammelt werden, kann so ein Erfolg viel bewirken.“ Kicken statt killen - so einfach wird es nicht sein, nicht einmal nach dem Wunder von Jakarta. Aber ein bisschen träumen ist erlaubt.

Kölner Stadt-Anzeiger, 31.07.07

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