Tobias Kaufmann / 08.04.2013 / 00:32 / 0 / Seite ausdrucken

Widerspruch

Die Morde der NSU sind ein Beleg für einen schleichenden Völkermord an geschäftetreibenden Türken in Deutschland. Jene Neonazi-Schlägertrupps mit christlichem Hintergrund, die sich von Rostock bis Regensburg Nacht für Nacht zusammentelefonieren und wehrlose Ausländer zusammentreten, sind nicht etwa Einzelphänomene, die diese Gesellschaft bekämpfen muss. Sie sind weit darüber hinaus Werkzeuge eines Genozids, und die Tatsache, dass das niemand ausspricht, zeigt, wie sehr wir Deutschen eingeschüchtert werden, wie blind und wie fehlinformiert von Medien, die wegsehen und verharmlosen, weil die Opfer ja ohnehin keine Abonnenten sind – und selbst Teile des Staates stecken mit drin in dieser Verschwörung. Sonst hätte man ja türkische Medien zum Prozess gegen die NSU zugelassen.
Wenn jemand etwas wie den obigen Absatz schriebe und auf der Achse des Guten veröffentlichte, dann würde jeder Leser dieses Blogs völlig zu Recht annehmen, der Autor habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und man würde sich fragen, wie eine derart unjournalistische Tirade, die keinen belegbaren Fakten-Kern hat, auf einer Seite erscheinen kann, für die mit Broder, Miersch und Maxeiner drei der profiliertesten Journalisten dieses Landes verantwortlich zeichnen. Und zwar ohne, dass jemand der anderen ständigen Autoren des Blogs widerspricht.
Leider ist genau so etwas in den vergangen Tagen passiert. Die Formulierungen aus dem ersten Absatz stehen zwar nicht wortgleich, aber doch mit derselben Aussage in einem Text von Akif Pirincci. “Das Schlachten hat begonnen” verortet den “Genozid” allerdings woanders: Dessen Opfer seien junge deutsche Männer, die Täter meist junge Männer moslemischen Glaubens. Pirincci hat für diese These eine Menge krasser Formulierungen parat, aber außer einem Einzelfall keinen belastbaren Fakt. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass es keine Statistik gibt, die nahelegt, Banden junger Muslime terrorisierten in der Absicht das Land, die Bevölkerungsgruppe junge, deutsche Männer ganz oder teilweise zu vernichten (und die Frauen zu vergewaltigen) – diese Tatsache ist für den Autor kein Widerspruch, sondern eine Bestätigung. Die Statistiken würden von offiziellen Stellen bewusst geheimgehalten. “Es ist aber wohl nicht übertrieben, wenn man taxiert, dass es sich um die Opferanzahl eines veritablen Bürgerkriegs handelt”, schreibt Pirincci hier: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/das_schlachten_hat_begonnen
Nicht nur, dass diese Schätzung jedem rational denkenden Menschen eben doch als extreme Übertreibung auffallen muss – die gesamte Beweisführung ohne Beweise erinnert fatal an die Verschwörungstheorien, gegen die die Achse des Guten stets ankämpft. All die 9/11-Spinner, Antisemiten oder Anti-Gentechnik-Hysteriker argumentieren auf diese Weise.
Kein Wunder, dass Pirinccis Text unter rechtsextremen Verschwörungstheoretikern im Netz gefeiert wird. Richtig, ein Autor kann oft nichts für Applaus von der falschen Seite. In diesem Fall aber ist es grotesk, wenn unser Gastautor sich mit dem Satz herausredet, er habe seinen Text ja nicht an die NPD gemailt. Das war auch nicht nötig. Denn Pirincci verwendet all die Codes und Argumente, die Kern der NPD-Ideologie sind. Die sich selbst hassenden Deutschen, die duckmäuserisch jede politisch unkorrekte Äußerung vermeiden. Die Nazi-Keule, die uns zum Schweigen bringt. Der Migrant, der mehr wert ist als der Einheimische. Während man letzteren beinahe ungestraft umbringen darf, sind die “archaischen und menschenverachtenden Sitten und die beschissene Religion” des Migranten “sakrosankt und blind zu akzeptieren.” Sogar eine implizite Aufforderung zur Selbstjustiz. All das und noch viel mehr kommt in Pirinccis Text vor, und all das ist samt und sonders Standardrhetorik der NPD und anderer Neonazis. Nur unwesentlich abgewandelt wurden diese Formulierungen auch von angeblichen Humanisten in der Beschneidungsdebatte gegen Juden verwendet.
Seit Jahren argumentieren Publizisten im Netzwerk der “Achse” nicht nur gegen hinter aufklärerischen Motiven versteckten Judenhass, sondern auch gegen den Kampfbegriff Islamphobie sowie gegen die Behauptung, jeder Islamkritiker sei ein Rassist. Unsere Argumentation lautete stets: Man kann den Islam und muslimische Jugendliche so wie jede andere Ideologie bzw. Menschengruppe (z.B. Israelis) sehr scharf attackieren, ohne sich der Weltanschauung von Nazis zu bedienen.
Doch Pirincci verzichtet darauf. Er argumentiert wie die Nazis, also muss er auch damit leben, dass sie ihm zustimmen. Ich bin über diesen Text empört und erschreckt. Nicht zuletzt, weil er unsere Glaubwürdigkeit als Publizisten untergräbt, deren Kritik am Islam eben nicht auf Ressentiment gründet.
Nicht nur Thesen in diesem Text sind erschreckend, sondern auch die Sprache, in der er verfasst ist. Abgesehen von den Fäkalausdrücken und den Fantasien, in denen die Deutschen, deren Söhne ermordet wurden, den Tätern noch den Schwanz lecken, strotzt der Text von pauschalen Ausfällen gegen “die” Medien und “die” Journalisten, die linksgestrickt und von den Grünen beherrscht sind, weswegen die Meldung über einen totgeschlagenen Deutschen einerseits nur “aus Unachtsamkeit” in eine lokale Ausgabe der Bild-Zeitung rutscht und die “sich steigernde Deutschen-Totschlägerei” andererseits “medial sukzessive an ihrer Brisanz” verliert.
Die meisten Autoren auf der Achse des Guten sind Journalisten. Sie arbeiten für deutsche Medien. Die Art und Weise, wie Pirincci über den Berufsstand herzieht, dem nicht nur ich, sondern auch Achsen-Autoren wie Alexander Gutzmer, Malte Lehming, Jan Fleischhauer, Jan-Philipp Hein, Burkhard Müller-Ullrich oder Hannes Stein angehören, kenne ich gut –  und zwar aus Hetzschriften und Foren von Extremisten.
Ich habe nie eine K-Gruppen-Ausbildung genossen und bin allergisch gegen Gesinnungsschnüffler und Sektierer, die aus jedem falsch gesetzten Komma eine Grundsatzdebatte machen. Ich habe viel übrig für Polemik, für Sarkasmus und brutale Metaphern – all dies gehört seit Jahren auch zu meinem Handwerkszeug, wenn es sein muss. Dass auf der Achse des Guten immer mal wieder Texte erscheinen, die nicht allen anderen Autoren gleichermaßen zusagen, und dass die anderen Autoren solche Texte schweigend ertragen, ohne die Loyalität zum Gesamtprojekt in Frage zu stellen, hielt ich immer für großartig und richtig. Auch deshalb sind die Versuche, dieses Blog als Textbausteinbruch von Anders Breivik zu diffamieren, m.E. gescheitert.
Dass jedoch ein Text wie “Das Schlachten hat begonnen” auf diesem Blog erscheinen konnte, für den ich seit 10 Jahren schreibe, erschüttert mich zutiefst. Nicht, weil ich Akif Pirincci, den ich gar nicht kenne, den Mund verbieten will – soll er schreiben, was er für richtig hält. Aber nicht hier, nicht im Namen des Guten, in einem Forum, das Freunde von mir gegründet haben.
Aber nun steht er numal hier. Und deshalb will und muss ich ihm zumindest widersprechen. Dieser Text ist nicht von liberalen Grundsätzen geprägt, er ist journalistisch nicht gedeckt und moralisch nicht haltbar. Ich widerspreche seiner These, seiner Rhetorik, seiner Sprache, seiner ideologischen Ausrichtung. Mit “Das Schlachten hat begonnen” von Akif Pirincci will ich nicht gemein gemacht werden, nicht einmal im Ansatz, unter keinen Umständen. Und ich hoffe, dass ich damit hier, in diesem Forum, das ein liberales Leuchtfeuer in der Dunkelheit sein soll, nicht allein stehe.

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