Kolja Zydatiss / 27.11.2020 / 06:15 / Foto: Imago / 116 / Seite ausdrucken

Ausgestoßener der Woche: Harald Martenstein

Der erste Ausgestoßene dieser Woche ist Harald Martenstein. Der Journalist wurde letzten Sonntag mit einer Schere geradezu klinisch aus dem Tagesspiegel entfernt und einer Mülltonne überantwortet. Martenstein ist ein regelmäßiger und von vielen Lesern geschätzter Kolumnist. Und ebenjene Zeitung findet das gut. Und der Deutsche Journalistenverband (DJV) auch! Doch der Reihe nach.

Ein Achgut.com-Leser wies mich am Montag per E-Mail darauf hin, dass der Nutzer @musichistorylaw am 22. November 2020 folgendes auf Twitter gepostet hatte:

„Meine Frau arbeitet für ein Supermedium mit tollen Kolleg*innen, die sich jeden Tag kaputt schuften, um hochwertige, ausgewogene Information zur erarbeiten.

Ich lass mir den @Tagesspiegel nicht mehr kaputt machen von diesem verblendeten alten weißen „Gauland mit Sprachkompetenz“"

Bebildert ist der Post mit Fotos von einem Menschen, der mit einer Schere eine Kolumne von Harald Martenstein aus einer Printausgabe des Tagesspiegel ausschneidet und in eine Mülltonne wirft.

Das ist erst einmal nicht besonders bemerkenswert. Solche kindischen, theatralischen Inszenierungen ist man von „Linkstwitter“ gewohnt. Sehr interessant und aufschlussreich ist aber, wer alles diesen Post „geliked“ hat. Der Leser, der mir den Hinweis zusandte, hat mit einem Screenshot belegt, dass der Post zunächst vom offiziellen Twitter-Account des Tagesspiegel mit einem Herzchen versehen wurde. Dieser Like ist mittlerweile rückgängig gemacht worden. Im „Herzchenregister“ weiterhin sichtbar sind aber (Stand 25.11.2020, 16 Uhr) Likes vom offiziellen Account von „Tagesspiegel Sonntag“, sowie von zahlreichen Tagesspiegel-Mitarbeitern (z.B. von Stefan Jacobs und Constanze Nauhaus, beide nach eigenen Angaben „Berlin-Redakteure“ bei dem Blatt).

Pikant: Auch der offizielle Twitter-Account des Deutschen Journalistenverbands (DJV) hat den betreffenden Post mit einem Herzchen versehen. Bei der größten Journalisten-Organisation nicht nur Deutschlands, sondern Europas (Wikipedia) findet man es also offenbar gut, wenn ein unliebsamer Journalist nach Art von Väterchen Stalin ausgetilgt wird. Wie man in England sagt: „You’ve got some explaining to do.“

Einige Mitarbeiter hätten sogar geweint

Bei Penguin Random House Canada ist indessen ebenfalls die Hölle los. Der Verlag ist einer von drei Verlagen der multinationalen Penguin Random House Gruppe, die im März 2021 Jordan B. Petersons Sachbuch „Beyond Order: 12 More Rules for Life“ herausbringen wollen. Peterson ist ein kanadischer Psychologieprofessor, der erstmals 2016 international Bekanntheit erlangte, weil er sich einem kanadischen Gesetz über Transgender-Rechte widersetzte, das aus seiner Sicht die Redefreiheit verletzt. Als Redner, YouTuber und Buchautor erreicht er mittlerweile ein Millionenpublikum. Leser der Achse des Guten kennen seine wöchentlich ins Deutsche übersetzten Beiträge unter dem Kolumnentitel „112 Peterson“.

Offenbar ist die Person Peterson so kontrovers, dass zahlreiche Penguin-Random-House-Mitarbeiter gegen das Buchprojekt Sturm laufen. Wie „Vice“ berichtet, verkündete der Verlag (der 2018 bereits Petersons Bestseller „12 Rules for Life: An Antidote to Chaos“ herausbrachte) die Entscheidung am Montag in einem sogenannten „Town Hall Meeting“, also einer Präsentation der Geschäftsleitung mit anschließender Diskussion. Dabei sei es sehr emotional zugegangen. Eine Mitarbeiterin habe davon erzählt, wie Peterson ihren Vater „radikalisiert“ habe, und ein weiterer Angestellter habe die Sorge geäußert, die Buchpublikation könne negative Konsequenzen für einen „nicht-binären“ Freund haben (also einen Freund, der sich weder als Mann noch als Frau fühlt). Einige Mitarbeiter hätten sogar geweint. Die Leiden der jungen Kreativwirtschaftler ...

Laut Vice erhielt das Diversitäts- und Inklusions-Komitee des Unternehmens (ja, so etwas gibt es) mehr als 70 anonyme Rückmeldungen von Mitarbeitern zu dem Vorhaben, die meisten davon negativ. Offenbar scheinen zahlreiche Angestellte des Verlags zu glauben, dass Peterson seinen Fans irgendwie rechtsextreme Positionen nahebringt. „Er ist für die Radikalisierung verantwortlich, er hat den Aufstieg von Alt-Right-Gruppen, insbesondere auf Uni-Campussen, verursacht“, zitiert Vice eine Mitarbeiterin. „Er ist eine Ikone der Hassrede und der Transphobie, und die Tatsache, dass er eine Ikone von ‚White Supremacy‘ ist, macht mich unabhängig vom Inhalt seines Buchs nicht stolz, für eine Firma zu arbeiten, die ihn veröffentlicht“, sagt eine weitere, die sich offenbar überhaupt nicht mit den Positionen Petersons auseinandergesetzt hat.

Bekannt für seine Ablehnung von politischem Extremismus

Sonst wüsste sie, dass Peterson sich in keinem Vortrag und in keiner Zeile seiner Schriften jemals nationalistisch oder gar rassistisch geäußert hat. Tatsächlich hassen ihn viele Rechtsextreme, weil er als selbstbezeichneter „klassischer Liberaler“ und Befürworter des Individualismus jede Form von „Identitätspolitik“ – also auch die von Rechts – ablehnt und „das Rassenthema nicht konfrontieren will“, wie der Vordenker der weiß-suprematistischen Alt-Right-Bewegung Richard Spencer es ausdrückt.

Peterson ist auch bekannt für seine Ablehnung von politischem Extremismus. In seinen Vorträgen und Videobeiträgen versucht er immer wieder, gerade junge Männer von den politischen Rändern wegzulotsen. Das weiß auch Penguin Random House. Peterson habe „Millionen Menschen geholfen, die an den Rändern der Gesellschaft sind und ansonsten von Alt-Right-Gruppen radikalisiert worden wären“, zitiert Vice die Verlagsvertreterin Anne Collins.

Theatralische Proteste in der Verlagsbranche können leider ernste Folgen haben. Im März dieses Jahres entschied das US-Verlagshaus Hachette, eine Autobiographie von Woody Allen nicht herauszubringen, nachdem Mitarbeiter aus Protest gegen das Vorhaben die Arbeit niedergelegt hatten. Gegen den Regisseur und Schauspieler gibt es seit Jahrzehnten Missbrauchsvorwürfe, die jedoch nie stichhaltig belegt wurden oder zu irgendeinem Strafurteil geführt haben. Ein klarer Fall von Cancel Culture. In Sachen Peterson ist laut Vice im neuen Jahr ein weiteres, größeres Meeting bei Penguin Random House Canada geplant. Tipp an die Belegschaft: Vielleicht bis dahin mal die Unterschiede zwischen liberalen und rechtsextremen Weltanschauungen recherchieren. Ist mindestens genauso interessant wie das letzte Gender-Seminar an der Uni, versprochen!

„Rundumschlag der Diskriminierung“

Eine Kontroverse gab es diese Woche auch um den Bürgermeister der niedersächsischen Samtgemeinde Sickte, Marco Kelb. Der CDU-Politiker hatte vor etwa drei Wochen auf einen Twitter-Post des WDR-Moderators Georg Restle, in dem dieser „mehr Diversität“ im deutschen Journalismus forderte, geantwortet:

„Dann räumen Sie doch Ihren Platz für eine dunkelhäutige muslimische Transfrau mit Wurzeln in Simbabwe und Dänemark! Schon herrscht mehr Diversität bei [sic!] WDR!“

Nun fordert der SPD Landesverband Niedersachsen den Rücktritt des Bürgermeisters. „Ich bin erschüttert über die Aussagen“, zitiert ndr.de die kommissarische Generalsekretärin der SPD Niedersachsen, Hanna Naber. Der Tweet sei ein „Rundumschlag der Diskriminierung“. Kelb verhöhne den Einsatz gegen Rassismus. Neben einem „sofortigen Rücktritt“ forderte Naber laut ndr.de eine „eindeutige Distanzierung“ durch den Landesverband der CDU. Auch Marcus Bosse, SPD-Chef des Landkreises Wolfenbüttel, zu dem Sickte gehört, habe Kelbs Äußerungen verurteilt.

Laut ndr.de hat der im Frühjahr gewählte Bürgermeister die Rücktritts-Forderungen zurückgewiesen. Seine Äußerung sei sarkastisch gemeint gewesen. Er habe mit dem Tweet sein Unverständnis ausdrücken wollen, dass Merkmale wie Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft Leitkriterien für die Zusammensetzung von TV-Redaktionen sein sollen. Stattdessen solle sich die Personalauswahl streng nach den Kriterien Eignung, Befähigung und Leistung richten.

Den gesamten Twitter-Account gelöscht. Ob das reicht?

Soweit, so nachvollziehbar. Damit müsste die Sache eigentlich erledigt sein. Aber in der heutigen Zeit muss man meist noch ein paar Kotaus machen, um wieder in den Kreis der Guten und korrekt Denkenden aufgenommen zu werden. Laut ndr.de hat Kelb bereits erklärt, dass er den Kommentar so nicht noch einmal machen würde, und seinen gesamten Twitter-Account gelöscht. Ob das reicht?

Auf einen weiteren Ausgestoßenen der Woche macht „Spiked“ aufmerksam. Laut dem britischen Online-Magazin ist der verstorbene Dichter, Übersetzer und Kinderbuch-Autor Ted Hughes kürzlich zu einem Dossier der britischen Nationalbibliothek „British Library“ hinzugefügt worden, welches persönliche Verbindungen von Autoren zu Sklaverei und Imperialismus dokumentiert. Der Grund: Hughes hatte einen im Jahr 1592 geborenen Vorfahren, der aufgrund seiner Arbeit für die London Virginia Company mit dem Kolonialismus in Nordamerika zu tun hatte. Laut Spiked hängt das akribische Dokumentieren solcher Verbindungen mit dem im Sommer dieses Jahres ausgegebenen Ziel der British Library zusammen, eine „aktiv anti-rassistische Organisation“ zu sein.

Ted Hughes selbst lebte von 1930 bis 1998 und war bis zu deren Selbstmord mit der feministischen amerikanischen Autorin Sylvia Plath verheiratet. Sein Vater betrieb laut Spiked einen Tabakladen. Während des Studiums habe Hughes aufgrund seiner bescheidenen Familienverhältnisse ein Stipendium erhalten. Wie genau der Autor von den moralisch fragwürdigen Tätigkeiten seines mehr als 300 Jahre früher geborenen Vorfahren profitiert haben könnte, bleibt unklar.

Foto: Imago

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Silas Loy / 27.11.2020

Es ist doch ganz egal, ob es einen guten Grund gibt. Wichtig ist, dass Exempel statuiert werden. Jede Granate ein Treffer. Das nennt man Sperrfeuer. Alle bleiben schön in Deckung bzw. legen sich ganz schnell wieder flach hin. Die sperrfeuernden linken Spinner*Innen haben doch gar nichts anderes als die nackte Gewalt, um sich zu verteidigen. In der Sache haben sie längst verloren, ja nie etwas geleistet. Intellektuell sind sie völlig überfordert, deshalb sind sie so meinungsstark, moralisierend und emotional. Diese Klapsmühlenkandidat*Innen haben nur ihre geliehenen oder geklauten Mörser und sie wissen oder fühlen das auch, irgendwie. Aber natürlich ist das Terror und natürlich muss das weg.

Dieter Kief / 27.11.2020

Esther Burke - das ZEIT-Magazin ist eine bundesweit wahrgenommene Bühne. Solche gibt es gar nicht so viele.

Peter Woller / 27.11.2020

Um nicht als Doppel-Moralist aufzutreten. Wenn ich in meinem Leben “Böcke geschossen” habe, musste ich dafür bezahlen. Es gab Sanktionen, Strafen, und Nachteile, die weh tun. Privat habe ich einen “Bock geschossen”, deshalb bin ich seit 29 Jahren allein. Tut weh. Beruflich habe ich zwei “Böcke geschossen”, die auch empfindlich bestraft wurden. Wenn aber nun Linke und Grüne politisch und gesellschaftlich einen “Bock nach dem anderen schießen”, dann stehen sie im Mainstream hoch im Ansehen, werden von allen etablierten Politikern und Medien bejubelt und gefeiert, und hoch gelobt und belohnt. Und sehen Sie, liebe Ach-Gut-Community, dass ist wirklich Doppelmoral. Wenn ich “Böcke schieße”, werde ich bestraft, sanktioniert, und benachteiligt. Wenn Linke und Grüne “Böcke schießen”, werden sie gelobt, gepriesen, gefeiert, und belohnt. Also wenn Peter “Böcke schießt”, dann muss er sofort leiden und hart bestraft werden. Wenn Linke “Böcke schießen”, dann sind sie Wohltäter der Menschheit. Wie konnte Deutschland denn so links werden?

Frances Johnson / 27.11.2020

@ Ilona Grimm: Ich finde, sowas bringt nichts. Das waren in erster Linie jüdische Bücher. Hier geht es eher darum,  Menschen wie Martenstein oder Petersen abzuwerben, zu einer Art Umkehr zu zwingen oder zu erzwingen, dass der TS z.B. kündigt. Martenstein würde durchaus von einem linken Lehrer mit Schülern diskutiert, aber mit Tendenz vielleicht. Jüdische Literatur existierte offiziell nicht mehr. Ich habe zwei Schulbücher meiner Mutter. Kein Heine. Nichts. Die Bücherverbrennung erinnert an den IS später, der Kulturstätten eliminierte, das Grab des Jonas z.B. Das Jüdische wurde eliminiert, erst die Chancen und die Teilhabe, dann die Geschäfte, Bücher, Synagogen, zuletzt die Juden selbst. Eliminatorischer Antisemitismus. Er sollte in Nahost fortgesetzt werden und keine Spur hinterlassen. Twitter ist nicht NS. Twitter ist vor allem bled. Schwachsinnig. Und Verlage, voran die NYT, kuschen vor Werbeträgern aus Arabien und einem Geist: Dem Zeitgeist. Ist sehr unangenehm, aber nicht der NS mit dem Blood Label gegen Juden.

Markus Michaelis / 27.11.2020

Die Sache mit Marco Kelb ist doch mit seiner Klarstellung/Entschuldigung nicht erledigt. Es geht doch offensichtlich nicht um die rein imaginäre Transfrau aus Simbabwe, sondern um Georg Restle, und diese Fragestellung bleibt doch. Wenn wir mehr Diversität im Journalismus haben wollen, reicht es doch offensichtlich nicht Journalisten mit AFD-Hintergrund durch Menschen mit diversem Hintergrund zu ersetzen, weil es, insbesondere in den staatstragenden Medien mit Finanzkraft und Reichweite kaum solche Journalisten gibt. Es geht daher natürlich um Leute wie Restle die ihren Posten räumen sollten - wen denn sonst, es ist ja kaum ein anderer da (in den Medien, um die es geht). Er ist auch noch ein älterer, weißer, europäischer, biodeutscher Mann - mehr geht kaum. Wenn man diese Position nicht neu besetzen will - wer bliebe dann überhaupt noch für Neubesetzungen übrig? Das ist doch die Frage, die nach wie vor unbeantwortet im Raum steht.

Esther Burke / 27.11.2020

Schreibt Martenstein eigentlich noch im ZEIT-Magazin ? Und wenn ja, wieso ?

sybille eden / 27.11.2020

Die globale Gesinnungsdiktatur nimmt ihren Lauf. Es wird noch viel schlimmer kommen, insbesondere in den USA ,wenn Trump keinen Einfluss mehr als P. hat. Aber man kann auch ruhiger leben ; einfach nicht Twittern !

Thomas Schmidt / 27.11.2020

Martenstein ist doch ein Voll Linker ohne jeden Zweifel. Aber wahrscheinlich IQ über 100, was ihm ein Grossteil der anderen linken natürlich nicht verzeihen kann.

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