Von Michael W. Alberts.
Ein Grundsatzbeitrag im FDP-Mitgliedermagazin von Alexander Görlach zur globalen Auseinandersetzung zwischen „Demokraten und Populisten“ (hier als PDF zum herunterladen) darf durchaus als Positionsbeschreibung aus der FDP-Parteizentrale verstanden werden. Er zeichnet die Zukunft liberalen Denkens unter anderem so: Notwendig sei ein neues Bewusstsein grenzüberschreitender Menschheits-Solidarität und eine offene Gesellschaft im Geiste „kritischer Empathie“ der Menschen untereinander.
Was soll dieses Herumschwenken des „kosmopolitischen“ Fähnchens im FDP-Mitgliedermagazin? Offensichtlich gilt es, nur so nebenbei und kaum noch der expliziten Rede wert, die „Nationalisten“ ins Unrecht zu setzen, zumal es wohl vom Nationalismus höchstens noch ein halber Schritt zu Chauvinismus und totaler Gewalt ist, nach Alexander Görlachs Vorstellung.
Was soll die plumpe Gegenüberstellung von autoritären Populisten und liberalen Demokraten? Sind es nicht gerade die „kosmopolitischen“, die vermeintlich besseren Kreise der Gesellschaft, der veröffentlichten Meinung, die der dumpfen Restbevölkerung mit aller Gewalt die richtige Gesinnung einimpfen und durch quasi strukturelle politische Gewalt Fakten schaffen wollen, ohne dass es für die „Reformen“ tatsächlich eine strukturelle Mehrheit gäbe, geschweige denn ein weitgehend allgemeines Empfinden für die Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs?
Und sind nicht auch in diesem Aufsatz von Alexander Görlach einmal mehr reichlich Ressentiments ausgebreitet worden gegen diejenigen Bevölkerungsgruppen, die offensichtlich nicht über das ausreichende „Bewusstsein“ verfügen, um die Verwerflichkeit der „Populisten“ zu erkennen, sondern sich von diesen regelrecht einfangen lassen? Und dann unvermittelt die übelste Menschenfeindlichkeit an den Tag legen, angeblich?
Und sind es tatsächlich nur dumpfe, quasi eingebildete, jedenfalls sachlich unbegründete und moralisch ohnehin verwerfliche „Ressentiments“, wenn normale Bevölkerungsgruppen sich in ihrem Alltag massiv beeinträchtigt finden und einer Politik ausgeliefert, die ihre legitimen Interessen nicht nur nicht berücksichtigt, sondern diese sogar nachdrücklich als populistisch und unmoralisch diffamiert?
Mit echten, tiefgreifenden Problemen konfrontiert
Geht es also für die den Altparteien abspenstig werdenden Bevölkerungsgruppen etwa nicht um echte Probleme, z.B.
- weil in den Großstädten kein bezahlbarer Wohnraum mehr zu bekommen ist,
- wenn die Schule durch die Zusammensetzung der Klassen mehr oder weniger zum Desaster wird,
- wenn die Mädchen nicht mehr allein in die Öffentlichkeit dürfen, weil ihnen dort kriminelle Elemente drohen,
- weil z.B. der Strompreis zugunsten einer massiven Umverteilung zu den „besseren“ Kreisen (Verzeihung, zugunsten des Weltklimas) in wirklich absurde und international einmalige Höhen steigt,
- weil dem Berufspendler faktisch das Autofahren unmöglich gemacht werden soll,
- weil aus immer höheren Steuern und Sozialabgaben viele zig Milliarden Euro ohne Debatte an fragwürdige Empfängergruppen in aller Welt gehen, inclusive polygame Lebensgemeinschaften, die nun einmal zum Kosmopolitentum dazugehören?
Eigentlich kann es doch nicht so schwer sein, das nachzuvollziehen, gerade auch als kritisch empathisierender Akademiker: Die betroffenen Bevölkerungskreise sind täglich neu und ohne Aussicht auf Besserung mit echten, tiefgreifenden Problemen konfrontiert, die zum großen Teil vor 10 oder 20 Jahren nicht vorhanden, nicht einmal zu befürchten waren.
Das alles komplett auszublenden und sich in abstrakten akademischen Kategorien zu verlieren, die die Realität nicht erklären, sondern vielmehr vernebeln und beinahe belanglos erscheinen lassen, das ist nun allerdings auch eine Leistung, aber leider nicht hilfreicher für die Gesellschaft als die Schaffung dutzender Lehrstühle für „Genderwissenschaft“ oder die offizielle Etablierung des dritten Geschlechts auf Behördenformularen. (Meine Güte, wie kann man dem grünlinken juste-milieu nur beibringen, wie lächerlich es sich in den Augen normaler Menschen macht?)
Dieser liberale Denker schafft es wirklich, fast alles genau spiegelverkehrt darzustellen: Wo leicht erkennbar kulturelle Aspekte virulent werden und ernsthaft diskutiert werden müssten, wird alles auf das angeblich unschön leere Portemonnaie reduziert, der Rest ist wohl gut marxistisch nur „Überbau“, offensichtlich. Wo hingegen großen Bevölkerungsteilen tatsächlich ernsthaft materielle Verluste oktroyiert werden, dort reicht angeblich ein neues Bewusstsein, ohne wirklich an die ökonomisch wirksamen Fehlentwicklungen heranzugehen. Was für eine verrückte, irreale Gedankenwelt.
Kulturkampf und Gesinnungspolizei
In Wirklichkeit tobt in den westlichen Demokratien tatsächlich ein Kulturkampf, und zwar zwischen genau den linksgrünen „Gutmenschen“, die Guido Westerwelle hellsichtig kritisiert hat, mit gewaltbereiten Aktivisten an der Front, und dem bodenständigen Normalbürger, der die inzwischen aber nicht mehr nur schweigende Mehrheit konstituiert.
Und es gibt tatsächlich, wenn auch wohl im „reichen“ Deutschland etwas weniger ausgeprägt als in anderen Ländern, ernsthafte materielle Einschnitte, in Deutschland gerade auch durch die Wohnungsnot, die über mehr gefühlte als messbare Defizite beim Haushaltsgeld spürbar hinaus und damit durchaus ins Grundsätzliche gehen, die aber wenig zu tun haben mit den durch Görlach schwammig angedeuteten Fragen der Verteilungsgerechtigkeit zwischen Kapital und Arbeit.
Um beide Sachverhalte kurvt Görlach weit herum, denn sonst wäre weder seine Behauptung der angeblichen Belanglosigkeit kultureller Differenzen noch die enge Fokussierung auf Fragen des Bewusstseins haltbar.
Kurz: Das Kaprizieren auf die „guten“ Kosmopoliten (Therapie) und auf die rein ökonomischen (gefühlten) Defizite der zum Populismus neigenden Bevölkerungsgruppen (Diagnose) führen in die Irre. Denn:
Beklagen nicht auch und gerade die Liberalen das Überhandnehmen eines absurden Dirigismus und einer unzulässigen Einengung von Debatten durch übereifrige Gesinnungspolizisten, denen das staatliche Gewaltmonopol an gewissen Körperteilen völlig vorbei geht? Von welcher Seite kommen denn diese Einschränkungen – von „rechten Populisten“, die in der faktischen Politik völlig isoliert an den Rand gedrückt werden, oder doch von „kosmopolitischen“ Gesinnungstätern, deren Toleranz tatsächlich nur bis genau dorthin reicht, wo ihre eigenen Grundüberzeugungen noch ausreichend belobhudelt werden?
Wer regiert denn, jedenfalls in Deutschland, in Bund und allen Ländern, sowie in Brüssel? Wes Geistes Kind sind denn die NGOs, die reichlich mit Steuergeldern alimentiert werden und die so fleißig am „Bewusstsein“ der „Zivilgesellschaft“ herumbasteln?
Tüchtige Handwerker, Freiberufler, Landwirte, Arbeiter
Und dann das leere Portemonnaie der Benachteiligten. In Wirklichkeit sind es eben nicht, schon gar nicht ausschließlich irgendwelche prekären zurückgebliebenen Bevölkerungsgruppen, die die vorherrschende öffentliche Gesinnung und Haltung ablehnen, weil es ihnen angeblich an sozialem Ausgleich fehlt. Es sind auch und nicht zuletzt tüchtige Handwerker, Freiberufler, Landwirte, Arbeiter! Und andere, die den Eindruck haben, dass die politisch führenden Figuren die Gesellschaft nur noch sehr ausschnittweise wahrnehmen, in Gestalt der großstädtischen, weltläufigen „Eliten“, die immer schon alles besser wissen.
Die notgedrungen zum „Populismus“ neigenden und die entsprechende(n) Partei(en) wählenden Bevölkerungsanteile fühlen sich nicht so sehr monetär/sozialpolitisch benachteiligt, sondern sie fühlen sich von der herrschenden Klasse aus Politik, Medien, NGOs, „Zivilgesellschaft“ (was für ein absurdes Konstrukt!), Instituten etc. ganz grundsätzlich und großmaßstäblich vera…albert, sozusagen. Sie haben das Gefühl, dass ihnen das eigene Land unter dem Boden weggezogen wird, und genau das ist ja auch die erklärte Absicht der grünlinken Weltverbesserer, und das gilt nicht nur in Deutschland, sondern auch im Vereinigten Königreich, in Ungarn, in Amerika – wenn es schon gilt, global zu denken.
Aber in der Analyse von Alexander Görlach fehlt den renitenten Wähleranteilen nur (noch) das richtige „Bewusstsein“ von den Segnungen der liberalen Demokratie. Und vielleicht ein wenig sozialpolitische Feinsteuerung. Wirklich? Wer so denkt und argumentiert, gewinnt vielleicht eine Eins im Abituraufsatz in „Sowi“ an einem heutigen Bremer oder Berliner Gymnasium, aber akademische Ehren dürften damit eigentlich nicht zu erringen sein. (Ein Wutausbruch über den Zustand der heutigen Geisteswissenschaften wäre hier sicher gerechtfertigt, führt aber zu weit.)
Es ist eigentlich ganz und gar illiberal, den Populismus auf ökonomistische Spekulationen zurückzuführen, die noch dazu empirisch fragwürdig sind; einige Aspekte hierzu sind schon angeführt worden. Denn so wichtig das ökonomische Wohlergehen für die Menschen unzweifelhaft ist: ob sie sich in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft, in der sie leben, wohlfühlen, auch: sich ernst genommen fühlen, ihre Leistung ausreichend gewürdigt und honoriert empfinden, das hängt ganz sicher noch von vielen anderen Fragen ab. Man kann Menschen sehr wohl das Gefühl geben, als Individuen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen, Eigenheiten und eben ihrer personalen Würde nicht ernst genommen zu werden, also ihre Freiheit im Sinne ihrer souveränen Teilhabe am Gemeinwesen quasi aushöhlen, ohne dass es auf das Portemonnaie ankäme.
Aber gleichwohl angenommen, letzteres sei ein wichtiges und zentrales Problem, und als solches kann man es sicher akzeptieren, wenn denn die anderen wichtigen Punkte nicht ebenso willkürlich wie oberflächlich damit überdeckt und marginalisiert würden: Wie kommt es denn dazu, dass in manchen westlichen Gesellschaften ganze Bevölkerungsgruppen sich „abgehängt“ fühlen? Das „ganze System“ dafür verantwortlich machen? Das nun lässt sich am Beispiel USA tatsächlich vorführen, aber nicht, wie durch Görlach, im Vorübergehen, sondern im wachen Blick auf das, was tatsächlich geschieht: Ganze Regionen werden dem Verfall preisgegeben, weil die Produkte (und damit der Wohlstand), die bisher dort produziert worden sind, irgendwo anders auf der Welt billiger zu bekommen sind, nämlich nicht zuletzt in China. Oder ganze Industrien werden (durch Obama) stranguliert, in strammem Gehorsam gegenüber den Klimahysterikern.
Ein Schatten auf dem wunderbaren „Kosmopolitismus“
Und dann geht es allerdings nicht nur um ein bisschen weniger Geld im Portemonnaie, sondern dann geht es für ganze Gemeinschaften um den Verlust ihrer Lebensperspektive, und infolgedessen dann tatsächlich um eine „Entwürdigung“. Die Vokabel ist dann zutreffend und notwendig, aber eben im Kontext des tatsächlichen ökonomisch-sozialen Geschehens und nicht als hingeworfene Dekoration im allgemeinen Gespräch über abstrakte Verteilungsgerechtigkeit. Aber damit würde zweifellos auch ein Schatten auf den wunderbaren „Kosmopolitismus“ fallen, dem solche kleinlichen Einwände wohl nicht zuzumuten sind, und also schweigt des Autors Höflichkeit um die echten Probleme herum beziehungsweise überdeckt sie mit belanglosen Phrasen.
Denn in der Tat, es ist die viel diskutierte „Globalisierung“, die diese Regionen, Orte und die dort lebenden Menschen an den Rand drängt. Und ja natürlich, diese Menschen sind begeistert, wenn ein „starker Mann“ wie Donald Trump in einer zeitgeschichtlichen Wende, mit der niemand gerechnet hätte, die Entwicklung umzukehren und Arbeitsplätze – und Würde! – zurückzubringen verspricht.
Aber der „starke Mann“ ist eben kein Autokrat, der Demokratie und Freiheit bedroht, sondern er ist der rechtmäßig gewählte und verfassungsgemäß agierende Präsident der freiheitlichsten und tolerantesten Demokratie, die die Weltgeschichte bisher hervorgebracht hat; allerdings traut er sich auch, Entscheidungen zu treffen und Dinge zu bewegen, die bisher in trauter Eintracht der „Eliten“, ob demokratisch (im Sinne der Parteibenennung) oder republikanisch, als unantastbar galten.
Was ist daran undemokratisch, was ist daran illiberal? Die Toleranz wird gerade in den USA von linker und linksradikaler Seite mit den Füßen getreten. Trump und seine Unterstützer werden ungeniert als rassistisch, auch faschistisch bezeichnet, es wird kriminalisiert und denunziert, bis sich die Balken nicht nur biegen, sondern geradezu in Flammen aufgehen. Angeblich (so jedenfalls meinungsfreudige „Experten“ auf allen TV-Kanälen) steht der US-Präsident – nachdem der „impeachment“-Zirkus an sein verdientes Ende gekommen ist – ganz kurz davor, sich selbst zum absoluten Monarchen oder Despoten auszurufen und die Demokratie auszuhebeln. Dabei sind es die „aufgeweckten“, kosmopolitischen „Demokraten“, die all das an der tatsächlichen Verfassung der amerikanischen Republik ungeniert bekämpfen, was ihnen in ihrem Allmachtsanspruch irgendwie entgegensteht. „Demokratie“ ist es für diese Aktivisten nur, solange sie selbst das Sagen haben. (Auch das hier nur als Andeutung; das erfordert eine eigenständige Betrachtung.)
Also ist Trump sicher auch kein „Kosmopolit“? Die Ironie liegt darin, dass Donald Trump als Unternehmer natürlich auch international tätig und erfolgreich war, dass er Immobilien gern und engagiert auch jenseits nationaler Grenzen entwickelt und bewirtschaftet hat. Ihn als verklemmten Stubenhocker zu verstehen, der sich chauvinistisch einmauert, weil ihm die weite Welt irgendwie angst macht, wäre nun wirklich absurd. Aber er sieht seine Aufgabe tatsächlich darin, das eigene Land und die eigene Bevölkerung zu schützen, zu fördern, zu modernisieren, voranzubringen. Was ihm bisher ausgezeichnet zu gelingen scheint, gegen alle Widerstände, die nun wirklich beträchtlich sind.
Aber in den Augen des grünen Besserwissers Habeck ist Trump, wie er in Davos der weltweiten „Elite“ die Leviten gelesen hat, der böse Gegner, den es zu bekämpfen gilt. FDP-Kosmopolit Alexander Görlach bläst in das gleiche Horn, und diese Nähe ist alles andere als zufällig.
Im vierten Teil dieser Serie lesen Sie morgen: Was wirklich freiheitlich wäre
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Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation, auch zugunsten von Funktionsträgern der Liberalen, und betätigt sich nebenberuflich publizistisch.