Thomas Rietzschel / 24.10.2022 / 16:00 / Foto: achgut.com / 11 / Seite ausdrucken

Alle Jahre wieder mit wachsender Ausgrenzung?

Es besteht Anlass zur Vorsicht, wenn sich Kleingeister aufschwingen, die Entlassung des Direktors der Frankfurter Buchmesse zu fordern, nur weil er tut, was sich in einem demokratischen Land von selbst verstehen sollte.

Alle Jahre wieder. Erneut war die am Sonntag beendete Frankfurter Buchmesse 2022 ein willkommener Anlass für die Linke, sich anmaßend in Szene zu setzen. Bei wiederholten Boykottaufrufen und der Forderung, den Messedirektor Jürgen Boss vor die Tür zu setzen, lief es abermals darauf hinaus, die ganze Veranstaltung zu kapern, sie auf linker Linie gleichzuschalten. Nun ist es beileibe keine neue Erkenntnis, dass das geistig kulturelle Leben Deutschlands seit 1968 linksdogmatisch unterwandert wird, an den Hochschulen und Universitäten sowie auf den Bühnen und in den Verlagen, den belletristischen zumal. Wer da nicht mit den Wölfen heult, wer es wagt, vom Kurs abzuweichen, mag sehen, wo er sein Buch losschlagen kann. Gefragt sind Texte, in denen der Kapitalismus und das konservative Denken abgekanzelt werden, Autoren ihre Kindheit in Armut literarisch vernebeln. Selbst ausgesprochener Blödsinn wie das mit dem diesjährigen Buchpreis ausgezeichnete Werk eines bekennenden Spinners verzückt die Kritik. Zehn Jahre will der brave Knabe daran geschrieben haben, vermutlich, damit er nichts verpasst, was als aktueller Aufreger gerade in Mode ist. Am Ende wurden es 336 Seiten, macht gut 33 im Jahr, 2,75 im Monat und eine knappe halbe Seite am Tag. Nun ja, gut Ding will Weile haben. Auch Goethe hat seinen „Faust“ nicht über Nacht aufs Papier geworfen; Thomas Mann schrieb Jahre an jedem seiner großen Romane. Was dabei entstand, bestand dann aber auch dank Schrift und Geist.

Was wird indessen von Kim de l’Horizon bleiben? Die Schrift vermutlich weniger als die Erinnerung an den Auftritt eines Narren. Zur Verleihung der Auszeichnung legte der Geehrte eine Nummer hin, reif für jeden Zirkus. Bansksys Bildzerstörung während der Auktion seines Gemäldes „Ballon Girl“ war dagegen nichts, viel zu ausgeklügelt. Kim hingegen schien nun wahrhaftig nicht mehr ganz bei sich zu sein. Blöd grinsend, trat er in einem enganliegende durchsichtigen Oberteil auf, einem Fummel, wie ihn reifere Damen gern zum Durchblick auf ihre erotischen Reize tragen. Ein Kasper, der dem Publikum nichts schuldig blieb. Bevor er sich den Preis schnappte, griff er noch schnell zur Haarschneidemaschine, um sich den Schädel zu rasieren.

Dumm ist der Junge nicht; er weiß, was bei den Leuten ankommt: der pure Quatsch, die Demonstration mangelnder Erziehung. Hätte er sich doch ebenso gut die Fußnägel auf offener Bühne schneiden können. Verkauft als Solidaritätsaktion mit den unterdrückten Frauen dieser Welt, passte der Event dann freilich wieder ins Weltbild einer ihres Wohlstands überdrüssigen Kulturschickeria. Wer sich zu ihr bekennt, mag zwar nicht sonderlich gescheit sein, hat aber schon im Kinderladen so viel linke Moral gelöffelt, dass er sich inzwischen berufen fühlt, die „Konservativen“ auszugrenzen, ein Verbot des Auftritts einschlägiger Verlage auf der Messe zu fordern, nicht wegen einzelner Bücher, über die man gewiss streiten könnte, sondern gleich in toto. Komisch nur, dass dieselben für die Einrichtung eines „Awareness-Teams“ sorgten, einer Zensurstelle zur Beratung der Buchmesse in Diskriminierungsfragen, was nun wiederum, geht es nach den Gesetzen der sprachlichen Logik, nur heißen kann, auszugrenzen, was sich mit dem linken Zeitgeist nicht hinreichend vereinbaren lässt – sogenannte „rechte Verlage“ insbesondere.

Termini der Demokratie

Die politisch definierten Wörter „Rechte“ und „rechts“ sind zu Schimpfworten verkommen, Instrumente intellektueller Hinrichtung, überwiegend exekutiert von Deppen, die kaum wissen dürften, worauf die Bezeichnungen zurückzuführen sind. Aber da ich nun einmal ein „alter weißer Mann“ bin und noch gelernt habe, dass es sich nicht gehört, die Unwissenden dusselig sterben zu lassen, gibt es jetzt etwas Nachhilfe in Sachen Geschichte.

Wie fast alle Termini, die wir mit der Demokratie verbinden, gehen auch „Rechte“ und „rechts“ zurück auf die Französische Revolution. In der Nationalversammlung von 1789 saßen die „Radikalen“, jene also, die den Umsturz wollten, die Jakobiner vor allem, linksseitig, rechts dagegen die Konservativen, denen der Erhalt des Bestehenden sinnvoller erschien als dessen terroristische Beseitigung. Beide Seiten begegneten einander heftig streitend im Parlament als Vertreter divergierender, meist unvereinbarer Meinungen, nicht aber als Ankläger und Angeklagte. Ausgeschlossen wurde keine Seite. 1814 erfolgte in der französischen Abgeordnetenkammer schließlich die protokollarische Festschreibung dieser Sitzordnung. Es war fortan die Platzverteilung der Demokratie. Als solche wurde sie nach und nach von den Länder übernommen, die auf den gleichen Weg einschwenkten, insbesondere im Westen Europas, selbst im Deutschen Reichstag, als er 1871 zusammentrat.

Noch im heutigen Bundestag gilt die Anordnung der Fraktionen genauso. Immer gesehen aus der Perspektive des Bundestagspräsidenten, sitzen am linken Rand zuerst die Linke, neben ihr die SPD, dann die Grünen, die CDU, die FDP und zum Schluss ganz rechts die AfD. Dieses Spektrum macht die Demokratie aus, eine politische Ordnung, in der keine Seite wegen ihrer Meinung diskriminiert oder ausgeschlossen werden darf. Das untersagen die Gesetze.

Aber kann davon hierzulande noch die Rede sein, wo es die linken Meinungsführer schon soweit gebracht haben, dass die Leute auf der Straße „Rechte“ und „rechts“ überwiegend als Schimpfwörter verstehen, wenn ihnen das Staatsfernsehen ein Mikrofon vor den Mund hält. Im Brustton vollster Überzeugung sagen sie dann auf, was ihnen die Werbeträger der Linken, prominente Fußballer oder Schlagerhelden wie Peter Maffay eingeblasen haben. Wenn diese gesellschaftlichen Vorbilder den Ton der politischen Debatte angeben, was braucht es da noch eine eigene Meinung.

Parteitag mit Bücherschau?

Der Wahn, auf dem einzig richtigen Weg zu sein, hat die ideologisch Geblendeten schon immer zu totalitärer Selbstüberhebung und dem Verlangen, anderen die Meinung vorzugeben, kurzum zu diktatorischem Verhalten befeuert. Nun werden auf der Frankfurter Buchmesse nicht die Bretter aufgeschlagen, die die Welt bedeuten, gewiss nicht. Gleichwohl besteht Anlass zur Vorsicht, wenn sich politische Kleingeister aufschwingen, die Entlassung des Direktors zu fordern, nur weil er getan hat, was sich in einem demokratisch organisierten Land von selbst verstehen sollte: die Messe allen Verlagen zu öffnen, die Neues anzubieten haben, selbst wenn es einem nicht immer gefallen sollte. Wäre das nicht mehr möglich, könnte die Frankfurter Buchmesse gleich als eine Bücherschau mit angeschlossenem Parteitag der links-grün bekehrten Parteien abgehalten werden.

Die „Radikalen“, die sich einst gegen die Unterdrückung ihrer Meinung formierten, 1789 in Paris, 1848 in Frankfurt, würden schamlos verhöhnt. Die Demokratie stünde Kopf. Alles verschwörungstheoretisch übertreiben? Hoffentlich! Nächstes, in einem Jahr oder wie die alten Römer sagten „bei Philippi“ sehen wir uns wieder. Denn noch führen wir, nicht die politischen Agitatoren, den Degen des Wortes.

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sybille eden / 24.10.2022

Warum können die sogenannten ” Rechten ” sich nicht eine eigene Buchmesse organisieren ? Ich würde die Linken einfach mal links liegenlassen. Sollen sie doch in ihrem ” Saft ” schmoren, ich brauche denen ihre Elaborate nicht ! Eine konservative Buch-Schau wäre doch mal ein schöner Gegenpol, - natürlich unter massiven Polizeischutz.

Volker Kleinophorst / 24.10.2022

Ja, in einem demokratischen Land wäre das selbstverständlich. Heißt also im Umkehrschluss?

Hans-Peter Dollhopf / 24.10.2022

“Am Ende wurden es 336 Seiten, macht gut 33 im Jahr, 2,75 im Monat und eine knappe halbe Seite am Tag.” Herr Rietzschel, Sie meinten wohl eine halbe Seite pro Woche. Pro Tag dürfte es Schreibaufwand der Länge eines einzelnen Twittertweets gewesen sein. Ob er dem allerdings Buchmillionär wird wie Sarrazin mit “Deutschland schafft sich ab”, das ist stark zu bezweifeln.

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