Gastautor / 11.05.2012 / 23:14 / 0 / Seite ausdrucken

Abschrecken hilft nicht. Warum das Vertrauen auf die iranische Vernunft unvernünftig ist

Oliver Grote

Im neuesten Artikel der ZEIT (10.05. 2012) zum Atomstreit mit Teheran spricht sich der Autor Thomas Speckmann dafür aus, dem Iran mit nuklearer Abschreckung zu begegnen. Weil man den Iran sowieso nicht davon abhalten könne, ein nukleares Arsenal aufzubauen, sei es für den Westen bzw. Israel vernünftig, selbst atomare Waffen zu besitzen. Eine wirksame Abschreckung stelle vor allem Israels Fähigkeit dar, auch nach einem vernichtenden Erstschlag Teherans zum Zweitschlag ausholen zu können, um im Gegenzug auch den Iran zu vernichten. „Welcher politisch Verantwortliche in Teheran weiß all dies nicht?“, fragt Speckmann und gründet auf dieses Vertrauen auf die Vernunft der iranischen Führung seine Hoffnung auf das Ausbleiben eines Atomschlags gegen Israel. Ein solcher sei ohnehin nicht zu erwarten, denn er „würde mit nicht weniger als einer historischen Tradition des Iran brechen: seine regionale Nachbarschaft mit klassischen Staatenkriegen zu verschonen.“ [1]

Speckmanns Einschätzung klingt scheinbar sehr beruhigend – leider wirklich nur scheinbar, da er zwei gravierende und bedrohliche Charakterzüge des iranischen Regimes außer Acht lässt: Die radikale Religiosität und der damit einhergehende Antisemitismus. Diese beiden irrationalen Züge setzen die auf rationalen Erwägungen basierenden Gesetzmäßigkeiten des Abschreckungsprinzips außer Kraft.

Im kalten Krieg fungierte die nukleare Abschreckung tatsächlich als Garant für den Frieden. Funktionieren konnte das aber nur, weil die beiden Supermächte – bei aller ideologischen und politischen Gegensätzlichkeit – folgende Gemeinsamkeit aufwiesen: Die Angst vor der eigenen Vernichtung. Diese Minimalvoraussetzung an Vernunft ist bei der iranischen Führung leider nicht vorauszusetzen. „Anders als meist wahrgenommen, handelt das iranische Regime durchaus rational innerhalb seiner eigenen Logik“, behauptet Speckmann zwar – und in gewisser Weise hat er damit auch Recht. Doch wie sieht diese iranische Logik, diese Rationalität aus?

„Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!“, haben die Mullahs mehr als einmal verkündet. Was bedeutet diese Parole? Sie umschreibt schlicht und ergreifend die Konzentration aller Bemühungen der Islamischen Republik Iran auf das Seelenheil, das der Islam verspricht, und damit die Abkehr von allen diesseitigen, politischen Dingen. Hieraus resultiert die bereits von Chomeini formulierte ultimative Forderung, irgendwann einen allumfassenden islamischen Staat zu errichten. Wenn der Iran zugunsten der islamischen Weltherrschaft unterginge, dann müsse man das in Kauf nehmen und diesen Weg verfolgen – dieses Diktum Chomeinis bleibt auch unter seinem Nachfolger gültig.

Dass die weltweite Dominanz des Islam mit der Auslöschung Israels seinen Anfang nehmen müsse, haben sowohl Ahmadinedschad als auch Khamenei immer wieder betont. Allein dieses bedrohliche und feindselige Verhalten gegenüber Israel zeigt, dass der Iran weit davon entfernt ist, rationale Erwägungen zur Grundlage politischer Handlungen zu erheben. Wie rational ist eigentlich die Feindschaft des Iran mit Israel? Welche Bereiche des iranischen Lebens werden durch Israel tangiert? Die Vorbehalte gegen Israel haben offensichtlich einen irrationalen, im religiösen Eifer begründeten Ursprung. Entgegen Speckmanns Vertrauen würde ich also nicht auf Teherans Vernunft setzen. Gemessen an der Zielvorstellung der iranischen Führung, ein allumfassendes islamisches Reich zu errichten, ist die Vernichtung Israels – auch auf Kosten der eigenen Vernichtung – durchaus logisch und rational. Derart gestaltet sich die Rationalität des Iran „innerhalb seiner eigenen Logik.“

Die alles entscheidende und abschließende Frage lautet: Lässt sich ein Regime, das an seiner eigenen Existenz nur insofern interessiert ist, als dass sie der übergeordneten Sache des Islam dienlich ist, von einem drohenden nuklearen Gegenschlag abschrecken? Die Antwort ist eindeutig: Nein! Nukleare Abschreckung funktioniert nur bei denen, die das „Leben lieben“; die politische und religiöse Führung des Iran aber liebt nach eigener Aussage den Tod.

Der Iran wird gemäß vorsichtiger Schätzungen in drei Jahren einsatzfähige Atomwaffen besitzen. Sich damit abzufinden und auf die „historische Tradition“ oder die politische Vernunft des Iran zu vertrauen hieße, eine handfeste Bedrohung des Westens – und vor allem Israels – zu ignorieren.

Anmerkung
[1] Nur kurz eingeschoben seien hier folgende skeptische Fragen: Inwiefern lässt sich der Krieg mit dem Irak in den 80er Jahren mit der angeblich historischen Tradition des Iran vereinen, regionale Kriege zu vermeiden? So rief Chomeini nicht nur zum Sturz des Irak im Vorfeld des Krieges auf; auch lag dem Iran das irakische Waffenstillstandsangebot vor – es wurde abgelehnt. Weiterhin: Kann man nach einem derartigen Umbruch wie der islamischen Revolution überhaupt von historischer Kontinuität oder gar Tradition sprechen, die sich auf die Zeit vor der Revolution gründet? Oder konnte sich diese angebliche Tradition bereits in der kurzen Zeit herausbilden, die die islamische Republik besteht? Das Vertrauen auf eine historisch begründete Friedfertigkeit des Iran erscheint mir höchst zweifelhaft.

Oliver Grote, 28, hat Geschichte und Germanistik studiert und promoviert derzeit in Alter Geschichte an der Uni Bilefeld

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