Als Kinderlose wäre ich wahrscheinlich in den Süden Israels zurückgekehrt, um über das Gemetzel und seine Folgen zu berichten. Aber jetzt habe ich einen neuen Kampf: meine Tochter. Sie ist die Zukunft, für die ich kämpfe, was bedeutet, dass ich keine Kämpferin für alle Juden sein kann.
Ich erinnere mich, wie einfach und mühelos es für mich war, für Israel zu kämpfen, als ich noch kinderlos war. Ich erinnere mich, wie ich mich mit 29 Jahren als freie Journalistin nach Gush Katif im Gazastreifen schlich, um über den Abzug der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 zu berichten.
Ich erinnere mich, wie leicht es mir fiel, über die Folgen zu recherchieren, indem ich zu jeder Tageszeit Interviews mit ehemaligen Bewohnern und Soldaten führte und bis spät in die Nacht hinein arbeitete, um ausführliche Reportagen über die Glaubenskrisen der evakuierten Jugendlichen und die Gefühle der Soldaten, die an der Evakuierung beteiligt waren, zu schreiben.
Ich erinnere mich daran, wie ich in meiner Heimatstadt Los Angeles eine professionelle Israel-Aktivistin wurde, als ich in meinen Dreißigern war und kinderlos. Wie ich Kundgebungen für Israel organisierte, als die Hamas und der islamische Dschihad Israel wieder einmal in einen Krieg hineinziehen wollten, nachdem sie unzählige Raketen auf Israel abgefeuert hatten. Ich weiß noch, wie viel Spaß es mir machte, kontroverse „Hasbara“-Videos zu drehen (siehe zum Beispiel hier), die ich bis spät in die Nacht hinein bearbeitete und am nächsten Tag aufstand, wann ich wollte, um sie weiter zu bearbeiten, bis das Produkt praktisch perfekt war.
Kein Ort für Kinder
Seit ich vor vier Jahren Mutter geworden bin, hat sich mein Aktivismus verändert. Eigentlich erinnere ich mich jetzt vor allem an das, was ich nicht für Israel tue. Ich erinnere mich daran, wie ich, als am Tag nach dem Massaker vom 7. Oktober in meiner Wahlheimat Berlin eine Pro-Israel-Kundgebung stattfand, einen Babysitter organisieren musste, um darüber zu berichten, und gleich nach dem Ende der Kundgebung abgehauen bin, weil der Babysitter nach Stunden bezahlt wird.
Ich erinnere mich, wie ich am nächsten Tag um 7:30 Uhr aufstehen musste, damit meine Tochter Hanna bis 9 Uhr im Kindergarten war, und wie ich jene Pro-Israel-Aktivität um 16:30 Uhr beenden musste, damit ich sie wieder abholen konnte. Ich erinnere mich daran, wie ich, als in der darauffolgenden Woche eine neue Kundgebung angekündigt wurde, nicht hinging, weil ich nicht erneut für einen Babysitter bezahlen wollte und Kundgebungen natürlich kein Ort für Kinder sind, vor allem, wenn gewalttätige Gegendemos drohen. Ich erinnere mich daran, dass ich zu jüdischen Veranstaltungen gehen wollte, um mich getröstet zu fühlen, dass ich aber weder die Zeit noch die Energie hatte, weil Hanna immer um 19 Uhr ein Bad nimmt und dann noch etwas spielen will.
Ich erinnere mich, dass ich generell nicht zu Kundgebungen gehen wollte, weil ich nicht wollte, dass mir etwas zustößt. Ich erinnere mich daran, wie ich nichts zu Israelfreundliches ins Internet stellen wollte, damit mir nicht irgendein Antisemit Todesdrohungen schickt.
Jetzt habe ich einen neuen Kampf
Ob wir nun in Israel oder in der Diaspora leben, Juden kämpfen heutzutage buchstäblich um ihr Leben. Wir sind in gewisser Weise spirituelle Soldaten, sei es, indem wir Lobbyarbeit bei den Regierungen leisten, um mehr gegen Judenhass zu tun, oder indem wir zu einer Pro-Israel-Kundgebung gehen oder selbst eine organisieren. Für viele Juden ist schon der Gang zur Universität wie das Betreten eines Schlachtfelds.
Also bleibe ich die meiste Zeit zu Hause. Ich kann nicht einmal eine „Soldatin“ vom Sessel aus sein. Selbst wenn es darum geht, als Influencerin in den sozialen Medien aufzutreten, werden die meisten meiner Beiträge in aller Eile verfasst, und sie sind uninteressant und uninspirierend.
Ich denke darüber nach, was ich tun könnte, wenn ich nicht den Alltag für meine Tochter aufrechterhalten müsste. Wahrscheinlich wäre ich in den Süden Israels zurückgekehrt, um über das Gemetzel und seine Folgen zu berichten. Ich hätte mich wahrscheinlich einer Bewegung angeschlossen, um den Geiseln irgendwie zu helfen. Ich würde mich den Freunden anschließen, die ich 2005 an der Küste des Gazastreifens gefunden habe, um eine gerechte Lösung für den „Morgen nach“ Israels Sieg zu finden. Wer weiß? Vielleicht wäre ich für immer zurück nach Israel gezogen.
Aber jetzt habe ich einen neuen Kampf: meine Tochter. Sie ist die Zukunft, für die ich kämpfe, was bedeutet, dass ich keine Kämpferin für alle Juden sein kann. Dieses eine Mal brauche ich andere Menschen, die für mich kämpfen, die mich beschützen. Um uns zu schützen.
Ich bin eine jüdische Mutter, und jüdische Mütter haben in diesen Tagen die härtesten emotionalen Kämpfe zu bestehen. Wir brauchen militärische und moralische Krieger, die uns beschützen. Traumatisiert von dem, was die Hamas an diesem schrecklichen Schabbat Eltern und Kindern angetan hat, müssen wir vor der Angst geschützt werden, dass uns oder unseren Kindern etwas Ähnliches zustoßen könnte.
Ein ständiger emotionaler Krieg
Ich erinnere mich jetzt daran, wie ich seit dem 7. Oktober jeden Tag und jede Nacht Hanna umarmen und ihr sagen muss, dass ich sie liebe, dass sie die beste Tochter der Welt ist und ich so glücklich bin, sie zu haben. Denn wer weiß, ob nicht irgendein Judenhasser einem von uns etwas Schreckliches antun wird. Ich erinnere mich, wie ich einem befreundeten Anwalt Anweisungen zur Vormundschaft geschickt habe, falls mir, Gott bewahre, in einem Land, in dem ich keine Familie habe, etwas zustoßen sollte.
Ich erinnere mich daran, wie glücklich ich bin, dass Hanna in Sicherheit ist, aber dass ich mich nicht ganz wohl fühle, wenn ich sie abends ins Bett bringe, weil ich weiß, dass es immer noch Kinder und Mütter in der Gefangenschaft der Hamas gibt, und ich schaudere bei dem Gedanken, dass es Hanna hätte sein können.
Wir befinden uns in einem ständigen emotionalen Krieg, und doch möchte ich noch mehr kämpfen, um meinetwillen, um ihretwillen, für das jüdische Volk und für die ganze Menschheit. Aber ich habe einfach nicht die Zeit dazu. Und ich kann mein Leben nicht so riskieren, wie ich es tat, als ich kinderlos war. Selbst das Tragen eines Davidsterns fühlt sich an, als hätte ich eine Waffe in der Hand.
Daher denke ich, dass arbeiten von zu Hause aus alles ist, was ich im Moment tun kann. Wenn Hanna im Kindergarten ist oder schläft, kann ich Artikel, Bücher oder sogar ein Drehbuch über den Weg nach vorne schreiben, inmitten einer der beängstigendsten Zeiten für Juden in diesem Jahrhundert. Und hoffentlich werde ich mich in ferner Zukunft daran erinnern, wie wir diese Tortur nicht nur überlebt, sondern wie wir sie heil überstanden haben.
Orit Arfa, geb. in Los Angeles, lebte über 12 Jahre in Israel und schreibt regelmäßig für die Jerusalem Post, das Jewish Journal of Los Angeles und den Jewish News Service. Ihr erstes Buch, „Die Siedlerin“, behandelt die Folgen des Abzugs aus dem Gazastreifen; „Underskin“ ist eine deutsch-jüdischen Liebesgeschichte.