Fabian Nicolay / 10.09.2022 / 06:00 / Foto: Tim Maxeiner / 77 / Seite ausdrucken

Moderne Metamorphosen

Die Metamorphosen unserer Zeit machen Menschen zu Politikern, die sich früher als Otto-Normal-Verbraucher oder Erika Musterfrau hinter der Tarnung ihres Mittelmaßes verbarrikadiert hätten.

Wir leben in einer Zeit der Metamorphosen. Alles ist im Begriff sich zu verändern, oder scheint zumindest den starken Drang zum Wandel in sich zu tragen. Vor allem verwandeln sich die Menschen. Je nach Blickwinkel in Gesichtslose, Untertanen, Denunzianten, oder in Wutbürger, Rechte, Querulanten. Dem Ausmaß an naiver Gutgläubigkeit und Folgsamkeit der einen Seite steht das entsprechende Ausmaß an Resignation und stereotyper Ablehnung der anderen Seite gegenüber. Zumindest ist das die scherenschnittartige Sichtweise einer Frontbildung, die mitten durch die Gesellschaft verläuft und beiden Seiten als Feindbild dient.

Sicher ist: In der Metamorphose der Weltanschauung ist das westliche Individuum mit dem sich moralisch als überlegen gebärdenden Kollektiv kollidiert und kann dessen Konformitätsdruck wenig entgegensetzen. Denn die Verwandlungen sind gewollte, geförderte, oder erzwungene.

Es gibt zu viele Nichtsahnende, die sich ohnehin gern zwingen lassen. Aber es gibt relativ wenige, jedoch Entscheidende, die Macht mit Zwang gleichsetzen und sonst nicht viel Expertise zu bieten haben. Solche Menschen können auf Dauer ein Land ruinieren mit ihren eigenen Metamorphosen, Transformationen, Zwangsneurosen – und ihrem fatalen Hang, echte Exzellenz, Ehrgeiz und Erfahrung zu hassen oder zu verhindern, weil sie selbst keine dieser drei Fähigkeiten aufweisen. Negativ-Experten können sich in zwei anderen besonders zweifelhaften Eigenschaften bedenkenlos hervortun: In einer seltsam exhibitionistischen Art legen sie vor den Kameras der Republik die eigene Unwissenheit offen (Inkompetenz), um uns überspannt mit Haltung statt mit Lösungen zu kommen (Indoktrination).

Schamlos im Rampenlicht

Die Metamorphosen machen Menschen zu Politikern, die sich früher als Otto-Normal-Verbraucher oder Erika Musterfrau hinter der Tarnung ihres Mittelmaßes verbarrikadiert hätten. Sie hätten sich mit ihren zwanghaften Ängsten (vor dem Untergang) in Therapie begeben oder mindestens den Anstand gehabt, den Mund zu halten und anzuerkennen, dass große Verantwortung von Begabten und echten Experten getragen werden muss. Das wäre demütig und angemessen. Heute jedoch gibt es keine Demut oder Selbsterkenntnis. Solche Verwandelten stehen schamlos im Rampenlicht und erzählen dummes Zeug, weil sie systematisch von den Medien hochgelobt wurden und nun tatsächlich glauben, sie wären berufen.

Wenn es schwierig wird, neigen sie zu Wehklage und Selbstmitleid, oder Vergesslichkeit und Lüge. In Deutschland hat sich diese invasive Art des Machtmenschen komplett durchgesetzt, ohne intellektuelle Tiefe, ohne Fachwissen, das für höchste Ämter als zwingende Empfehlung dienen müsste, aber dafür mit enormem Instinkt für den Kampf um Macht. Warum leistet sich Deutschland eine Politiker-Riege für Spitzenämter, als wäre ausgerechnet dort kein Expertenwissen notwendig, aber eine offensichtliche Resistenz gegen Scham schon? Auf kommunaler Ebene wäre solche Flachheit in der Regel sofort weg vom Rathausfenster. Minister kann eigentlich jeder werden, der lang genug den Atem anhalten kann im luftleeren Raum der Partei-Apparate, wo die Metamorphose vom einfachen Gemüt zum Kandidaten oft das Einzige ist, was bildbar ist und Realitätsbezug zu haben scheint.

Unterdessen hat in der Bevölkerung das Zwischenmenschliche schwer gelitten, die Kulanz ist weitgehend aufgebraucht, man hat sich entzweit über die bestimmenden Themen der letzten Jahre und Monate. Die Erosion gesellschaftlicher Gewissheiten hat mit der sogenannten Pandemie erst richtig Fahrt aufgenommen. Denn die Umdeutungsbestrebungen der Demokratie – als ein ursprüngliches Verhältnis freier Bürger in einem dienenden Staatsgebilde – haben im Maßnahmen-Management „endlich“ ihren kontrafaktischen Nukleus gefunden, der die instrumentalisierte Wirklichkeitsverweigerung, die Geiselnahme der Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie die Restitution des paternalistischen Obrigkeitsprinzips zur Wiederholungstat der neudeutschen Politik erkoren hat.

Unter der Schirmherrschaft des Gesinnungsstaates

Ein weiteres Ergebnis dieser Metamorphosen ist das Postdemokratische, das den „Eliten“ bereits fest anhaftet. So ist es zu erklären, dass am vorgestrigen Tag die Wirklichkeitsverweigerung und Schwäche des Parlamentarismus erneut zum Vorschein kam. Das bedeutet, dass ab Herbst ein Infektionsschutzgesetz mit verschärftem Regelwerk in Kraft gesetzt wird, das uns erneute umfangreiche Masken- und Testpflichten bringt und die Landesregierungen mit Ermessensspielräumen für Gastronomie, Behörden, Sport- und Kulturstätten ausstattet. Bei Bedarf kann von oben herab ausgeweitet werden. Der deutsche Corona-Sonderweg ist eine Wiederholungstat ohne gesundheitspolitisches Motiv und gegen die Faktenlage (Corona ist endemisch). Der Beschluss des Parlaments hat jedoch einen entscheidenden „Bonus“: Der exekutive Machtzugewinn in einem ansonsten als „heiß“ angekündigten Herbst der Energie-Frustrierten ergibt innenpolitisch Sinn. Die Innenministerin ist ja nach eigenem Bekunden „vorbereitet“.

Eine Zweiklassen-Wahrnehmung hat sich etabliert: Der Zweifel der einen Seite gilt dem Staat, der Politik und deren propagierter „Wirklichkeit“. Die andere (politische, exekutive) Seite misstraut dem Menschen an sich und seiner Wahrnehmung – und stigmatisiert ihn zum potenziellen Störenfried innerhalb einer ansonsten friedvoll-gleichgesinnten, moralisch korrekten „Wertegemeinschaft“. So kommt es, dass Menschen wieder in falsch und richtig eingeteilt werden unter der Schirmherrschaft des Gesinnungsstaates.

Diese antiliberale, ideologische Segregation ist der Spaltpilz, der den Nährboden für neue Totalitarismen bereitet. Dieser Humus entsteht aber nicht, wie gern behauptet, in der Bevölkerung, sondern er ist eine Verwehung aus den haltungs-moralischen Fermentations-Fabriken der „Eliten“, der Politik-Kader und politischen „Think-Tanks“, NGOs und Big-Data-Konzernen, der Medien und staatlich alimentierten Jubelperser, die zeitgeistig aufgeputscht den sozialen Wert des Individuums eher am Wohlverhalten und an kollektiver Anpassungsfähigkeit bemessen als an Individualrechten. Ein deutsches Déjà-Vu.

Die Entfremdung des „Bürgerarbeiters“

Der gute, neue Mensch ist ein staatlich bejahter Opportunist und Trittbrettfahrer einer umgedeuteten Demokratie, die sich erdreistet, Haltungs-Direktiven vor Meinungsfreiheit und Individualrechte zu setzen. „Freiheit“ und soziale Anerkennung werden immer mehr zu Ressourcen staatlicher Gunst und staatlich-medialer Weihe. Die Ideologen des DDR-Unrechtsstaats betonten auch immer, dass der sozialistische Mensch frei sei. Im Verbund mit der finanziellen Allmacht des Staates entsteht heute das Bild eines neuen Deutschlands im 21. Jahrhundert, ein Bild von sittlicher „Gerechtigkeit“, kollektiver „Wohlfahrt“ und simulierter „Freiheit“. Es klingt so spießig und unangenehm wie anno dazumal – und ist es auch.

Man könnte dialektisch phantasieren ... Die gigantische Verwertungskette einer klassistischen Haltungsindustrie hat sich etabliert, die einer Diskriminierung und Ausbeutung der Bürger zu breiter Akzeptanz verholfen hat und nun Entfremdung erzeugt. Der moderne Haltungs-Produzent ist der „Moral-Kapitalist“, der vom Staat eingesetzt und alimentiert wird und seine „Bürgerarbeiter“ ausbeutet. Die Entfremdung des „Bürgerarbeiters“ findet statt, wo das System ihn mit den Mitteln sozialer Repression ins kulturkämpferische Glied des Gehorsams zurückschubst und den kollektiven Mehrwert in die eigene Tasche stopft.

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Jörg-Peter Borower / 10.09.2022

Besser kann man die irre, derzeitige Lage der BRD nicht beschreiben. Leider gibt es noch immer zu viele Schlafschafe, die nicht merken (oder merken wollen), wie die Freiheitsrechte immer mehr kippen. Meine Prognose: wenn die Leute in ihren Wohnungen frieren und die Nachzahlungen für Strom und Gas nicht mehr zahlen können, werden die Massen aufwachen… und dann kommt der heiße Herbst!

Albert Pflüger / 10.09.2022

Eine herrliche Glosse, gut beobachtet, und der letzte Absatz zeigt, daß Sie nicht alles vergessen haben, was sie in Ihrer linken Vergangenheit (oder haben Sie die etwa gar nicht?) gelernt haben, Herr Nicolay! Man kann die hiesige Staatsform als eine Abart der Sklavenhaltergesellschaft beschreiben, in der die Aneignung der menschlichen Arbeit der Sklaven durch die Sklavenhalter nicht mehr direkt erfolgt, sondern in der über Bande gespielt wird, indem man den Staat, seine “Staatsdiener” und Geld zwischengeschaltet hat.  Der zieht jenen Teil des Arbeitsentgelds ein, der nicht für die bloße Subsistenz der aktuellen Sklaven ohnehin benötigt wird, und er gibt es den Staatsdienern, die nicht arbeiten. (Leider hat man den Sklaven über zwei Generationen so viel genommen, daß ihnen nicht genug für die Aufzucht der nächsten Generation blieb! Man holt folglich von außerhalb Nachschub ran! ) Die geben es sodann freihändig aus, größtenteils für ihren eigenen Bedarf, zum Teil für Almosen an die Sklaven, für die man gerade keine Verwendung hat, weil sie zu unfähig, zu dumm,  zu faul sind, oder die Anweisungen nicht verstehen, weil sie eine fremde Sprache sprechen,  oder weil sie schon ausgelutscht und alt sind. Ein weiterer Teil wird in die Aufrechterhaltung von internationalen Bündnissen der Sklavenhalter und in deren Prestigeprojekte investiert, womit sie sich unter Ihresgleichen Anerkennung und Gefolgschaft sichern, sowie in bestens bezahlte Claqueure, die ihr Tun ausgiebig bejubeln. Letztere sparen eine Menge Aufseher ein, die man andernfalls bräuchte, weil sie das Aufkommen rebellischer Ideen deutlich bremsen.

S. Andersson / 10.09.2022

Aber war es nicht schon immer so? Feige Menschen, Leute die nicht wirklich was können waren schon immer die angepasste, sich bückende “Mehrheit”. Die Menschen die viel wichtiger für uns sind, haben ihre eigenen Wege gesucht und oft auch gefunden. Die Bücklinge haben auch schon immer, zusammengerottet,  gebrüllt, denunziert und all das gemacht was in meiner Welt unter dem Oberbegriff “Arschloch” läuft. Es scheint das genau diese Menschen sich jetzt einfach der Medien bedienen um das um zu setzen. Hetze, Lügen, Halbwahrheiten und es interessiert niemanden welchen Schaden die damit anrichten .... Hauptsache ICH hab etwas an bösen, schlechten “Nachrichten” gesehen/ gelesen. Das ein solches Verhalten krank und mehr als Dumm ist, werden Dumme erst dann verstehen wenn es die selber betrift .... Arbeitslosigkeit, Pleite, Hunger, Frieren oder eben Krieg, wo dann unweigerlich irgend wann viele die Todesnachrichten von den eigenen Kindern/ Verwandten bekommen. DANN ist das geheule groß .... muss wohl so sein in deren Welt.

Hartmut Laun / 10.09.2022

Moderne Metamorphosen? Fürchtet euch nicht vor Dunkelheit und Kälte, denn alles wird gut: CDU-Parteitag beschließt die Frauenquote. Grüße von Angela Merkel, Claudia Roth, Ursula von der Leyen, Christine Lambrecht, Nancy Faeser, Svenja Schulze, Annalena Baerbock, Steffi Lemke u.s.w.

A.Schröder / 10.09.2022

“Die Metamorphosen unserer Zeit machen Menschen zu Politikern, die sich früher als Otto-Normal-Verbraucher oder Erika Musterfrau hinter der Tarnung ihres Mittelmaßes verbarrikadiert hätten.”. Hier heißt es wie so oft in der Geschichte, vom Militär lernen. Gewisse Substanzen geben einem ungeahnten Kampfwillen und Unerschrockenheit, egal wie aussichtslos die Lage oder die eigene Unfähigkeit einem voraus eilt. Dieser Effekt zieht sich leider durch alle Schichten und Bereiche der Gesellschaft. Noch nie war es für diesen großen Personenkreis so einfach jeden Skrupel wie eine lästige Staubschicht abzustreifen.

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