Thilo Sarrazin / 01.03.2024 / 06:05 / Foto: Achgut.com / 150 / Seite ausdrucken

Der Selbstbetrug der „Demonstranten gegen Rechts“

Die Demonstranten „gegen Rechts“ übersehen, dass sich Deutschland in Sachen Migrationspolitik zwischen zwei Szenarien entscheiden muss.

In den vergangenen Wochen waren in Deutschland nach Angaben der Veranstalter etwa dreieinhalb Millionen, nach Angaben der Polizei etwa zwei Millionen Menschen an Demonstrationen „gegen rechts“ beteiligt. Nur ein politischer Narr kann sich von der schieren Teilnehmerzahl nicht beeindruckt fühlen. Es waren die größten massenhaften Demonst­rationen seit dem Untergang der DDR 1989 – vergleichbar allenfalls mit den westdeutschen Massenaufmärschen im Kampf gegen die ato­mare Nachrüstung 1982/83.

Im Kampf gegen die Nachrüstung mar­schierten die Demonstranten allerdings vor über vierzig Jahren gegen den Geist der Zeit und waren letztlich erfolglos. Helmut Kohl setzte die Nachrüstung gemeinsam mit Ro­nald Reagan durch, und sie war ein wichtiger Baustein für den Untergang von Ostblock und kommunistischer Diktatur nur wenige Jahre später. Dagegen schwangen die großen Demonstrationen in der DDR kurz vor dem Mauerfall im Rhythmus des Zeitgeistes. Sie beschleunigten den Untergang von DDR und Staatssozialismus, beides wäre allerdings so­wieso unvermeidlich gewesen.

Die Anziehungskraft der heutigen Demons­trationen „gegen rechts“ besteht in der Unschärfe des Feindbildes, verbunden mit dem angenehmen Gefühl, in jedem Fall zu „den Guten“ zu gehören. Die große Teilnehmerzahl zeigt aber auch eine emotionale Dringlichkeit in Teilen der Gesellschaft an, die man nicht ein­fach wegreden kann.

Zwei Wege

Entkleidet man die Motivation für diese Demonstrationen und das ihnen innewoh­nende Feindbild von jeder Polemik, so geht es im Kern um den Umgang mit Migration:

– Wollen wir in Deutschland als Deutsche und Europäer leben, so, wie dies Polen, Fran­zosen, Italiener oder Dänen in ihren Ländern tun, dann müssen wir Einwanderung von außerhalb Europas grundsätzlich steuern und gegebenenfalls auch begrenzen. Die Folge: Nicht jeder, der dies möchte, darf auch zu uns kommen.

– Sehen wir aber den Nationalstaat und auch den Schutz der europäischen Außengrenzen als historisch obsolet an und glauben wir an die historisch unaufhaltsame Entwicklung zu einer Weltgesellschaft, dann sollten wir unsere Außengrenzen mehr oder weniger be­dingungslos offenhalten und grundsätzlich jeden willkommen heißen und in unseren Sozialstaat aufnehmen, der auf irgendeine Weise seinen Weg nach Deutschland findet.

Beide Haltungen führen zu konkreten Kon­sequenzen, wenn man sie in der Wirklichkeit umsetzen will:

– Im ersteren Fall führt kein Weg an einem grundsätzlich veränderten europäischen und deutschen Grenzregime vorbei. Massenhafte Abweisungen an den Außengrenzen, die auch wirksam durchgesetzt werden, sind dann un­vermeidlich.

– Im letzteren Fall wird das Wohlfühlregime des deutschen und des europäischen Sozialstaats unfinanzierbar.

Öffentliche Verdammung

Die massenhaften Demonstrationen „gegen rechts“ haben viele Antriebsquellen, die ehrlichen Gefühle guter Menschen gehören auch dazu. Sie spiegeln aber auch eine kollektive Weigerung in großen Teilen der Gesellschaft wider, den beiden Alter­nativen, die im Ergebnis zur Wahl stehen, wirk­lich klar ins Auge zu sehen. Moralisch gesehen, möchte man den Kuchen essen und behalten.

Das wird, so meine Einschätzung, natürlich nicht funktionieren:

– Grüne, Linke und SPD haben sich offenbar mehr oder weniger bedingungslos für die Fort­setzung des migrantischen Illusionstheaters entschieden. Ihr kombinierter Stimmenanteil ist seit der Bundestagswahl von 45,4 auf jetzt rund 33 Prozent gefallen.

– FDP und Union sind bei Migrationsfragen im Schwankungsmodus. Ihr kombinierter Stimmenanteil ist seit der Bundestagswahl mit 34 bis 36 Prozent praktisch unverändert.

– Dagegen haben die beiden einwanderungs­kritischen Parteien, die AfD und das neue Bünd­nis Sahra Wagenknecht, ihren Stimmanteil von 10,3 auf rund 24 Prozent gesteigert.

Der Kampf um die künftige Migrationspolitik wird in Deutschland mit den harten Bandagen der öffentlichen moralischen Verdammung geführt. Auch die katholischen Bischöfe haben sich jetzt auf die Seite der „Guten“ geschlagen. Man wird sehen, wem das nützt oder schadet.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Die Weltwoche

Dr. Thilo Sarrazin, geb.1945 in Gera, aufgewachsen in Recklinghausen. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Bonn. Er bekleidete zahlreiche politische Ämter und war unter anderem von 2002 bis 2009 Senator für Finanzen im Land Berlin. Sein im August 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ löste eine anhaltende Diskussion aus und wurde zum meistverkauften deutschen Sachbuch seit 1945.

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Talman Rahmenschneider / 01.03.2024

@ Jörg Kramer: “Hauptverursacher der Völkerwanderung 2015 war ein Herr Putin, der in Syrien so lange hauste, dass einige Millionen Menschen davonrannten.” Nope. Allenfalls Nebenverursacher, aber eher nicht. Hauptverursacher waren a) Assad, b) der IS. Soweit ich weiß, haben die Russen den Bürgerkrieg beendet und waren dort auch auf Wunsch der Amerikaner. Vor dem Syrienkrieg bekamen die Menschen schon Handies geschenkt. Wenn, haben das die UN angeschoben. Lügen haben kurze Beine. Es führt zu gar nichts, alles auf Putin/Trump/AfD zu schieben.

Sabine Heinrich / 01.03.2024

Beobachtung am letzten Sonntag bei einer riesigen Anti-Rechts-Demo in Dresden: So viel Häme und vor allem Aggression und Hass habe ich seit langem nicht mehr in Gesichtern von Menschen quer durch alle Altersgruppen gesehen! Es war erschreckend! - Einer der reichlich menschenverachtend gegrölten Sprüche war: “Alle wolln dasselbe - Nazis in die Elbe!” -Vor Jahrzehnten hatte es mich schaudern gemacht, als ich so einen Spruch - “verziert” mit einem entsprechenden Wandgemälde - im muslimischen Teil von Malaysia gesehen habe - da sollten die Juden ins Meer getrieben werden. - Auch eigentlich nett aussehende Mädchen skandierten Hassparolen - ich war fassungslos! Ich habe die Menschen beobachtet - manche schrien diese Parolen wohl nur aus Spaß (das sah ich an den fröhlichen Gesichtern), es schien ein Abenteuer für sie zu sein, mit anderen in der Sicherheit der sie umgebenden Gutmenschen zu sein und zu brüllen. Was ich verstörend fand: Es waren auch viele alte Menschen - also 60plus - dabei, die wohl im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst hatten - oder damals von linken Lehrern unterrichtet wurden. Schändlich: Etliche junge Eltern hatten ihre kleinen Kinder dabei! - Die Klientel - nach meiner subjektiven Beobachtung: Junge Leute - bestimmt keine Handwerker oder “Wertschaffende” - und offensichtlich Gutsituierte (denen es am Allerwertesten vorbei geht, wenn die Kosten für Miete und Heizung unerschwingliche Höhen erreichen; und dann die Gescheiterten - die zwar dank unserer erzwungenen Steuern besser über die Runden kommen als in jedem anderen Land. So viel Hass! Ich war wirklich SEHR erschrocken!

Gregor Waldersee / 01.03.2024

Sollten Muslime je in Deutschland was zu sagen haben, geht es rapide südwärts - und der schaffende Deutsche wendet sich mit Grausen ab. Zusammen mit den Idioten der vielfältigen Unsicherheit, der grünen und linksextremen Sekte, werden sie den Staat schneller zugrunde richten als dies Ulbricht und Co schafften. Die Welt und Joschka Fischer freuen sich diebisch, sind die Deutschen endgültig zermalmt. Jedem Grünroten gönne ich seinen Gebetsteppich und einen Scharia Aufpasser, sie werden ihren Sinn dann hoffentlich darin finden, endlich zu kämpfen, für Freiheit und Sicherheit ohne Bückbeterteppiche. Dänemark ist aufgewacht und warum sollten das die deutschen Dänen vom Schlage eines Habeck nicht begreifen. Genau dann, wenn ihnen alles droht weggenommen zu werden, wachen sie auf, die mickrigen Vielfaltsapostel. Niemand in der Geschichte habe ich je mehr verachtet als den klatschenden Woken auf der Berlinale, der hinterher merkt, dass er den Antisemiten zugestimmt hat. Ein Dummkopf ohne Beispiel und irre eingefangen in der blonden Kochtopffrisur der aus den Fugen geratenen hässlichen, fetten Frau, die nichts als verbalen Müll im Erdkreis verteilt. Wenn ich heute 30 wäre, würde ich sofort als Soldat in Israel antreten, meine Wut gegen die dümmste aller Religionen wächst täglich, mir fehlen die Worte bei jeder neuen Erkenntnis, die ich z.B. in den Hadith finde. Hadith M036,6603 Mohammed: „Wenn ich nicht mehr bin, wird als größte Bedrohung der Stabilität der Schaden bleiben, der Männern von Frauen zugefügt wird.“

Talman Rahmenschneider / 01.03.2024

@ Werner Arning: “Wer heute genau zuhört, der kann auf diese Verschwörungstheorie kommen, oder?” Ja, absolut. Er denkt dann auch an Attali, Eine Kurze Geschichte Der Zukunft, wo alles schon vorhergesehen wird, vor allem der Zerfall.

Talman Rahmenschneider / 01.03.2024

Er sieht durchaus nett aus, gefällt sich aber in der motzenden Opferrolle: ” Oscar-Nominierter İlker Çatak “Diese Doppelmoral kotzt mich an”, Regisseur İlker Çatak beklagt sich über die Wahrnehmung von Menschen mit Migrationsgeschichte in diesem Land…. Er klagt auch, dass Iris Berben seinen Namen falsch ausgesprochen hätte. Ach nee. Ich wusste bis vor kurzem nicht, dass Cillian (Murphy) mit k gesprochen wird und Sinead hat sich mir auch nie erschlossen, aber komisch: Die Iren klagen darüber nicht. Vielleicht sind die Iren einfach irre. Fiennes: auch so ein Rätsel. Was will der Mann? Ich werde seinen Film nicht ansehen wegen der unterirdischen Motzerei. Lieber Cillian. Ach ja, der Erguss steht im Stern, nur nebenbei.

Bernd Neumann / 01.03.2024

Das klingt ja alles ganz nett, was Herr Sarrazin hier schreibt - schuldig bleibt er seit seinem ersten Buch die Antwort. WIE er das, was er für sinnvoll hält, denn umsetzen will. Im politischen Salon oder mit Kolumnen bei Achgut oder Cicero? Viel zu lange blieb er Mitglied in einer Partei, die maßgebliche und treibende Kraft bei der Entdeutschung Deutschlands ist. Das mindeste, was ich von Thilo Sarrazin erwartet hätte, anstatt hier bei der Achse zum 122. Mal das gleiche zu schreiben (so richtig es ist) wäre gewesen, von ihm zu lesen, daß er in die Werteunuion eingetreten ist und für sie bei der Europawahl in Berlin antreten will. oder in Brandenburg. Damit hätte er einen validen Beitrag geleistet. So lese ich nur wieder, daß Armutszuwanderung dieses Land von innen aushölt. Das aber lese ich seit 2012 und seitdem haben sich über 8 Millionen Habenichtse aus der 3. Welt in diesem Land angesiedelt. Über den Punkt, das festzustellen, sind wir hinaus.

Karsten Dörre / 01.03.2024

Historisch sehe ich das so: der Sozialismus musste untergehen, damit er neu definiert und umgesetzt wird. Die Grünen waren den DDR-Sozialisten nicht geheuer, waren die Grünen schon damals neo-sozialistisch mit ökologischem Vorwand.

Werner Arning / 01.03.2024

Krieg und Bürgerkrieg wurde geschürt im nahen und mittleren Osten. Den Menschen in den Flüchtlingscamps wurden die Hilfsmittel radikal gekürzt. Dann animierte man sie, sich auf den Weg zu machen, zu uns hin. Man wusste, dass dieses Vorgehen in seiner Maßlosigkeit zu Verwerfungen im Aufnahmeland führen musste. Man verunglimpfte die Kritiker dieser Vorgehensweise. Wer die eigene Bevölkerung mit derart böswilliger Überforderung konfrontiert, handelt dieser Mensch aus Liebe, aus Mitgefühl? Möchte er wirklich den Geflüchteten helfen, oder möchte er vielmehr den Einheimischen schaden? Benutzt er nicht die Flüchtlingen? Benutzt er sie zum Zwecke der Spaltung der aufnehmenden Gesellschaft? Hat er nicht womöglich aggressive, zerstörerische Ziele? Geht es am Ende darum, Kritiker, die diese zerstörerischen Ziele aufdecken könnten, mundtot zu machen, ja, zu kriminalisieren? Soll ein großer Krieg vorbereitet werden? Und sollen diejenigen, die sich diesem Ansinnen widersetzen würden, im Vorfeld bereits identifiziert und ausgegrenzt werden? Denn sind die potentiellen Kritiker einer möglichen Kriegsvorbereitung nicht identisch mit den Kritikern an jener Art von Politik, welche seit ca. 20 Jahren betrieben wird? Wer heute genau zuhört, der kann auf diese Verschwörungstheorie kommen, oder?

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