Rainer Bonhorst / 22.07.2014 / 22:49 / 1 / Seite ausdrucken

Versuch einer Entschuldigung

Das Spiegel-Interview mit Christian Wulff war das beste, das ich dort seit langem gelesen habe. Ein klarer Sieben-zu-eins-Sieg für den aus dem Amt gehetzten Bundespräsidenten. Sieben zu eins? Wieso eins? Der Spiegel hat es auch in den letzten Spielminuten nicht geschafft, dem Gesprächspartner den Ball ins Netz zu setzen. Sieben zu Null also.

Besonders interessant fand ich die Passage, in der andeutungsweise über die Möglichkeit gesprochen wurde, dass Medienvertreter sich bei ihm entschuldigen könnten. Es wurde schnell klar, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist und von Wulff auch nicht erwartet wurde.

Warum haben wir Journalisten solche Probleme, uns zu entschuldigen? Liegt es daran, dass wir von Hause aus immer recht haben? Handelt es sich um eine kulturell erworbene Behinderung? Oder gar um einen genetischen Defekt?

Ich möchte der Sache mit einem Selbstversuch auf den Grund zu gehen. Die Versuchsanordnung ist sehr kostengünstig. Ich werde – ganz einfach – versuchen, mich bei Christian Wulff zu entschuldigen.

Also, los geht’s:

Sehr geehrter Herr Wulff, ich möchte mich in aller Form …

Moment mal. In aller Form? Wieso in aller Form? Ist doch Quatsch. Also, nächster Versuch:

Sehr geehrter Herr Wulff, ich möchte mich von ganzem Herzen bei …

Von ganzem Herzen? Was hat denn das Herz damit zu tun? Das lassen wir mal besser aus dem Spiel. Nächster Versuch:

Sehr geehrter Herr Wulff, ich möchte mich …

Wie so: Ich möchte mich? Ich möchte doch gar nicht. Wenn überhaupt, dann muss ich oder sollte. Neuer Versuch:

Sehr geehrter Herr Wulff, ich muss mich bei Ihnen …

Anderseits: Müssen muss ich gar nichts. Außerdem ist der ganze Ansatz falsch.  Ich kann mich doch nicht selbst bei jemandem entschuldigen. Wenn schon, dann kann ich höchstens um Entschuldigung bitten. Noch ein Versuch:

Lieber Herr Wulff, ich bitte Sie um Entsch ..., Entsch …, Entsch … .

Ja los, weiter. Was ist denn jetzt schon wieder? „Entsch“ ist nicht mal die halbe Miete. Auf geht’s, nochmal:

Lieber Herr Wulff, ich bitte Sie um Entsch …, Entsch …, Entscheidungshilfe, ob es angemessen ist, dass ich als Journalist um Entsch …

Also wirklich. Das kann doch nicht so schwer sein. Weiter bitte:

Lieber und so weiter, ich bitte Sie um Entsch …

So weit waren wir schon.

Lieber, ich bitte Sie um Entschleunigung.

Was? Entschleunigung? Entschleunigter als bisher geht es nun wirklich nicht.

… um Entschlackung.

Also wirklich.

… um Entschuldung.

Ja, beinahe. Entschuldung. Wunderbar. Noch ein Versuch, dann haben wir es.

Lieber Herr Wulff, bitte entschuldigen Sie, dass ich es nicht schaffe, Sie um Entschuldigung zu bitten.

Na also. Es geht doch. 

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Leserpost

netiquette:

Karl Krähling / 23.07.2014

Lieber Herr Bonhorst! Das Alter bringt eine merkwürdige Sicht auf die Zeit, sie vergeht immer schneller und verdichtet sich auch zur Vergangenheit hin. In diese missliche Lage bringt mich mein Schicksal immer unerbittlicher hinein. ‚Wie konnte es geschehen?’ so fragten sich viele unserer Generation, manche ernsthaft, manche rein rhetorisch, um mit großer Empörung sichtbar zu machen, dass sie nie zu jenen gehört hätten. In der Causa Wulff erleben wir das Schicksal eines Menschen, den der Politikbetrieb und Medien nach oben gespült haben und der – aus welchen wirklichen Gründen auch immer – zur Unperson gemacht und wieder zu Fall gebracht wurde. Zwei Akteure, die den Daumen senkten sind bekannt, die anderen Wadenbeißer fanden sich schnell. Eine Entschuldigung der beiden Akteure würde das Bild weiter verschmutzen, das immer mehr Menschen von Politik und Medien haben. Der Sumpf ist zu groß geworden - und die Trockenlegung von Sümpfen entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Wulff hätte gern mehr Anstand und Ehrlichkeit in den Medien – aber gerade da hat die Umerziehung nach dem Krieg versagt. Die Art und Weise, wie dem Volk Bilder des Schreckens gemalt werden ist geblieben, nur die Wörter wurden ausgewechselt - und die Ziele. Und Wadenbeißer gibt es immer noch.

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