Frank Stern
Kein Augstein, kein Terror, kein Klima – dafür eine Reise auf eine merkwürdige Insel am anderen Ende der Welt.
Voller Entdeckerstolz machen wir uns auf nach Lunawanna auf der anderen Seite der Insel. Laut unserer Touristenkarte führt eine Abkürzung quer durch den Wald direkt zu den Explorer Cottages, wo wir für die Nacht gebucht haben. Im Voraus. Inzwischen ist es dunkel geworden, und die Forststraße erweist sich als rutschige Berg- und Talbahn. Wir kommen an eine Gabelung, die in der Karte nicht verzeichnet ist, und entscheiden uns per Los für die linke Spur. An etlichen weiteren Abzweigungen setzt sich das Ratespiel fort, bis wir völlig die Orientierung verloren haben. Die Waldbewohner, die in unseren Scheinwerferkegel geraten, Possums und Wallabys, Wombats und Beutelmarder, scheinen von unserer planlosen Herumkurverei genauso genervt wie wir.
Irgendwann landen wir dann doch noch in Lunawanna, und wie es aussieht, sind wir die einzigen, die es je bis in diese Einöde geschafft haben. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Nur ein paar Hasen hoppeln über die Wiese hinter unserem Feriendomizil. Der Kamin ist mit Holz und Anzünder bestückt, und wenn ein Raucher unter uns wäre, könnte es ein heimeliger Abend werden. Ohne Streichholz oder Feuerzeug aber bleibt uns nur der Rückzug ins Bett. Die Nacht ist empfindlich kalt, und wir danken allen Beteiligten für die Erfindung heizbarer Matratzen, die zum Standard im tasmanischen Herbergsgewerbe gehören. Beim Frühstück am nächsten Morgen stoßen wir im Küchenschrank auf eine Schachtel Streichhölzer.
Auf dem Rückweg zur Fähre kommen wir am Bruny Island Smokehouse vorbei, das uns ein Angler in der Adventure Bay ans Herz gelegt hatte. Wer mal geräuchertes Wallaby auf Cherry Chutney probieren will, hatte er gemeint, der müsse dort einen Stopp einlegen. In ganz Tasmanien finde man nichts Besseres. Wir probieren und verdrängen die Bilder von friedlich grasenden Albino-Kängurus. Die Rückfahrt nach Kettering verläuft ohne Vorkommnisse, Flipper macht keine Anstalten, sich zu zeigen.
Über Hobart steuern wir als letzte Station unserer Reise Port Arthur auf der Tasman-Halbinsel an. Einst ein Gefängnis für Wiederholungstäter zählen die Ruinen heute zu den größten Touristenattraktionen Tasmaniens. Weltkulturerbe sind sie auch. Bei Besuchern besonders gefragt sind die allabendlichen Ghost Tours. Natürlich regnet es, aber das hält uns nicht davon ab, die anderthalbstündige Seance zu buchen. Ausgerüstet mit ein paar Öllaternen folgen wir Tim, unserem Geisterführer, über das nächtliche Areal.
Viele Geistersichtungen seien verbürgt, sagt Tim, der mit seinem breitkrempigen Hut und dem ausladenden Regenmantel ein wenig an Captain Ahab erinnert. Manche wurden sogar auf Video festgehalten, versichert er, doch leider seien die Aufnahmen alle verloren gegangen. Dumm das. Tim gibt sich alle Mühe, dem Dunkel um uns herum etwas Spannung abzutrotzen, doch nicht einmal im Haus des ehemaligen Kaplans, das in seiner Spukdichte nur von einer Geisterbehausung in New South Wales übertroffen werden soll, lassen sich die Gespenster aus der Reserve locken. Selbst die Kinder in unserer Gruppe schauen mittlerweile verstohlen auf die Uhr. Am Ende erhält jeder Geistersucher eine Urkunde, die ihm ungewöhnliche Tapferkeit bescheinigt.
Auf unserem Rückweg nach Hobart schauen wir am nächsten Tag noch beim Tasman Devil Conservation Park vorbei, einer Schutzeinrichtung für Tasmanische Teufel, die in den letzten Jahren zu Tausenden von einem tückischen Virus dahinrafft wurden. „How are you today“ – Wie geht’s denn heute so? – fragt mich die Ticketverkäuferin an der Kasse. „Toll“, antworte ich nichtsahnend, „wenn es nur nicht dauernd regnen würde.“
Fehler. Regen, so werde ich umgehend belehrt, sei gut für die Natur, ja geradezu lebensnotwendig. Und er reinige zudem die Luft. Außerdem sei es nicht mal kalt. Nun, darüber ließe sich trefflich streiten. Und die tasmanische Luft, sauber wie an keinem anderen Ort der Welt, bräuchte die zusätzliche Reinigungsstufe eigentlich auch nicht, finde ich. Doch jetzt bloß keine Widerworte. Als sie mir kühl die Eintrittskarten für das Refugium der Beutelteufel aushändigt, glaube ich, eine Narbe an ihrem Hals zu erkennen.
Dr. Frank Stern ist Journalist mit Themen-Schwerpunkt Asien-Pazifik.