Fred Viebahn / 25.05.2010 / 08:28 / 0 / Seite ausdrucken

Schlaflos in Seattle, oder: Wie mir Mißtöne bei Apples iPad die Nachtruhe raubten

Früher Morgen an der amerikanischen Westküste. Draußen dämmert es gerade, und genügend graues Licht fällt durch die Jalousienschlitze, daß die Umrisse des Hotelzimmers in mein unwillig erwachendes Bewußtsein dringen. Die roten Leuchtziffern der Radiouhr auf meinem Nachttisch haben eben die Fünf übersprungen, und ich stelle mir vor, wie zuhause in Virginia – drei Stunden im Zeitvorsprung –durch die Talsohle unter unserem Haus der Schulbus vorüberrauscht. Wie ist wohl heute das Wetter daheim? Ich lange nach meinem neuesten Spielzeug, einem iPad 64 mit Wifi und 3G, und erfahre binnen Sekunden, daß es dort in Strömen regnet.  Köln, vermittelt der Tafelcomputer vom Internet, ist ebenfalls naß; eine Kamera in der Nähe des Doms, auf die ich im Yahoo-Server unter meinen „Favorites“  Schnellzugriff habe, bestätigt dies aus der Vogelperspektive mit einem erst wenige Sekunden alten Bild.

Ich trage das Bildschirmtablett, diese überdimensionale iPhone-Kopie, hinüber in den Wohnbereich, um meine Frau nicht zu wecken, als ich die Gardinen aufziehe und vom sechsundzwanzigsten Stock die Bilderbuchansicht der blauen Bucht vor schneebestäubten Bergen genieße. Hinter mir, von Osten, verrät sich die aufgehende Sonne mit ersten Strahlen, die auf dem Wasser glitzern; es wird noch bis zum Nachmittag dauern, bis sie sich selber für diesen Westblick Richtung Pazifik sehen läßt. Seattle bei relativ selten blauem Himmel – das macht Laune, trotz der Enttäuschungen des iPad, über die ich mich auch nach Wochen immer weniger stolzen Besitzertums gewaltig ärgere und über die sich zwei der technologisch-wirtschaftlichen Hauptakteure in dieser Stadt, beide direkte Konkurrenten von Apple, wohl wie Schneekönige freuen. Denn was gemäß ersten Spekulationen, nachdem Apple-Honcho Steve Jobs im Januar seine neue Wunderwaffe angekündigt hatte, Microsoft-getriebenen Laptops und Netbooks einen schweren Schlag zu versetzen und gleichzeitig Amazons Kindle-Lesegerät obsolet zu machen drohte, hat sich selber aus lauter Hybris Fesseln angelegt, die es anderen Spielern im Markt tragbarer Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte – wie eben Microsoft und Amazon, aber auch Google und Dell und Hewlett-Packard und manch anderem hinter Apple herhechelnden Verfolger—ermöglichen könnten,  wie ja schonmal in den Achtzigern den technischen Vorsprung der Genies in Cupertino, Kalifornien rasch zunichte zu machen, bevor Apple die ganze Welt so saturieren kann wie die Firma es mittlerweile mit dem iPhone geschafft hat, von dem es inzwischen über fünfzig Millionen Exemplare gibt.

Als es Jobs Mitte Januar mit einer gelungenen marktschreierischen Inszenierung und der daraus aufblühenden Werbekampagne gelang, Technojournalisten und ihren Konsumenten das neueste Produkt seines Hauses als das Nonplusultra zukünftiger Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologie zu verkaufen, steigerte sich das „Must have“-Fieber schnell ins Stratosphärische—erinnerte das anderthalb Pfund leichte handliche Rechteck mit dem silbernen Alurücken und dem hochauflösenden, begeisternd schnell und exakt auf Berührungsbefehle reagierenden Bildschirm doch gleichzeitig von Größe und Form her nostalgisch an die Schiefertafeln, die wir anno dazumal im Schulranzen trugen, als auch an die fiktive futuristische Ästhetik drahtloser elektronischer Kommunikationsapparate der „Star Trek“-Serien der achtziger und neunziger Jahre.  Und so geschah‘s, daß am 3. April, dem ersten Verkaufstag des zunächst nur mit Wi-Fi ausgestatteten iPad, Apple in den USA gleich 350,000 Exemplare an vor Erwartung fiebernde Käufer brachte. Vier Wochen später, zum Auslieferungstermin des etwas teureren 3G-Datenempfangsmodells, war bereits die Rede von einer Million. Jedenfalls kamen die Fabriken in China kaum mit den Bestellungen amerikanischer Fans nach, sodaß die Auslieferung in anderen Märkten—wie Deutschland—auf Ende Mai hinausgezögert werden mußte.

Irgendwo in den bald mit Karacho aufflammenden Diskussionen über das Für und Wider dieses Dings wurde zwar immer wieder erwähnt, daß es sich dabei nicht um einen totalen Laptop- oder Netbook-Ersatz handelt, sondern eher um ein Zusatzgerät, das ohne Zulieferung seitens eines mit iTunes geladenen herkömmlichen Computers nur ziemlich gelähmt daherzuhumpeln vermag—aber da Jobs und seine Mitarbeiter mit viel Gusto iPadsche Zauberkunststücke beim Lesen, Schreiben und Rechnen demonstriert hatten, damit scheinbar grenzenlos im Internet herumturnten, Videos wie ein persönlicher DVD-Spieler, Fotos wie ein digitaler Bilderrahmen, elektronische Bücher in Gutenbergscher Druckfertigkeit und Musik wie – na, wie ein iPod halt—vorstellten, war das für Otto und Emma Normalverbraucher so wenig zu fassen, daß die gierige Konsumentenschar, die wie ich von Anfang an dabei sein wollte, ihre aufkeimenden Zweifel zunächst mal erstickte und je nach Ausstattung (16, 32 oder 64 Gigabytespeicher, mit oder ohne 3G-Datenpotential) ihr Kreditkartenkonto flott mit fünfhundert bis neunhundert Dollar belastete.

Mein iPad mit 3G wurde wie viele andere Frühbestellte am Morgen des 30. April, dem ersten Auslieferungstag, von Fedex frei Haus geliefert und machte mir schon am Nachmittag, nachdem die Batterie geladen war, bei diversen Probeläufen gehörig Spaß. Ich lud einige Apps, wobei die meisten kostenlos daherkamen und ich nur für das Schreibprogramm „Pages“ zehn reuelose Dollars über mein App Store-Konto verbuchen ließ, transferierte ein paar Fotoalben und Videos, lud Songs, bestellte über iBooks zum Ausprobieren kostenlose Bücher und blätterte in ihren virtuellen Seiten, surfte durch den Cyberspace… all das ohne Maus, nur per Fingerwischen, wobei die lichtstrahlende Bildfläche die Myriaden an Fingerabdrücken, die sich bald bildeten, so gut wie ganz verschluckte; schmierig sah es erst nach dem Ausschalten aus. Alles toll cool! Aber konnte das iPad mehr als mein nicht viel größerer und nur wenig schwererer „EeePC“? Nein, gestand ich mir ein, es hatte zwar einen besseren Bildschirm mit aufgeräumterem Desktop und startete im Gegensatz zum überfrachteten Netbook ohne die von PCs gewohnten Verzögerungen, aber mehr konnte es auf Anhieb nicht – eigentlich weniger, denn es fehlt ein SD-Karteneingang genauso wie eine USB-Verbindung; alle Ladevorgänge erfordern, wie gesagt, PC- oder Mac-Vermittlung, und die meisten werden über iTunes und/oder den App Store-Laden strikt kontrolliert. Da können Apple-Untertanen von der Virenfreiheit schwärmen soviel sie wollen – mir persönlich geht es mehr um die Freiheit der Wahl, die Apple seinen Konsumenten doch gewaltig vorenthält. Und so kam’s für mich zum ersten richtigen Ärger, als ich mir mitten in den USA die Freiheit nehmen wollte, mir eine ARD-Talkshow reinzuziehen. Während das auf einem PC kein Problem ist, weigerte sich das iPad, den erforderlichen, kostenlos erhältlichen Adobe Flash Player zu laden – also war nichts mit deutschem Fernsehen und, wie sich für mich beim Googeln herausstellte, auch nichts mit vielen anderen im Internet erhältlichen Videoproduktionen, denn etwa siebzig Prozent laufen über Flash. (Beim iPhone gibt’s dasselbe Problem, nur fällt es da kaum auf, weil Filmchengucken bei dem vergleichsweise winzigen Bildschirm weniger gefragt ist und die Handy-Funktion an erster Stelle steht, die es beim iPad genauso wenig gibt wie eine eingebaute Kamera.)

In den paar Monaten, seit das iPad in unser Bewußtsein gedrungen ist, ist ein wütendes Für und Wider gerade wegen der Flash-losigkeit entbrannt. Steve Jobs und seine Mannen versuchen der Öffentlichkeit einzubläuen, sie schützten uns Normalsterbliche mit ihrer Politik vor der Virenanfälligkeit und hohem Batterieverbrauch von Flash, während „Endkonsumenten“ wie ich, die sich seit Jahren ohne allzu große Schwierigkeiten auf ihren PCs des freizügigen Flash-Lebens erfreuen, solche Bedenken schnurz sind – wir möchten auf den Geräten, für die wir unsere guten Dollars ausgeben, das sehen können, was wir wollen, und zwar nicht erst übermorgen (Steve Jobs verlangt, daß Videoanbieter im Internet Flash durch einen neuen universellen Standard ersetzen, HTML5, was, wenn sich überhaupt alle darauf einigen würden, nicht von heute auf morgen ginge). Außerdem, seit wann sorgt sich Apple um Batterieverbrauch, der beim iPhone berüchtigt hoch ist?

Ich mache mir Notizen für diesen Artikel auf der flachen gläsernen Virtualtastatur des iPad, während ich im Flieger von Seattle zurück nach Osten sitze, wobei weiterhin zwei Seelen, ach, in meiner Brust miteinander ringen. Es gibt am iPad einfach zu viel zu mögen und zu viel zu hassen. So ist zum Beispiel die virtuelle Popup-Tastatur trotz des Mangels an taktilem Feedback recht fingerfreundlich und tippfehlersparsam. Inzwischen habe ich mich sogar daran gewöhnt, nach dem (sehr einfachen) Umschalten von der amerikanischen QWERTY- auf die deutsche QWERTZ-Tastatur für Umlaute und das „ß“ einfach die korrespondierenden Tasten A, O, U und S eine Sekunde niedergedrückt zu halten. Wahrscheinlich kann ich auf das separate Keyboard verzichten, das Apple zum iPad anbietet (zur Wahl stehen Bluetooth oder verkabelt mit Ladestand), womit die Portabilität dieses so kurios mangelhaften Wunderdings ohnehin beeinträchtigt wäre. Hier in zehntausend Meter Höhe über den Rocky Mountains gibt’s weder WiFi noch AT&Ts 3G-Datenempfang, und so funktionieren hier nur die Internet-unabhängigen Funktionen wie Schreiben, Lesen, Angucken vorher runtergeladener Filme und Hören hochgeladener Musik; damit muß man’s zufrieden sein. Aber ich kenne mich gut genug, um zu wissen, daß ich mich in zwei Stunden, im Flughafen von Chicago während der Wartezeit auf den nächsten Flug,  gehörig darüber ärgern werde, daß ich mir nicht mal schnell die Tagesschau reinziehen kann, nur weil Steve Jobs sich als eigensinniger Starrhals gefällt. Damn you, Jobs – auch wenn es mir dieses Ding noch weiter vermiesen würde, hoffe ich, daß Google oder Microsoft dir bald mit ihren eigenen iPad-Killern zeigen,was eine Harke ist. Mit dem sturen Beharren auf einem Geschäftsgebahren der eisernen Faust hat der Kontrollfreak schon vor fast dreißig Jahren einem damals sowohl in technischer Hinsicht wie in der Benutzerfreundlichkeit anderen Rechnern und Schreibprozessoren überlegenen Apfel-Produkt, dem Macintosh, den ihm zu Füßen liegenden eigenen Markt kaputt gemacht und paradoxerweise damit den Weg gebahnt für den Siegeszug der Konkurrenz, des Microsoft-getriebenen IBM-PC. (Kannten wir sowas nicht auch schon vom Formatenkrieg der späten Siebziger und frühen Achtziger zwischen Sonys proprietärem Betamax und JVCs offener VHS-Plattform, wo ebenfalls Offenheit den technisch überlegenen Betamax-Totalitarismus an die Wand spielte?)

Google hat in den letzten Wochen wenig verhohlen durchsickern lassen, daß man ausgerechnet zusammen mit Adobe an einem Konkurrenzgerät bastelt, das auf dem Android-Betriebssystem basiert und keine der Schwächen des iPad haben soll. Ob es auch die Stärken emulieren oder übertreffen kann, wie weitgehende Virenimmunität, Batterielanglauf, höchste Tastsensibilität, flachen Formfaktor und gestochen scharfes Bild, bleibt abzuwarten. Sollte das allerdings alles klappen, würde mein iPad bald vielleicht bei Ebay einen Dummen an den Köder zu locken versuchen oder schlimmstenfalls meine Sammlung obsoleten Technokrams „bereichern“. Und es wäre sicher nicht das einzige iPad, dem dieses Schicksal widerführe. Was sich auf arroganten Höhenflug begibt, kommt irgendwann wieder runter – oft per Steilabsturz, als Stukka, der wegen Pilotenirrtums das Ziel verfehlt, bevor er in Grund und Boden zerschellt.

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