Fred Viebahn / 24.06.2010 / 09:58 / 0 / Seite ausdrucken

Prinz Eisenarsch, oder: Auf heißem Ofen durch Amerika

Ich sitze bei meiner Tochter im Garten auf der Terrasse und studiere Straßenkarten, gebe Zwischenstationen in den GPS-Navi ein. Vergangenen Sonntagmorgen um vier kam ich hier an, und seitdem genieße ich nicht nur das trockene sonnige Wetter von Greeley, Colorado, auf der hohen Prairie am Fuße der Rocky Mountains, sondern lasse mich dazu kulinarisch verwöhnen. Wer hätte gedacht, daß aus dem sich von gefrorenen Würstchen und rohen Gemüsegurken ernährenden Kind, dem noch als Teenager Kochlöffel fremdere Werkzeuge waren als Schraubenschlüssel, eine begnadete Hobbyküchenmeisterin würde?

Aber morgen soll es mit dem Faulenzen vorbei sein, da mache ich mich wieder auf die Räder heim nach Virginia. Allerdings möchte ich mir für die etwa zweieinhalbtausend Kilometer doppelt soviel Zeit nehmen wie auf der Hinfahrt und vor allem, sollte ein Nachmittagsgewitter dräuen, mich kurzerhand in einem Motel verkriechen dürfen. Auf der Hinfahrt konnte ich mir solchen Luxus nicht leisten, denn ich war auf zweifach fanatischer Mission: Ich wollte rechtzeitig zum amerikanischen „Father’s Day“ bei meiner Tochter sein, so wie ich’s ihr vor sechs Wochen bei der Feier ihrer Doktorhutverleihung sektselig versprochen hatte, und mir mein „Iron Butt“-Diplom verdienen – eine Urkunde, die von der Iron Butt Association (Motto: „World’s Toughest Motorcycle Riders“) nach strikten Regeln an diejenigen Langstreckenfahrer vergeben wird, die auf ihren Motorrädern mindestens eintausend Meilen in unter vierundzwanzig Stunden („Saddle Sore“ = Sattelwundheit) oder anderthalbtausend Meilen in unter sechsunddreißig Stunden („Bun Burner“ = Arschbackenbrenner) zurücklegen. Und das sind erst die Anfängerzertifikate; wen es nach mehr juckt (und wer noch irrer ist), der kann in weitere Fernen streben: Von Küste zu Küste (Trans-USA) in unter fünfzig Stunden, von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze an einem Tag, alle kontinentalen US-Staaten (einschließlich Alaska) innerhalb von zehn Tagen…

Dessen, daß ich mich auf solch fast unmöglichen Wahnwitz nie einlassen würde, war ich mir bereits gewiß, noch bevor ich mich letzten Freitagmittag zuhause in Charlottesville in meiner Schutzkluft verbarrikadierte (voller Helm mit Kinnschutz und eingebautem Sonnenvisier, perforierte Sommerlederjacke und Hose mit Schulter-, Rückgrat-, Ellbogen-, Hüft- und Kniepanzerung, Nierenschutzgürtel und verstärkte Spezialhandschuhe) und auf meine BMW R1200CLC schwang. Ein paar Tage vorher hatte ich das schwarze Monster aus Berliner Fertigung, mit dem die Weißblauen in bayrischer Hybris Mitte dieses Jahrzehnts den großen Harleys Konkurrenz machen zu können glaubten, noch vom örtlichen BMW-Mechaniker zu seiner Zufriedenheit und Gaudi durchchecken lassen; ich bin sein einziger R1200CLC-Kunde, denn es gibt in ganz Virginia weniger als ein Dutzend davon. Das Modell war ein ziemlicher Verkaufsflopp, denn wie sähe ein Harley-Fahrer aus, wenn er plötzlich bei seiner Sonntags von Kneipe zu Kneipe knatternden patriotischen Meute auf einer Lookalike von BMW den dicken Mann markierte? Als Schnäppchenjäger kam mir der gewaltige Wertverlust des „Beemer“ – wie BMW-Motorräder in den USA genannt werden – vor zweieinhalb Jahren gerade recht, als meine Buell Blast nach erst fünftausend Meilen bereits ärgerliche Qualitätsmängel zeigte und ich sie, da sie noch unter Garantie war, gut abstoßen konnte. (Die Buells waren Harleys Flopp – ein danebengegangener Versuch, in den lukrativen Sportmaschinenmarkt einzubrechen, auf dem amerikanische Firmen im Gegensatz zum Cruisermarkt nichts zu bestellen haben, denn er wird von BMW, Triumph, Ducati und vor allem den Japanern beherrscht.)

Obwohl ich mich eigentlich nach den guten Erfahrungen, die ich im Sommer 2007 bei einer Alpentour mit einer in Leverkusen gemieteten Honda gemacht hatte, auf eine ebensolche spitzte, überwältigte mich eine merkwürdige Nostalgie, als mir rein zufällig der Brummer mit dem großen Zweizylinderboxermotor, drei Jahre jung mit nur dreitausend auf dem Tacho, zum halben Neupreis unter die Nase kam. Hatte ich doch vor vierundvierzig Jahren, zum Abitur, so nach einer Sechshunderter BMW gelechzt, damals, vor der Münch mit NSU Prinz-Motor und nach dem Tod von Zündapp so ziemlich das größte Ding aus deutscher Serienfertigung, daß meine besorgte Mutter meinen Vater dazu überredete, mir seine Renault Dauphine unter der Bedingung zu schenken, vom motorisierten Zweirad abzulassen. Meine Mutter wußte genau, was sie da einfädelte; auf einer dicken BMW konnte man genauso wenig mit den Mädels fummeln wie auf der Gritzner Monza, dem Kleinkraftrad, mit dem ich drei Jahre lang nicht nur durchs Rheinland geröhrt war, sondern bis nach Schottland und Italien, durch die Alpenländer und die Tschechoslowakei. Die Dauphine hingegen hatte einen korrumpierenden Vorteil: Liegesitze.

Fortsetzung folgt, denn für heute muß ich Schluß machen. Mir steigen Wohlgerüche in die Nase (in Greeley eine Besonderheit, denn hier wird je nach Wind und Wetter die Luft oft von den riesigen Schlachthöfen und den damit verbundenen kilometerlangen Viehpferchen vermieft,  die der Stadt ihr Auskommen bieten). “Das Essen ist fertig, Prince Iron Butt”, ruft meine Tochter; ich bin gespannt, was sie diesmal aus dem Ofen zaubert.

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