Henryk M. Broder / 27.03.2009 / 09:45 / 0 / Seite ausdrucken

Kultur und Kohle

Erschienen in DIE WELTWOCHE vom 27.03.2009

Der deutsche Beitrag zum Weltkulturerbe ist enorm. Der Kölner Dom und das Bauhaus in Dessau, die Semper-Oper und die Frauenkirche in Dresden,  die Bayreuther Festspiele und das Münchener Oktoberfest, das Brandenburger Tor in Berlin und die Walhalla bei Regensburg, das Schloss Neuschwanstein von Ludwig II, der Berghof von Adolf I auf dem Obersalzberg; eine Stufe darunter die Nürnberger Lebkuchen und das Lübecker Marzipan, die Berliner Curry-Wurst und die Berliner Weiße, der Bismarckhering und die Schillerlocken, die Schwarzwälder Kirschtorte und die Bergische Kaffeetafel. Grundlage des kulturellen Reichtums ist die deutsche Gründlichkeit und die basiert ihrerseits wieder auf der Überzeugung, dass man nicht arbeitet, um zu leben, sondern lebt, um zu arbeiten. Weswegen die Zahl der Arbeitslosen der Gradmesser allen Glücks und Unglücks ist. Vor ein paar Monaten lag sie noch bei drei Millionen, inzwischen sind es dreieinhalb, noch in diesem Jahr könnten es wieder vier sein, sagt der Chef der Bundesagentur für Arbeit.

Ein Arbeitsloser, der seinen Job verloren hat und keinen neuen findet, wird sich möglicherweise damit trösten, dass die Krise nicht hausgemacht, sondern importiert ist, dass sie wie eine Flutwelle zuerst die niedrig liegenden Gebiete überrollt und dann die höher gelegenen.  Dass es sich sozusagen um einen Fall von höherer Gewalt handelt, eine Naturkatastrophe, der man nicht entkommen kann.  Dass man   genug Vorräte gebunkert hat, um für jeden Notfall gerüstet zu sein. Neben der materiellen Vorsorge spielt auch die psychologische Betreuung eine große Rolle. Die Bundesregierung gibt Versprechen ab, die sie gar nicht halten kann, wozu auch Garantien für Sparguthaben gehören, die Bundeskanzlerin geht in Talkshows, um auf ihre Landsleute beruhigend einzuwirken, die Lage sei ernst, aber nicht hoffnungslos, die Krise auch eine Chance, die man nutzen müsse, um Reformen voranzutreiben.

Das alles ist richtig und falsch zugleich. Denn die Politik agiert nicht, sie reagiert. Um die schwächelnde Automobilindustrie anzukurbeln, wird eine „Abwrackprämie“ auf alte Autos eingeführt, die beim Kauf eines neuen Wagens fällig wird. Und schon finden kluge Köpfe einen Weg,  die Prämie zu kassieren, ohne ein altes Auto abzuwracken, es soll auch vorgekommen sein, das ein und derselbe Opel Corsa mehrfach durch die Schrottpresse geschickt wurde. In einer Gesellschaft, in der praktisch alles vom Staat subventioniert wird, ist das nur ein Kavaliersdelikt, wie Schwarzfahren in der S-Bahn zur Rush hour. Völlig ausgeblendet wird dabei, dass „das Auto“ gestern noch als der Umweltverschmutzer Nr. 1 galt, dass die Menschen aufgefordert wurden, ihre Autos öfter stehen zu lassen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder Fahrgemeinschaften zu bilden. Wer in einer Talk-Show bekannt gab, er würde in der Stadt nur noch Fahrrad fahren und für längere Strecken einen Toyota mit Hybridantrieb benutzen, hatte einen moralischen Vorsprung, den er nur verlieren konnte, wenn er sich als Vielflieger outete. Aber solche defensiven Maßnahmen sind nicht genug, um das Volk ruhig zu stellen. Es muss auch offensiv agiert werden, und das ist viel schwieriger. Denn die klassischen Südenböcke – Freimaurer, Juden und Kommunisten – stehen nicht zur Verfügung, Bush ist nicht mehr Präsident der USA und der Preis für Rohöl versteckt sich im Keller der OPEC.

Vor diesem Hintergrund muss man die Ausfälle deutscher Politiker gegen die Schweiz sehen. Es geht nicht darum, dass die Schweiz deutschen Steuersündern hilft, deutsche Gesetze zu brechen, es geht darum, irgendwen oder irgendwas zu finden, den oder das man für die gegenwärtige Lage verantwortlich machen könnte, ohne dabei viel zu riskieren. Früher reichte es, von „Finanzkapital“ und „Ostküste“ zu raunen, um den Zorn der Volksgemeinschaft zu mobilisieren, heute sind es „Steuersünder“ und „Schweizer Nummernkonten“, die für die Misere verantwortlich gemacht werden. Der volkswirtschaftliche Schaden ist zwar gering, die Symbolkraft dagegen gewaltig. Der „kleine Mann“, der seine Kilometerpauschale ein wenig streckt, hat ein feines Gespür für das, was geht und was nicht geht. Das Finanzamt ein wenig betuppen? Macht doch jeder. Das Geld beim Nachbarn deponieren? Das gehört sich nicht. Man fährt auch nicht nach Bayreuth, um dort Oktoberfest zu feiern.

 

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