Antje Sievers / 22.11.2008 / 21:09 / 0 / Seite ausdrucken

Klimaschutzschokolade

Die neue Ausgabe der Brigitte enthält eine Sonderbeilage, in der es mitnichten um Mode, Kosmetik oder Kochrezepte geht. Sondern um das, was man heute allgemein für Ökologie hält. Alles im grünen Bereich, heißt es da launig: Verbessern Sie ihre persönliche Ökobilanz und tun Sie sich selbst und der Erde Gutes. Vorbei die Zeiten, in denen Öko noch ein Schimpfwort war und ausschließlich mit Birkenstockträgern in potthässlichen Pullis aus handgesponnener, planzengefärbter Schafwolle assoziiert wurde.
Öko ist trendy, schick und sophisticated geworden. Das beweisen auch Unternehmen wie Manufactum, wo der ökobewusste Geldsack für einen halben Liter Olivenöl schlappe 32.- ? ausgeben kann, weil industriell hergestelltes Olivenöl laut Manufactum-Katalog als Lebensmittel völlig untauglich ist. Alfred Biolek muss da Stammkunde sein. Ich werde nie vergessen, wie er in seiner Kochsendung mal von sich gab, einigermaßen gute Weine gäbe es ja schon ab 15.- DM. Solche Leute möchte ich gern mal das Fürchten lehren und sie ein Jahr lang bei ALG 2 ins Betonsilo stecken…

Der Trend ist mittlerweile auch in den USA angekommen. Oder kommt er gar von dort? Ökoratgeber wie dieser sind momentan Bestseller: ?Green chic - how to save the earth in style?. Da lernt man dann, warum es ökologisch sinnvoller ist, zu duschen, als jeden Tag ein Wannenbad zu nehmen. Das alles wird voller Inbrunst, Stolz und Selbstbewusstsein vorgetragen; gerade so, als hätte die Autorin soeben den Impfstoff gegen Krebs entdeckt. In einem Land, in dem jeder Haushalt einen Fuhrpark besitzt, Klimaanlage und Fernseher rund um die Uhr laufen und es so abartige Lebensmittel wie Fruitloops gibt, ist das auch plausibel.
Selbst vor vor einem Blödsinn wie “Klimaschutzschokolade” wird nicht zurückgeschreckt: http://www.terrapass.com/lp/index.chocolate.html.
Fatal aber wird es, wenn es in jedem New Yorker Diner auf einmal mindestens drei Gerichte auf der Karte gibt, die organic sein sollen. Denn das Wort organic klingt aus der Tiefe der Bronx besonders schlimm.
Alles nicht so wild - wenn die Anhänger der neuen Sekte nicht so zum Abwinken selbstgerecht wären.
Es ist ohne Zweifel ein Glaubenskrieg, der da in Gange ist. Nicht umsonst spricht man bei Verstößen gegen die Ökogebote von Umweltsünden. Und die Möglichkeit, Flugzeugmeilen durch Ökospenden wieder gut zu machen, ist die neue Form des Ablasshandels. Diesbezüglich ist die Brigitte-Beilage stellenweise Realsatire: Zum demonstrieren muss man nicht unbedingt auf die Straße gehen: Unter http://www.klimaretter.de finden Sie diverse Protestaktionen, an denen Sie sich per e-mail beteiligen können ? ganz bequem vom Schreibtisch aus.? Das muss das moderne Äquivalent zum Scherflein für den Klingelbeutel sein. ?In Green we trust!? lautet prompt das Motto eines der neuen Öko-Conceptstores, dessen Besitzerin irgendwie einen Heiligenschein verdient, weil sie Plastiktüten ablehnt. Aber dafür weiß sie, was sie verkauft und sie ist auch ehrlich genug, es auszusprechen: ?Wer Gutes für die Umwelt tut, fühlt sich eben auch in der eigenen Haut wohler.? Eine andere Designerin für Öko-Luxus-Kleidung ?möchte einfach ein guter Mensch sein?. Früher haben die höheren Töchter zu diesem Zweck Pestkranke gepflegt und sich auf steinernen Kirchenfußböden die Knie wund gebetet. Na, lass das Kind die Bulette!
Mal sehen, wie lange der Ökokult bei der Brigitte anhalten wird. Frauen sind bekanntlich launisch. Noch vor Jahren ließ das Blatt sich in zahlreichen Leserbriefen dafür belobhudeln, dass es keinerlei Werbung für Pelze machte. Inzwischen behängt die Brigitte ihre Models reichlich mit Pelzwerk und preist gar Weihnachtsgeschenke aus Alligatorhaut an.

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