Antje Sievers / 04.11.2014 / 07:00 / 3 / Seite ausdrucken

Schlachtplatte und Hippiebräute beim Gemüseschälen

Neuere Illustrierte im Selbsttest. Kriterium der Auswahl: Die maximale Beklopptheit des Titels.

Nummer 1: Business Punk (Gruner & Jahr)

Work hard. Play hard. Heißt das Motto des Wirtschaftsmagazins. Zugegeben, mit Punk kenne ich mich besser aus als mit Business. Die einzige Punkband, die es je gegeben hat, die Ramones, trieb immer gerade soviel Business, das es für den nächsten Schuss reichte. Gibt es zwischen Punk und Business sonst noch irgendwelche Connections? Entsprechend dem Zeitgeist will man ja heute immer alles sein und haben: Ökoheiliger mit Passivhaus im Grünen, von dem aus man die vierzig Kilometer ins Büro täglich locker mit dem Mercedes Plug-In-Hybrid bewältigt, zwölf Stunden lang den durchgeknallten Workaholic macht, Unsummen verdient, ehrgeizig ist bis zum Burnout und am Wochenende den Naturburschen im karierten Onesie von Caruso für schlappe 1395.- € und Boots von Jimmy Choo für müde 825.- € macht. Das Layout in wirr und grellbunt macht vor 1980 Geborene wie mich ganz wuschig, ebenso wie die kindischen Features: Ist mein Chef ein Psychopath?/ Tipps vom Pausenhof für den Büroalltag/ Briefing: Flecken im Büro - Leser schicken die schönsten Fotos von irgendeinem Saukram, den sie veranstaltet haben. Eine dicke Spinne im Kaffeebecher: ROFL! LOL! Mal ehrlich: Business und Punk, das ist Bullshit. Wenn Sie regelmäßig mit dieser Zeitschrift unterm Arm in Ihre Tretmühlenfiliale rauschen, sind Sie wahrscheinlich schon die Lachnummer vom Dienst. Sie haben es nur noch nicht mitgekriegt.

Nummer 2: HeimatKüche (M.I.G.)

Das Kochmagazin HeimatKüche steckt zwischen nach unten geschätzt hundert anderen Publikationen, die alle irgendwie Heimat, Land oder Country im Titel führen. Die Sehnsucht der Deutschen nach dem Land muss pathologische Ausmaße ereicht haben. Wenn man, so wie ich, erhebliche Teile seiner Freizeit mit spazieren gehen, wandern, schwimmen, Bergwandern und Radfahren verbringt, weiß man, wo sich die Deutschen herumtreiben: Definitiv nicht auf dem Land. Was steckt also hinter dieser rührend kitschigen Landsehnsucht? Sicher der diffuse Traum von Ursprünglichkeit, Echtheit, Reinheit, einem Leben im Einklang mit der Natur, einer sauberen Umwelt und Wurzelzwergmäßiger, pumperlg’sunder Ernährung. Sind wir nicht alle ein bisschen Bullerbü?

HeimatKüche ist für alle da, denn das Motto lautet: Lieblingsrezepte aus aller Welt. Jeder ist ja irgendwo beheimatet, und wir alle sind irgendwo Ausländer. Die Rezepte sollen niemanden ausgrenzen, damit das völlig klar ist: Auch eine paschtunische Asylantenfamilie will ja vielleicht mal badische Schlachtplatte mit hausgemachtem Sauerkraut, Bauchspeck, Blut- und Leberwürsten und einem ordentlichen Schuss Sekt zubereiten. Denn „Schwein sollte man haben, denn damit wird nun wirklich jeder glücklich“ Ach, wenn Mulikulti überall so einfach wäre wie in der Küche! Die Rezepte sind sehr gut präsentiert, das Food-Styling schön und appetitanregend und diese Kartoffelwaffeln mit Sauerampferdip werde ich sicher mal ausprobieren. Da sind auch zungenbrecherisch-abenteuerliche Sprachschöpfungen wie der „Geschmacksschatz“ leicht wegzustecken. Vielerlei schöne Plätzchenrezepte im Weihnachtsspecial, das ansonsten unangenehm durch eine Macke auffällt, die sich seit Jahren quer durch alle Frauenzeitschriften zieht: Weiß ist angeblich die ultimative Weihnachtsfarbe. Wenn man draußen schon vor Kälte bibbert, dann muss es drinnen wirklich nicht aussehen wie im Eispalast der Schneekönigin.

Nummer 3: Separée (Una GlitzaStein GmbH)

Das Aufregendste zum Schluss: Ein Erotikmagazin für Frauen, denn, so heißt das Motto; Erotik ist weiblich. Da ist man als Leserin nun wirklich, wirklich, wirklich gespannt. Und bekommt die erste kalte Dusche schon auf Seite 3 verpasst: Die beiden Chefredakteurinnen auf einer Gartenbank beim Gemüseschälen - zwei Hippiebräute auf dem Bio-Wochenmarkt. Meine Fantasie ist vermutlich nicht schweinisch genug, denn das ganze ist selbstverständlich schon eine Vorschau auf das Thema Do-it-yourself. Die gute alte Handarbeit. Also Masturbation. Ein Thema, das auch ständig in praktisch allen anderen Publikationen für weibliche Leserschaft beharkt wird. Dafür braucht man heute keine Fachzeitschrift mehr. Eine Reportage über die Freuden des Pole-Dancing. Tipps und Tricks für die Produktion eigener Pornofilme mit dem dringenden Hinweis, diese möglichst nicht mit einer Webcam zu broadcasten. Es muss ja Frauen geben, die so etwas tun, sonders gäbe es diese Warnung gar nicht. Eine hübsche, etwas langweilige Fotostrecke mit Burlesque-Tänzerinnen. Es gibt nur einen Burlesque-Star, meine ich, und das ist Dita von Teese. Sie hat diese Form der erotischen Unterhaltung zu einer exquisiten, ästhetischen und unverwechselbaren Kunstform gemacht. Jede Nachahmung derselben kann eigentlich nur im Desaster enden, so wie Marilyn-Monroe-Imitationen. Sorry. Ist vielleicht auch noch mal ein knackiger Kerl zu sehen? Jein. Die Jungs, die dort mein Blut in Wallung bringen sollen, sehen für meinen Geschmack alle irre schwul aus. Bis auf den einen schlammbedeckten Urtypen, von dem leider, oder zum Glück, kein Kopf zu sehen ist. Dafür hält er einen seltsamen Gegenstand in seinen Händen, der vom Penis bis zum Riesenjoint alles Mögliche sein kann. Soll vermutlich die weibliche Fantasie anregen, tut es aber nicht. Ebenso wie die erotischen Storys. Irgendwie kommen wir hier nicht ins Geschäft. Naja, Erotik ist ja auch eine sehr individuelle Geschichte.

Was gibt es sonst noch? Werbung für Online-dating, Sextoys, und natürlich Dessous. Alte Mädchenweisheit: In Strapsen läuft todsicher was. Aber wer weiß das heute noch nicht, wo in jeder Modekette für Teenies Reizwäsche hängt, mit der man zehn Laufhäuser aufrüschen könnte? Die Idee für das Magazin ist irgendwie toll, die Umsetzung bieder. Man denkt beim Blättern nicht an Sex. Eher an Kartoffelsalat. Hm.

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Thorsten Hammbuch / 04.11.2014

Wer auch immer das gesagt hat, hatte Recht: Jedem Tierchen sein Pesierchen! Das gilt auch für den Zeitschriftenmarkt, bei dem selbstverständlich noch die alte Weisheit vom Angebot gilt, das sich seine Nachfrage schon schaffen wird. Zeitschriften und ihre Zielgruppen ergeben sehr viel mehr Sinn, wenn man die Perspektive aufgibt, wonach eine Zeitschrift das behandelt, bzw. diejenigen anspricht, um die es in der Thematik geht, sondern dass immer nur solche Personen angesprochen werden, die gerne so wären. Wer etwa eines der bekannten Männermagazine liest wird Tipps finden, die ein “Macker” nicht braucht, da er die Tricks alle kennt und zur Genüge anwendet. Ich nehme an, entsprechende Frauenmagazine sind ähnlich gelagert, wie auch alle anderen Zeitschriften. Der Leser des Business Punk etwa ist ein Langweiler aus der Kostenrechnung, der um seine Langeweile weiß und der heimlich davon träumt mitten in einer Sitzung sein Hemd aufzureißen und den Laden in ein cooles, innovatives Start-Up zu verwandeln… sich sowas aber niemals trauen würde. Die Heimatküchenchef(in?) widerum liebt Fertiggerichte für die Mikrowelle, beachtet Serviervorschläge auf der Packung und kam noch nie über den eigenen Kulturraum raus. Siehat es auch lieber sauber und sicher in der Nachbarschaft. Da ist es doch eine hervorragende Ersatzbefriedigung, sich die Welt komprimiert und strukturiert in Rezpetform ins Haus zu holen - wenn auch nicht auf den Tisch. Denn dazu muss man auch kochen können. Und letztlich zeigt auch die Masturbieranleitung im Separée keinen hübsch-frivolen Bio-Öko-Schnecken, wie sie sich die Gurke schnitzen sollen, da sie das zum einen schon können und zum anderen aufgrund des Originals Mann in greifbarer Nähe (..oder andere Frau) gar nicht brauchen. Wer so eine Zeitschrift liest, der hat die 40 bereits hinter sich, trägt einen Batikschal (=universelles Zeichen für ein Leben in Orgasmuslosigkeit) und ist ausreichend frigide, dass trotz besten Alters noch nicht genug Mut aufgebracht wurde, um mit den Fingern nachzutasten was denn da zwischen den Beinen ist..

Ellen Danielh / 04.11.2014

Herrlicher Artikel! Könnte es sein, dass die jüngeren Magazin-Ideen unserer geschätzten Verlagshäuser (dreimal mit der Stirn den Huldigungsteppich berührt) deshalb nicht funktionieren, weil sie an der Realität der Leute vorbeigehen? Auch wenn’s die Marketing-Trompeter und Anzeigen-Posaunisten noch so gern hätten: Businesspunks gibt es genauso selten wie anarchistische Royalisten oder die Mischung aus Großstadtmensch und Besitzer eines florierenden Öko-Agrarbetriebs (Prinz Charles, Gerard Depardieu und Günther Jauch ausgenommen). Statt Hybridwesen zu konstruieren, die total kritisch und avantgardistisch sind, dann aber kaufen, kaufen, kaufen, wäre ein Blick auf das echte Leben mit echten Menschen echt spannend.

Martin Lahnstein / 04.11.2014

Betrete ich den Zeitschriftenladen im Bahnhof, ist es, als ob das Internet sich rings um mich herum irgendwie materialisiert hätte. Kein buntes Cover ist wie das andere, und doch sind alle gleich, sei es Buch, sei es Zeitschrift. Wundersamerweise kennt der Typ an der Kasse den Titel “Merkur” und weist in eine bescheidene Ecke des Ladens.

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