Die nächste Regierungskrise erschüttert Frankreich. François Hollande gerät in eine Situation wie Gerhard Schröder 2003. Das Land braucht liberale Reformen, seine Sozialisten blockieren. Doch der Präsident zeigt plötzlich Mut.
Die linken Widersacher sind gefeuert. Ein Investmentbanker wird Wirtschaftsminister. Und eine Reformagenda steht an. Francois Hollande macht Ernst. Während die Presse noch die Paniktonlage einer Regierungskrise anstimmt, fängt Frankreichs Präsident endlich an, ernsthaft zu regieren. Es ergeht ihm genau wie Gerhard Schröder im Jahr 2003: Das Land droht in Sozialstaatsverkrustung zu ersticken, die Wirtschaft lahmt, der Wohlstand ist in Gefahr, die Staatsverschuldung steigt und linke Parteien wie Gewerkschaften verhindern jede Modernisierung. Die Diagnose führte Kanzler Schröder weiland zur Erkenntis, dass nur eine wirtschaftsfreundliche Agendareform Deutschland wieder mobilisieren könne.
Schröders Agenda 2010 drohte damals seine SPD zu spalten, Gewerkschaften probten den Aufstand, Deutschland quälte sich mit Hartz-Reformen, er riskierte und verlor sein Kanzleramt – und doch erwies er Deutschland einen entscheidenden Dienst, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Für Hollande ist das Vorbild daher zwiespältig. Einerseits haben er und die moderaten Sozialisten erkannt, dass auch Frankreich endlich liberale Reformen wagen muss. Andererseits riskieren auch sie damit ihre politische Existenz.
Doch Hollande, dessen Präsidentschaft bislang ein einziges Trudeln aus Peinlichkeit und Indifferenz gewesen ist, hat sich offenbar entschieden. Der Rauswurf seiner linken Kritiker aus der Regierung ist dramatisch eindeutig. Geradezu provokant wirkt die Berufung Emmanuel Macrons zum Wirtschaftsminister. Macron war als Wirtschaftsberater Hollandes federführend für jenes Reformpaket verantwortlich, das unter dem Titel “Pakt der Verantwortung” mit Steuererleichterungen in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Unternehmen die siechende französische Wirtschaft wieder auf Trab bringen soll. Er ist eine Mischung aus Börsenyuppie, Eliteuni-Schnösel und Otto Graf Lambsdorff. Die Beförderung des Ex-Rothschild-Bankers wirkt auf die Parteilinke der Sozialisten und auf die Gewerkschaften wie eine Brandfackel aus dem Elysée.
Holland hat damit Mut bewiesen. Denn von nun an muss er gegen die Mehrheits-Überzeugung seiner eigenen Wähler und Parteigenossen regieren. Die wollen keine Agenda-Politik, keine Sparhaushalte, keine Privatisierungen, keine Öffnung des Arbeitsmarktes. Die gefeuerten Minister Benoît Hamon und Arnaud Montebourg hatten gegen die angeblich von Deutschland erzwungene “Austeritäts-Politik” Stimmung gemacht und Widerstand zu Gewissenssache aller Linken erklärt. Auch die Kulturministerin Aurélie Filippetti hatte ihren Rücktritt damit begründet, dass man sich zunehmend von der eigenen Wählerschaft entferne.
Nun hat Hollande nicht nur drei linke Säulenheilige der Partei als offene Gegner, die ganze sozialistische Partei wirkt so geschockt als habe sie sich selbst ins Knie geschossen. Der linke Flügel wankt wütend umher, nur noch zwei schwache Vertreter sind im Kabinett mit Randposten vertreten: Patrick Kanner, ein Zögling der Ex-Parteivorsitzenden Martine Aubry, darf sich um Jugend, Stadtpolitik und Sport kümmern, der zweite Vertreter des linken PS-Flügels, Alain Vidalies, wird Staatssekretär für Transport und Fischerei.
Bei aller machtpolitischen Begabung des Premierministers Manuel Valls wird es für Hollande nun ein Tanz auf der linken Rasierklinge. Seine Parlamentsmehrheit wackelt, linke Intellektuelle und Medien gehen auf Distanz, seine Umfragewerte liegen in gefühlten Größenordnungen von Mundgeruch oder Fußpilz. Marine Le Pen dominiert mit ihrem rechtsextremen und anti-europäischen “Front National” die Stimmungsrepublik, und es droht eine tiefe, innere Verwerfung in Frankreich. Obendrein trübt sich das Wirtschaftsklima immer weiter ein. Während das übrige Europa – selbst Spanien - langsam aus der Krise herauskommt, stolpert Frankreich immer tiefer hinein.
Es wird für Hollande darauf ankommen, dem machtpolitischen Schachzug nun den sachpolitischen folgen zu lassen und alles auf die Karte Reformen zu setzen. Frankreichs Lohnstückkosten und Sozialabgaben zählen zu den höchsten der Welt, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt wie ein Herbstblatt im Wind. Der Arbeitsmarkt ist betoniert und überreglementiert, der Mindestlohn zählt zu den höchsten der Welt.
Die mächtige Gewerkschaften und weite Teile des linken Spektrums sind mental in den siebziger Jahren hängen geblieben. Sie wähnen sich als Sozialingenieure, Wohltäter und Planwirtschaftsbürokraten eines All-inclusive-Staates. Ihr Gestus ist der des Gönner-Beamten. Dabei hat sich der uralte Zentralismus Frankreichs mit dem bürokratischen Sozialismus des 20. Jahrhunderts so verwoben, dass sich das Land vor lauter Etatismus kaum noch bewegt.
Genau das aber werden Hollande und Valls nun aufbrechen müssen. Und gegen diesen langen Marsch wider den Etatismus ist der machtpolitische Streich, linke Widersacher kalt zu stellen, ein kurzer Spaziergang gewesen. Hollande wird den Franzosen sagen müssen, dass sie seit Jahrzehnten schlichtweg über ihre Verhältnisse gelebt und einen schuldenfinanzierten Wohlfahrtsstaat geschaffen haben, der nicht mehr finanzierbar ist. Mit einer Bonsai-Agenda wird er das nicht korrigieren können. Nach dem kleinen Putsch wird die große Reform folgen müssen. Damit er seine taumelnde Präsidentschaft rettet und Frankreich endlich ein Comeback beschert.