Emma Finkelstein / 14.08.2012 / 11:02 / 0 / Seite ausdrucken

Hier möchte ich nicht Teppich sein

Unsere Südosteuropa-Beauftragte ist zur Zeit in Rumänien unterwegs. Wir bringen ihre Berichte in loser Folge. Das hier dient der Einstimmung.

Am nächsten Tag lasse ich mich nach Kronstadt, Rumänisch Brasov, mitnehmen. Der Ort mit seinen 280.000 Einwohnern hieß in den 50er Jahren Stalinstadt. Auf dem Hang des direkt hinter dem Zentrum aufragenden Karpaten-Berges ließ man zu Ehren des Sowjets Bäume pflanzen, die bis weit hinaus sichtbar „Stalin“ in den Wald schrieben.

Auch nach dem Tod und Fall des Diktators änderte sich daran einige Jahre lang nichts, bis Ceaucescu eines Tages einen Trupp Arbeiter in die Hänge schickte, und die Unliebsamen fällen ließ. Bereits vorher wurde ein Denkmal verschoben. So hatte die Gemeinde eine riesige Stalinstatue direkt vor dem Gerichtsgebäude aufstellen lassen. Die Rumänen machten sich daraufhin lustig, Brasov sei die einzige Stadt, die sich trauen würde, Stalin vor Gericht zu stellen. Folglich wurde das Denkmal in einer Nacht- und Nebelaktion hundert Meter weiter gerückt, so dass der Sowjet fortan mit ausgestreckter Hand aus sicherer Entfernung auf die Justiz zeigen konnte.

Nach dem Tode des Despoten wurde die Statue mit Traktoren gefällt, beobachtet von diversen Roma, die mit ihren Karren bereit standen, um mit der erwarteten Bronze Profit aus der vergangenen Zeit zu machen. Indes – offenbar hatten bereits die damaligen Auftraggeber des Monstrums nicht mit ewiger Haltbarkeit des mächtigen Ostbruders gerechnet. Man hatte ein Übergangslösung entworfen: Eine Statue aus Gips.

Kunst von längerer Haltbarkeit schaffte Brassaï (bürgerlich Gyula Halász). 1899 in Brasov geboren, zog er nach Studien in Deutschland und Ungarn nach Paris, wo er als Fotograf zu Weltruhm gelangte. Etwas weniger bekannt ist, dass Brassaï auch malte, zeichnete und schrieb. Berühmt wurde sein Buch “Conversations avec Picasso”, das er 1964 veröffentlichte. Sogar zwei Filme stammen von dem vielseitigen Künstler, in Cannes wurde er dafür 1956 ausgezeichnet.

Jedes deutsche Kind kennt den Sohn einer siebenbürgisch-sächsischen Mutter und eines ungarndeutschen Vaters: 1949 kam Peter Maffay in Brasov zur Welt. 1963 wanderte die Familie nach Deutschland aus, wo Maffay als Musiker Karriere machte.

Heute wird auch auch auf dem Marktplatz der Stadt musiziert. Auf einer Bühne hat ein Orchester Platz genommen, ein Chor und mehrere Solisten stehen an seiner Seite. Zu den Klängen von „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“ aus My Fair Lady schlendere ich am Springbrunnen vorbei über den von schön renovierten, bunten Bürgerhäusern umrahmten Platz. An dessen Nordseite steht das Wahrzeichen der Stadt, die im 15. Jahrhundert fertig gestellte „Schwarze Kirche“.

Schwarz sind ihre Mauern seit 1689 ein Brand zumindest die Inneneinrichtung der größten gothischen Kirche zwischen Wien und Istanbul zerstörte. Ein Besuch wurde mir dringend empfohlen, hängen in der Kirche doch über 100 alte orientalische Teppiche, die in vergangenen Jahrhunderten von Reisenden aus der Türkei als Gastgeschenke mitgebracht wurden. Die Kirche verlangt jenseits der Gottesdienstzeiten Eintritt. Vermutlich würde Jesus sich im Grabe umdrehen, läge er noch drinnen. Dass einmal der Tempel nur gegen Eintritt betreten werden darf, wäre Christus wohl nicht in den Sinn gekommen, der sich vehement gegen jeden Handel in seinen Mauern aussprach. Erfolglos, wie auch hier wieder am breit dargestellten Postkarten- und Andenkenangebot klar wird.

Nun denn, mit meiner Eintrittskarte in der Hand drücke ich die schwere Zwischentür auf und stehe prompt im Gestank. Feucht und modrig drückt sich die Luft in die Atemwege. Hier möchte ich nicht Teppich sein. Neben mir trennen indes erst einmal Brusthohe Gemälde die Kirchenbänke vom Gang. „Keuschheit“ lese ich, daneben „Mäßigung“, „Klugheit“, „Hoffnung“, „Fleiß“, „Geduld“, „Großmütigkeit“, „Liebe“, „Gütigkeit“ und zuletzt „Gottesfurcht“.

Die zehn Tugenden sind jeweils von entsprechend keuschen und sich mäßigenden Damen dargestellt, eine ebenfalls auf Deutsch gehaltene Erklärung weist darauf hin, wie diese Tugenden den Weg ins Himmelreich ebnen. Ich lasse die großen Zehn hinter mir und trete in den Mittelgang. Rechts und links hängen die Teppiche von der Empore, jeweils mit Schildern versehen, auf Anfassen und Fotografieren solle verzichtet werden. Eine Erklärung zu den einzelnen Exponaten gibt es indes nicht. Ich bewundere einen Augenblick die 4000 Pfeifen starken Buchholzorgel und gehe dann lieber wieder mit dem leicht drückenden Gefühl eines Kulturbanausen hinaus ins Freie, an die Luft.

Keine 500 Meter entfernt steht Brasovs Synagoge. Juden gibt es hier seit über 200 Jahren. Zu den bekanntesten Juden rumänischer Herkunft gehören der Rechtsanwalt Serge Klarsfeld, der Schriftsteller Elie Wiesel und der Musiker Art Garfunkel. Besonders hoch im Kurs standen Juden in Rumänien allerdings zunächst nicht, erst 1923 bekamen sie im Zuge des Versailler Vertrages das Staatsbürgerrecht.

In der Synagoge treffe ich auf Meir Phina. Der Israeli lebt seit fünf Jahren in der Stadt. Zu Hause hatte er eine Kronbergerin kennen gelernt und geheiratet – und kurz darauf hier einen Job als Elektriker angeboten bekommen. Als gläubiger Jude kam er auch in die Gemeinde, und wurde bald wieder für ein Jahr nach Israel zurück geschickt, um einen Kurs zum Mashgiach zu machen. Seither achtet er darauf, dass die Speisen im Restaurant neben der Synagoge wirklich koscher sind und zeigt nebenbei Besuchern den Tempel.

Bewacht ist der nach deutschen Maßstäben gar nicht. Keine Poller, keine Polizei – aber inzwischen ein paar Kameras: „Uns sind hier schon vier Thoras gestohlen worden, da mussten wir uns ein paar Sicherungen ausdenken.“ Die von Hand geschriebenen Rollen lassen sich im Ausland für 100.000 Euro und mehr verkaufen. Probleme mit Anschlägen erwartet Meir indes nicht. „Wir leben hier sehr gut zusammen, das war auch immer schon so. Brasov war die einzige Gemeinde in Rumänien, in der alle Juden den Zweiten Weltkrieg überlebt haben.“

Die Kronstädter hätten nicht nur die einheimischen Juden versteckt, sondern auch die Thorarollen. Wer es in diesen Jahren in die Gegend geschafft hätte, sei so gut wie sicher gewesen. „Vor dem Krieg lebten hier knapp 2000 Juden, danach 6000.“

Auch die 1898 erbaute Synagoge kam heil über die Zeit, wurde allerdings zwischendurch als Abstellschuppen benutzt. Die Brasover Rettung kannte ich nicht – dafür hat Meir noch nie etwas vom rumänischen Oskar Schindler gehört.

Siegfried Jägerndorf war selbst Jude und wurde nach dem heute in der Ukraine liegenden Transnistrien deportiert. So hatten die mit Deutschland verbündeten Rumänen die Abschiebung der Juden in die Gegend um das ausgebombte Moghilev beschlossen. Dort entstanden diverse Lager, deren Infrastruktur lediglich aus Zäunen und Wachtürmen bestand. Keine Behausung, kein Essen.

Dem ehemaligen Siemens Fabrikdirektor Jägerndorf gelang es jedoch, die Rumänen zu überzeugen, es wäre besser, die Juden, statt sie verhungern zu lassen, als Arbeiter einzusetzen, um das Elektrizitätswerk wieder aufzubauen. Nachdem dies zur Überraschung des Kommandanten schnell geschah, entstand unter dem ehemaligen K & K Ingenieur mit rumänischem Pass eine ganze Industrie, deren Aufbau 10.000 Menschen den Verbleib in dem Städtchen, geringe Lebensmittelzuteilungen und somit das Überleben sicherte.

Viele Juden wanderten später nach Israel aus, im Gegenzug lieferte Jerusalem vorzugsweise Agrartechnik. Nach der Revolution verließen auch die Vorletzten das Land. In Brasov besteht die jüdische Gemeinde nur noch aus 208 Gemeindemitgliedern, von denen die Mehrheit der Harfe näher als der Gitarre ist. „Unser Chassan ist 83 Jahre alt, der Gemeindepräsident 78. Da wir eine orthodoxe Gemeinde sind, müssten die Frauen auch eigentlich oben auf der Empore sitzen. Die meisten kommen da aber nicht mehr hoch, so dass jetzt die Frauen rechts vom Gang sitzen, die Männer links.“

Was orthodox zu sein bedeutet, ist hier insgesamt Auslegungssache. „Viele kommen am Schabbat auch mit dem Auto, aber das interessiert nicht, was sie draußen machen, hier drin beten wir.“ Und nutzen dazu auch schon mal Musik von der CD, „weil keiner das Klavier bedienen kann“. Die zehn Männer für den Minjan bekämen sie aber noch jeden Samstag zusammen, wobei „wir um neun Uhr mit dem Gottesdienst beginnen und dann manchmal um 9.30 Uhr unterbrechen müssen, weil noch nicht genug Gemeindemitglieder da sind. Manche kommen eben erst zu um 10 Uhr, wenn die Thora herausgehoben wird.“ In ein paar Jahren dürfte sich der Großteil des Minjan allerdings auf dem Friedhof befinden.

Zur der Handvoll U25 gehört Dan Heimlich, der mit einer ins Haar geschobener Ray Ban kurz hereinkommt, um Meir Hallo zu sagen. Dan kommt gerade von einer Downhill Tour. Als ich ihn frage, ob er sich für ein Foto vor der großen Israelischen Fahne im Eingangsbereich des Tempels postieren könnte, holt er gleich sein Rad mit hinein.

Um kurz nach 20 Uhr steige ich in den Zug zurück nach Katzendorf. Ich klettere die hohen Metallstufen hinauf und gehe in den oberen Stock des Zuges. Uralte braune, abgewetzte Sitze, parallel über den Bänken angebrachte Gepäckablagen und Fenster, die mit einer Kurbel auf- und zuzudrehen sind, beziehungsweise irgendwann einmal zu drehen waren. Die Waggontüren werden während der Fahrt geöffnet bleiben, und so wie das Tageslicht draußen abnimmt, wird es auch drinnen dunkler – es gibt keine Beleuchtung.

Allerdings auch keine absichtsvolle Zerstörung. Keine Graffiti, kein Scratching. Schräg gegenüber setzt sich ein Romakind mit seiner Mutter. Ich gebe ihm ein paar Bonbons. Marie lacht, steckt sich eines nach dem anderen in den Mund und beginnt, mir gegenüber herumzuturnen und zu winken. Ich frage, ob ich sie fotografieren darf, sie freut sich und wirft sich in Pose. Als ich einen Moment lang den Apparat aus dem Fenster halte, um die Wolkenbilder hinter den vorbei fliegenden Hügeln zu fotografieren, streckt auch sie lachend den Kopf aus dem Fenster. Nach einer guten halben Stunde steigt sie mit der Mutter aus und winkt mir hinterer.

Um kurz nach 22 Uhr komme ich am Katzendorfer Bahnhof an. Niemand sonst springt aus dem Zug. Und springen ist nötig, da der Bahnhof nicht über einen Bahnsteig verfügt. Immerhin steht ein Wärter mit Kelle und Pfeife vor dem kleinen Häuschen, der mir zeigt, wo der Weg ins Dorf beginnt. Über einen Trampelpfad gelange ich zur Straße. Zwei der vier an mir vorbeifahrenden Autos halten an, die Fahrer fragen, ob sie mich mitnehmen sollen. Als ich sage, ich wolle nur in das ein Kilometer entfernte Dorf, fahren sie weiter. In Rumänien ist zu Fuß gehen noch normal.

Kurz hinter dem Dorfeingang gabelt sich der Weg. Es gibt keine Straßenbeleuchtung. Ich frage drei Jugendliche, die mir entgegenkommen, wo Frieder wohnt. Sie bieten mir an, mich zu begleiten. Kurz darauf kommt uns ein Auto entgegen. Ich will ausweichen, aber dort, wo ich einen Gehweg vermutete, ist hier der Abwassergraben. Mit leicht angeschlagenem Knie und matschigen Füßen kehre ich zur Gruppe zurück, die mir sagt, ich solle mit ihnen direkt auf der Straße gehen, das sei sicher.

Die nächsten beiden Autos halten an, die Fahren wollen von den Jungs wissen, wie sie an jemanden wie mich kommen. Groß und hellblond – morgen früh wird jeder von meinem Besuch wissen. Die Jungs liefern mich vor dem Gartentor ab, dahinter bellen die Hunde.

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