Es ist drei Uhr nachts, ich sitze zitternd mit zwei Pullovern und einer Tasse Tee am Küchentisch von Orlys Wohnung und warte bis die doppelte Ration ASS 500 zu wirken beginnt. Israelis haben offenbar ein extra Klimaanlagengen, das es ihnen erlaubt, ihre Umwelt bei jeder Autofahrt und in vielen Geschäften binnen Sekunden von gut 30 auf 16 Grad hinunterzukühlen – ohne davon krank zu werden. Als Ausländer sollte man deshalb stets einen Andenponcho oder vergleichbares mit sich führen, will man nicht Teile seiner Tour in pharmazeutischer Halbtrance verbringen.
Am Mittag klaube ich mich aus dem Bett und meine Sachen zusammen – am Ben Gurion Flughafen landen heute die anderen Journalisten und die Pressereise kann losgehen. Da kein genauer Treffpunkt verabredet wurde, frage ich einen anderen Wartenden, ob er für mich den Tourguide anrufen kann. In Israel braucht man eigentlich kein eigenes Telefon – da alle eine Flatrate haben, muss man nur jemanden finden, der gerade nicht selbst spricht und darf das Telefon benutzen. Eine halbe Stunde später treffe ich meine beiden Kollegen, eine Dame vom israelischen Tourismusministerium und unseren Guide. Alle haben das Sicherheits-Interview am deutschen Flughafen in zwei Minuten hinter sich gebracht – dank eine tatsächlich existenten offizielle Einladung, die man mir nur aus Versehen nicht zugeschickt hatte. Auf dem entsprechenden Papier steht zu lesen, dass man dem Vorzeigenden in aller nur erdenklichen Art zu Diensten und zur Hilfe sein solle, die israelische Regierung habe höchstes Interesse an seinem Wohlergehen. Klasse! Und kein Wunder, dass ich als nicht koscher galt.
Im Kleinbus machen wir uns auf den Weg nach Caesarea, das unter Herodes (73v. Chr. – 4 v. Chr.) angeblich innerhalb von nur zwölf Jahren erbaut wurde – was im Angesicht des Zeitrahmens aktueller deutsche Großprojekte doch beeindruckt. Hier fand man bei Ausgrabungen unter anderem ein Theater, ein Hippodrom, Palastanlagen und einen künstlichen Hafen. Jetzt liegen die freigelegten Ruinen verlassen im Scheinwerferlicht da. Durch den Bereich, der früher vermutlich eine Geschäftsstraße war, laufen wir zum Restaurant Helena und essen empfehlenswert gut samt Blick aufs Meer. Anschließend geht es zum Kibbuz Nahsholim, das direkt am Strand liegt und über einen großen Hotelbetrieb verfügt. Während in den ersten Jahrzehnten nach der israelischen Staatsgründung, Kibbuzim von der Regierung finanziell unterstützt wurden, änderte sich das mit der Regierungsübernahme des eher rechts einzuordnenden Likud Ende der 70er Jahre. In der Folge mussten viele der Kollektivsiedlungen schließen – die anderen entwickelten sich zu Profit orientierten Wirtschaftsbetrieben, die ihr Geld zum Beispiel im Tourismus verdienen. Nahsholim etwa verfügt über Dutzende, Palmen gesäumte Bungalows und einen weiten Sandstrand, an den heute unter dem Licht des Vollmonds malerisch die Wellen rollen. Dank heftiger Erkältungstrance betrachte ich das Spektakel nur kurz aus dem Fenster und starte dann den frühzeitigen Matratzencheck.
Am Morgen darauf heult der Wind um den Bungalow. Es gießt in Strömen. Wir fühlen uns wie zu Hause und starten mit wirbelnden Scheibenwischern gen Rosh Hanikra, dem nördlichsten Punkt Israels und einer gemeinhin pittoresken Touristenattraktion. Hier, direkt an der Grenze zum Libanon kann man mit einer Seilbahn in einige von der Brandung ausgewaschene Höhlen fahren. Und zwischendurch die Aussicht entlang der Küste genießen. Wenn denn etwas zu sehen ist. Heute wabert nur ein wenig Nebel an den Felsen vorbei und auch drinnen ist außer uns wenig Betrieb. Im Zweiten Weltkrieg fuhr hier noch ein Zug auf der Strecke von Haifa nach Beirut. Die entsprechende Eisenbahnbrücke wurde jedoch 1948 von den Israelis gesprengt, um die Libanesen von einem Einmarsch durch den Tunnel abzuhalten. Sichtbar ist noch ein Teil des Tunnels. Hier kann man an sonnigeren Tagen Fahrräder für eine kleine Rundtour mieten. Als Radfetischistin nehme ich mir eines der frei herumstehenden Bikes für eine Ministrecke durch den israelischen Teil des Tunnels – die andere Hälfte liegt im Libanon und ist durch eine Mauer abgetrennt.
Da es trotz Eingabe bei der mitreisenden Dame vom israelischen Tourismusministerium weiter regnet, fahren wir anschließend nicht wie geplant in den Nationalpark Hula, sondern nach Akko in die tunesische Synagoge. Hier begrüßt uns der Gabbei, Zion Badasch. Er ist 1927 geboren und erlebte den Einmarsch der Deutschen in seiner Heimat. „Die Araber freuten sich sehr und erzählten den Deutschen sofort, wo Juden lebten. Die wurden dann alle zusammengetrieben und unter erbärmlichsten Bedingungen in Arbeitslager gesteckt. Viele starben.“ Er selbst konnte sich verstecken und überlebte irgendwie von Rinden und was man sonst so fand am Rande einer Wüstenstadt. „Als Israel gegründet wurde, wollte ich da unbedingt hin“ – Heimat hatte er zu Hause ja schon eine Weile nicht mehr erlebt.
Zion war keine Ausnahme: So wie 1948 etwa 800.000 Araber das heutige Israel verließen beziehungsweise verlassen mussten, ging es andersherum auch ca. 800.000 Juden arabischer Herkunft. Mal mehr und mal weniger freiwillig verließen sie ihre Ursprungsländer und bauten sich in Israel eine neue Existenz auf. Oder gleich einen Lebenstraum. So begann Zion in Akko mit dem Bau der Or Torah Synagoge. Über drei Stockwerke zieht sie sich heute, beherbergt unten eine Jeschiwa (Schul), darüber die Synagoge und eine Empore für die Frauen. Das besondere an dem Bau sind seine durchgängigen Mosaiken: Vom Boden über die Wände bis zur Decke zeigen die Steinbildchen Bibelszenen ebenso wie moderne jüdische und israelische Geschichten. Heute ist die Synagoge im eigentlichen Sinne nicht mehr tunesisch. „Wir haben uns alle gemischt“, erzählt Zion, „hierher kommen jetzt Juden mit allen möglichen Wurzeln zum Beten, da wird nicht mehr nach arabischer oder europäischer Herkunft unterschieden“.
Und tagsüber kommen die Touristen und sind willkommen, besonders die Deutschen, erklärt Zion. „Alle hassen uns, ständig wird über Juden und Israel berichtet, man beobachtet alles, was wir machen. Ich glaube, das ist derselbe Mechanismus wie bei einem besonders begabten Kind, das vom Rest der Gruppe auch selten gemocht wird,“ vermutet er. „Nur die Amerikaner haben nichts gegen uns, und die Deutschen sind sogar Freunde.“ Besondere Beziehungen, zweiter Teil…