Emma Finkelstein / 03.11.2012 / 03:14 / 0 / Seite ausdrucken

Israel für Anfänger 3: Wasserball mit Schweigeminute

Acht Uhr morgens, Frühsport! Ich soll einen Helm aufsetzen, sagt Nir. Das widerspricht eigentlich meiner Religion, aber nun gut, ich bin bislang nur über Straßen und Plätze geradelt. Mit Nir soll es nun auf Mountainbiketour gehen – die erste meines Lebens. Nach wenigen Minuten steht fest, dass am „Mountainbiking“ vor allem die „Mountains“ und der Mangel an Straßen stören. Davon angesehen ist es wie Radfahren. Wir machen einen Rundkurs durch Israels erstes im vergangenen Jahr von der UNESCO anerkanntes Biosphärenreservat. 

Einmal von der israelischen Siedlergeneration aufgeforstet, soll zumindest hier versucht werden, nicht den ganzen Wald wieder zu zersiedeln oder für intensive Landwirtschaft zu nutzen.  So teilen wir unseren Weg nur mit einigen Wanderern, anderen Mountainbikern und ein paar frei laufenden Kühen. Der Teil unserer Strecke, der sich Straße nennt, wurde bereits von den Römern angelegt, und seither offenbar nur gelegentlich ausgebessert. Aber mein Rad ist brav und hält sich tapfer am Boden. Wir passieren das ehemalige Häusschen eines inzwischen verstorbenen Deutschen, der hier hinter einem großen „Schwerter zu Flugscharen“ Bild ein bisschen Landwirtschaft und Völkerverständigung betrieb.

Keine 500 Meter entfernt, erinnert ein Monument an zwei jüdische Siedler, die 1938 auf dem Weg von der Feldarbeit zurück in den Kibbuz von Arabern erschossen wurden.  Friedliche Koexistenz war also durchaus auch vor der israelischen Staatsgründung nicht auf der Tagesordnung. Ich frage Nir, ob er hier Frieden für möglich hält und erhalte erstmals von einem Israeli ein spontanes „Selbstverständlich!“ zur Antwort.  Allerdings meint er dann, Mitteleuropa habe doch auch 1000 Jahre gebraucht, um mal zu sechzig Jahren Frieden am Stück zu kommen – er ginge von einem ähnlichen Zeitrahmen für die hiesige Region aus. 

Wir strampeln diverse Hänge hinauf und springen wieder herunter, passieren unterwegs ein Ökoolivenfeld mit Eulenhäuschen und eine Armeezone, in der unter der Woche scharf geschossen wird, und kommen nach drei Stunden Tour gerade noch rechtzeitig wieder bei Nir an, um nach einer Sekundendusche ins Auto zu springen: Im Nachbardorf spielen heute Väter gegen Söhne Wasserball.  Der Pool wird mit ohrenbetäubender Musikattrappe bespielt und jede Bewegung der 12- 16Jährigen von gellenden Mütterschreien begleitet. Ich suche mir einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite und genieße die Aussicht. Wann kommt man schon mal in die Situation, bis auf die Badehose nackte, gut trainierte, schwer atmende Herren vorgeführt zu bekommen?

Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist das Spiel vorbei und alle rennen nach draußen an den Grill. Pita mit Fleischklöppsen, umziehen – und dann hinunter zur Bürgerhalle zum zeremoniellen Teil der Veranstaltung,  die jährlich im Gedenken an fünf Männer stattfindet. Sie alle waren aktive Wasserballer des Vereins und verloren als Soldaten ihr Leben; der Erste 1972, der vorerst Letzte 1983. An einer Pinnwand neben der Bühne hängen ihre Fotos, Geburts- und Sterbedatum. Der Vereinspräsident bittet darum, die Handys auszuschalten. Man erhebt sich zur Schweigeminute und anschließendem Singen der Nationalhymne Hatikwa. Zwei Jugendliche des Clubs tragen Briefe an ihre „Brüder“, die Verstorbenen vor, ein anderer spielt ein Gedenklied auf der Gitarre.  Später werden drei der Clubmitglieder einen Extrapokal überreicht bekommen, weil sie jetzt zur Armee gehen.

Ich muss kurz an die neue nordrhein-westfälische Regelung denken, Mitglieder der Bundeswehr nur noch zusammen mit einem Repräsentanten der Friedensbewegung vor Schulklassen sprechen zu lassen. In Israel, das seit seiner Gründung acht Kriege und unzählige terroristischer Anschläge erlebte, ist das Verhältnis zu Armee ein anderes. Allein in diesem Jahr gingen schon etwa 800 Raketen auf israelischem Gebiet nieder – für die meisten Einheimischen ist die Armee somit schlicht der Garant für das eigene Überleben.

Jetzt allerdings werden die Handys wieder angestellt. Während vorne Präsident, Vizepräsident und ein paar Trainer Reden über die abgelaufene und kommende Saison halten, wird um mich herum der Kontakt zur Außenwelt via google what’s up hergestellt und ein wenig durch die Zeitung geblättert. Zum Abschluss gibt es noch unter euphorischem Elternapplaus Dutzende Pokale für alle Spieler der Mannschaften, die in der vergangenen Spielzeit irgendetwas gewonnen haben.

Wieder zu Hause schwinge ich mich aufs Rad Richtung Kaffee trinken mit Uri. Der wurde 1940 in Berlin geboren und erfuhr erst 1945, dass er Jude ist. Bis dahin überlebte er als „Ulli “ und mit falschen Papieren. 1949 emigrierten Eltern und Sohn nach Israel, kamen allerdings 1956 zurück. „Meine Mutter war gegen Ende des Krieges schwer krank geworden, und die gesundheitliche Versorgung in Israel damals schlecht. Der Arzt sagte also zu ihr, sie müsse entweder zurück oder werde binnen eines Jahres sterben.“

Nach einem kurzen Zwischenstopp bei einem Onkel in England kam Uri zurück nach Berlin, studierte Politik an der Freien Universität und leitete nebenbei die Jugendarbeit der Jüdischen Gemeinde. „So kam ich zu einem Treffen der World Union of progressive Jews, wo wieder jemand eine Rede hielt, dass Juden nicht in Deutschland leben dürften.  Mir platze der Kragen, und ich sagte diesen Leuten, dass sie doch keine Ahnung haben, über wen sie da urteilen – und dass sie sich vielmehr darum bemühen müssten, diese Menschen zu unterstützen.“

Man hatte ein Einsehen, ließ als Zeichen die nächste Konferenz in Berlin stattfinden und beschloss zusammen mit dem damaligen Gemeindepräsidenten Heinz Galinski, es müsse ein junger, deutscher Rabbiner ausgebildet werden. „Ich wurde dann in Galinskis Büro gebeten, wo man mir eröffnete, man würde mich nach London zum Studium schicken.“ Bis dato hatte Uri Journalist werden wollen – ließ sich aber überzeugen, dass ein Rabbiner dringender gebraucht würde.  Nach dem Studium kehrte Uri dann nur für zwei Jahre nach Berlin zurück, dann kam es zum Streit mit den Gemeinde-Repräsentanten.

Den inzwischen 31 Jährigen verschlug es für drei Jahre nach Leeds und anschließend nach Perth. Dort hängte er die Kippa nach ein paar Jahren an den Nagel, arbeitete stattdessen für die Abteilung „Multikulturalismus“ der Regierung, gründete das „ethnic radio“ und lernte seine zweite Frau kennen. Mit ihr zog er vor fünf Jahren nach Israel.

Und hier zeigt sich das Leben nun von seiner schwarz-weißen Seite. „In Australia you could sit on the fence.“, sagt Uris Frau, hier hingegen müsse man sich entscheiden. Sie unterrichtet in einem arabischen Dorf Englisch und lud ihre Schüler mal nach Hause ein. „Das war das erste Mal, dass die in einem jüdischen Haus waren. Das ist hier alles getrennt. Wenn man zum Beispiel in Australien eine Wohnung suchte, nahm man einfach, was man schön fand. Hier muss man schauen, wer die Nachbarn sind, ob es eine arabische oder jüdische Gegend ist.“ Drüben habe man zudem ganz normale Kontakte zu Orthodoxen gehabt – hier gäbe es auch in der Religion viel mehr Abgrenzungen, Konflikte und Grüppchenbildung. Letzten Endes mache aber genau das Israel auch so spannend.

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