Am nächsten Morgen haben sich Sturm und Regen wieder verzogen, so dass wir beschließen, heute in Natur zu machen und zum Nationalreservat Hula zu fahren. Israel liegt bei Zugvögeln ganz weit vorne – bis zu 500 Millionen ziehen zweimal im Jahr über das Land am Syro-Afrikanischen Grabenbruch. Einer ihrer beliebtesten Stopps ist Hula. Hier befand sich vor der Staatsgründung Israels noch ein großer See inmitten eines Sumpfes von immerhin etwa 60 Quadratkilometer Größe. Um Ackerland zu schaffen, wurde beschlossen, den Sumpf trocken zu legen; einen Teil erhielt man auf Anraten von Naturschützern jedoch. Heute ist der Park nicht nur Raststätte für Zugvögel sondern auch Touristenattraktion. So kann der geneigte Vogelkundler entscheiden, ob er lieber zu Fuß, mit dem Rad, dem Gruppenrad oder in einem halboffenen Planwagen durch den Park will. Damit es in jedem Falle entspannt abläuft, zeigen sich die Israelis innovativ: Hunde dürfen natürlich nicht ins Reservat, können aber auch schlecht im sonnengeheizten Auto zurück bleiben. Also stehen am Eingang Käfige samt Wassernapf bereit, in denen man seinen Vierbeiner zwischen parken kann.
Im Park selbst Ruhe und Oasenstimmung. Über 200 Vogelarten wurden hier vergangenes Jahr gezählt, daneben gibt es diverse Pflanzenarten von der Wasserschwertlilie bis zum Papyrus. Aber auch Menschen, die Vögel lediglich in „klein“ und „größer“ unterscheiden können, bietet der Park schlicht ein Terrain für einen entspannten, stundenlangen Spaziergang.
Etwas anders sieht das in Yardenit aus, unserer Nachmittagsstation. Am Jordan unweit des Südufers des See Genezareth gelegen, fürchtet der geneigte Reisende hier zunächst nichts Böses – bis er den Parkplatz links der Straße entdeckt. Dutzende Reisebusse parken dicht an dicht und lassen auch in der langsam untergehenden Spätnachmittagssonne noch Tausende Menschen voller erwartungsfroher Gesichter Richtung Uferstelle aussteigen. Auf dem Weg zum Fluss passieren sie die „Mauer des neuen Lebens“, auf der in vierzig Sprachen Kapitel 1, Vers 9-11 des Markus Evangeliums prangt: „Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass sich der Himmel auftat und der Geist wie eine Taube herabkam auf ihn. Und da geschah eine Stimme vom Himmel: ‚Du bis mein lieber Sohn, an Dir habe ich Wohlgefallen.’“
Dass sich diese Szene in Yardenit zugetragen haben soll, behauptet kaum jemand, vielmehr ist die „Originalstelle“ wohl deutlich weiter südwärts des Flusses zu finden – allein: die Baptisten haben hier ihren Sammelplatz zur Erwachsenentaufe gefunden. 500 000 Menschen strömen so jedes Jahr an das Flussufer – und hinein. So kann man für 25 Dollar im vorgelagerten Shop ein weißes Taufhemd mit Jesusbild kaufen, das Leihhandtuch gibt es obendrauf. Kaum jemand muss jedoch einzeln an der Kassenschlange für sein Hemdchen anstehen, die meisten kommen mit ihren organisierten Kirchengruppen und verschwinden gleich gut ausgerüstete in den Umkleidekabinen, um kurz danach gemeinsam den Gang ins Wasser anzutreten. Damit sie zwischendurch nicht verloren gehen, gibt es nummerierte Stege. Während sich heute in dem Gedränge ganz rechts eine Gruppe Afrikaner warm singt und in der Mitte bereits fertig getaufte Latinos ihre Freude laut juchzend kundtun, steigen links US-Amerikaner zu ihrem Pastor ins Wasser. Bevor der ihnen ein Tuch vor die Nase drückt und sie rücklings unter Wasser drückt, sprechen sie noch einige Sätze in die eigens mitgeführte Kamera. Auf den Bildern werden zu Hause nicht zuletzt auch die gewählten Badeanzüge zu sehen sein – sind die Taufkleider doch weiß und werden Dank Wasser transparent. Während auf der einen Seite also lauter Engel ins Wasser steigen, kommen auf der anderen Menschen in wildem wet-look mit durchscheinender Badhose wieder heraus.
Und werden nach ihrer Taufe durch den riesigen Devotionalienshop geschleust. Hier schieben sich die Massen vorbei an Dornenkronen zum an die Wand pinnen, Olivenölcremes und kleinen, blinkenden Kamelen sowie natürlich Kreuzen jeder Form, Farbe und Facon. Lauter Dinge, von denen das frisch getaufte Pilgerherz vermutlich noch gar nicht wusste, dass es sie braucht.
Laut Tourismusbehörde ist Yardenit „der ideale Punkt, um sich in Ruhe und Frieden wieder zu sammeln“. Das gleiche könnte man von Disney Land auch sagen.