“Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel”, so lautet der Titel eines Kinderbuchs, das ich gerne meinen Enkelkindern schenken würde. Das Problem ist, ich habe noch keine solchen und vielleicht darf ich das auch nicht mehr. Die deutsche Bundesprüfstelle für jungendgefährdende Medien hat sich am Donnerstag nämlich mit dem Büchlein auseinandergesetzt. Die Bundes-Familienministerin stellte den Antrag, das religionskritische Buch auf den Index zu setzen. Das Buch sei antisemitisch und sozialethisch desorientierend. Werden meine zukünftigen Enkel ohne dieses harmlose Büchlein aufwachsen müssen?…
Das ist zur Zeit nicht klar, da der Abgabetermin dieser Kolumne früher war, was keine Rolle spielt. Die Ferkelei ist nicht rückgängig zu machen. Auch wenn die deutschen Wächter über die Kinderseele hoffentlich den letzten Funken Verstand benutzen, ist intellektueller Schaden angerichtet. Zudem ist noch eine Strafanzeige vom Bistum Rottenburg-Stuttgart gegen das Ferkel-Buch hängig. Das Bistum hat sich vor allem darüber aufgeregt, dass im Büchlein katholische Christen als „Menschenfresser“ tituliert werden. Das kleine Ferkel sagt nämlich zu seinem Freund dem Igel: “Wenn die schon den Sohn vom Herrn Gott verspeisen, wer weiss, was die kleinen Igeln und Ferkeln antun…” Das Bistum findet, der Tatbestand der Beleidigung sei erfüllt, schliesslich gehe es um Transsubstantiation. Mich haben Hostien auch immer ein wenig geekelt. Ich habe mich gewundert, wie Fleisch und Blut in eine fade, farblos Oblate hinein gelangt. Die Transsubstantiation wurde später noch suspekter, da dem Messdiener auffiel, dass die Herstellung von göttlichem Blut wesentlich mehr Wein als Wasser benötigte. Halten wir fest, die Bibel und Kinderbücher taugen beide offensichtlich nicht dazu, komplexe theologische Erkenntnisse zu erläutern. Vielleicht sind einige Erwachsene zu alt, um Kinderbücher zu lesen, und einige Kinder zu jung, um die Bibel zu lesen?
Der bundesministerielle Indizierungsantrag basiert auf einem Paragraphen wonach Medien Jugend gefährdend sind, wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken und zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen. Ich habe das Kinderbuch gelesen, ohne dass dieser Eindruck entstanden wäre. Das erste Buch, das mir allerdings zu diesem Paragraphen spontan einfällt, ist die Bibel. Ich finde es unsittlich, wenn Väter beschrieben werden, die ihre Kinder abschlachten. Vieles was mir so einfällt, was Moses, vom Berge hinunter steigend, sah, könnte auf Kinder möglicherweise verrohend wirken. Nie würde ich meinen Enkeln vorlesen, dass Lot zwei Engel vor einer Vergewaltigung rettete indem er seine jungfräulichen Töchter dem Pöbel überliess. Die Gewalttätigkeiten in der Bibel, angefangen vom Brudermord bis zum Kreuzigung, werden nicht nur gedruckt, sondern hängen in manchen Familien über dem Esstisch. Es gibt schliesslich genügend Zeitgenossen, die der Ansicht sind, der Judenhass könnte etwas mit Judas dem Verräter zu tun haben und der irrigen Ansicht, die Juden hätten den Propheten der Christen getötet. Trotzdem erinnere ich mich, dass mir dieses Buch in zartem Alter als Bettlektüre empfohlen wurde. Allerdings habe ich bis heute keinen Antrag zur Indizierung der Bibel gefunden.
Also unabhängig davon, ob das gottlose Kinderbüchlein nun auf die Liste gesetzt ist oder nicht, bleibt die Frage, ob sich über etwas lustig machen ein höher einzustufendes Recht ist, als die beleidigte Wurst zu spielen? Es stimmt, in diesem Kinderbuch sind die Monotheisten nicht respektvoll gezeichnet. Den Atheisten muss man aber zu Gute halten, dass sie bis anhin keinen Respekt verlangt haben. Menschen die an das Irrationale glauben, haben Toleranz verdient, die Frage ist, ob sie auch Respekt verdient haben? Toleranz und Respekt sollten nicht verwechselt werden: Wer Respekt will, will auch Macht. Gehört die Macht in den Schoss der Irrationalität?
Erschienen in der NZZ am Sonntag am 09. März 2008.