Gastautor / 13.09.2010 / 16:08 / 0 / Seite ausdrucken

Gabriel und die Gene

Gunnar Heinsohn

In der internationalen Intelligenzforschung gilt Richard Nisbett aus Ann Arbor als Randfigur. Aber als es in Deutschland darum geht, Thilo Sarrazin in die Ecke des Rassismus zu drängen, steht er plötzlich im Mittelpunkt. Der SPD-Führer Sigmar Gabriel gibt die Angriffslinie vor: Sarrazin „hat eine rote Linie überschritten mit der Behauptung, dass sich Intelligenz und Leistung verschiedener Kulturen genetisch vererben würden“ (BILD, 1. September 2010). Diese „Perversion“, setzt er am 12. September mit einer neuen Holocaust-Theorie nach, habe „nach Auschwitz geführt“ (BILD AM SONNTAG). Es obliegt dem SPIEGEL, Nisbett am 6. September 2010 als Kronzeugen gegen den Bundesbanker in Stellung zu bringen. Sein Vererbungsprozentsatz von 50 bis 80 Prozent sei „veraltet“, denn „ein Wert von 50 Prozent [sei] der maximale Beitrag der Genetik“ (SPIEGEL, Nr. 36, 2010,  S. 135).

Parteiführer und Regierungsspitzen, die Sarrazin zu jagen haben, sind nur halb zufrieden. Sie können Sarrazin jetzt nur noch für sein „bis 80 Prozent“ aburteilen. Denn Gabriel wird bei Heranziehung Nisbetts ja selbst zu einem fünfzigprozentigen Vererber. Die Anwälte Sarrazins können dann entgegnen, dass doch auch ihr Mandant von 50 Prozent spreche und seine Offenheit ja gerade dadurch ausdrücke, dass er die 80 Prozent nicht dogmatisiere, sondern als Höchstwert begreife. Bis 50 Prozent sei er also deckungsgleich mit der allermodernsten Wissenschaft und ihrem Anhänger Gabriel. Parteichef und Dissident würden mithin als „Halbbiologisten“ durchaus Arm in Arm gehen können.

Setzt Nisbett sich durch, dürfen alle 50-Prozent-Vererber in Parteien, Parlamenten und Banken bleiben. Als schönes Nebenprodukt gewinnt Deutschland gleich für die ganze Welt eine neue Definition des Rassismus. Alles bis 50 Prozent bleibt legal. Doch wer nicht ausdrücklich und immer wieder beteuert, dass er nie und nimmer auch nur ein einziges Prozent über 50 in Erwägung ziehen werde, wird der Antifa zum Fraß vorgeworfen.

Doch schon am 8. September geht die 50-Prozent-Klarheit wieder verloren. Nisbett erklärt in der Süddeutschen Zeitung: „Wächst man in Ober- oder Mittelschichten auf, dann hat man meist die besseren Voraussetzungen, den vererbten IQ auch zu entwickeln.“ Das tut nun wirklich weh. Auf einmal ist gleich der ganze IQ ererbt. So radikal formuliert nicht einmal Sarrazin.  Niemand kann – so nun Nisbett – seinen IQ voll entfalten, weil niemand die optimale Umwelt für seine hundertprozentige Realisierung kennt. Die einen kommen lediglich näher ans Maximum heran als die anderen. Haben sich unsere Journalisten mit einem „Menschenverächter“ eingelassen? Muss nun Nisbett aus dem herrschaftsfreien Dialog ausscheiden?

Wie dem auch sei, am 10. September ist der Mann aus Michigan im STERN. Dort gibt er noch einmal den Über-Sarrazin, wenn er bei der „Begabung“ der US-Mittelschicht „die Biologie stärker“ durchschlagen lässt, weil sie über ein höheres Anregungspotential verfüge. Stecke man aber Schüler aus der Unterschicht täglich elf Stunden lang über drei Jahre hinweg in ein Intensivprogramm – diese 10.000 Stunden kosten deutlich über 100.000 Dollar –, dann könne man „die Hälfte der Leistungsunterschiede zwischen schwarzen Kindern aus ärmeren Verhältnissen und weißen Mittelschichtkindern zum Verschwinden bringen“ (STERN Nr. 37/2010, S. 38).  Rechtfertigt diese Hälfte nun wieder volle Breitseiten gegen Sarrazin? Wohl kaum. Denn mehr als eine Rückstandsverringerung verspricht selbst Nisbett nicht. Überdies weiß keiner, wie es ausginge, wenn auch die Mittelschichtkinder drei Jahre lang so trainiert würden. Führt der gute Nisbett den STERN also an der Nase herum, weil er über ein Experiment ohne Kontrollgruppe berichtet, also die Minima wissenschaftlicher Sorgfalt verletzt? Man muss Nachsicht haben, wenn deutschen Intellektuellen so etwas nicht auffällt. Denn die Intelligenzmessung wird unter Hitler als „Prüfungssystem jüdischen Ursprungs“ geächtet und hat sich von der Ermordung oder Vertreibung der einschlägigen Gelehrten bis heute nicht erholt (H. Rindermann, „Intelligenz“, Merkur, August 2009).

Doch in Amerika schaut man Nisbett auf die Finger und konzentriert sich dabei auf sein 2009er Buch Intelligence and How to Get It (New York: Norton). So verteidigt James J. Lee von der Harvard Universität die Position, dass die Intelligenz mittelschichtig erzogener weißer Kinder zu 75 Prozent vererbt ist (in Personality and Individual Differences, Bd. 48, 2010, S. 247-255). Diesen Befund präsentiert 1997 als Altmeister der Zwillingsforschung Thomas J. Bouchard in seinem Aufsatz „IQ similarity in twins reared apart: Findings and responses to critics“, in R.J. Sternberg und E. Grigorenko, Hg., Intelligence, Heredity and Environment, Cambridge, UK: Cambridge University Press, S. 126-160). Nisbett will von eben diesen 75 Prozent weg und behauptet dafür, dass getrennt aufwachsende eineiige Zwilling, die extrem unterschiedlichen Milieus ausgesetzt sind, nicht mehr maximal zu 91 Prozent im IQ übereinstimmen, sondern höchstens nur noch zu 67 Prozent.

Lee verweist darauf, dass schon Bouchard selbst diesen Gedanken verfolgt und aufgrund der empirischen Befunde verworfen hat („Do environmental similarities explain the similarity in intelligence of identical twins reared apart?, in Intelligence, Bd. 7, 1983, S. 175-184). Überdies zeigt die größte Untersuchung an eineiigen (74) und zweieiigen (52) Zwillingspaaren, die ähnliche wie auch extrem unterschiedlich pädagogische Umwelten einschließt, dass die Betroffenen in g (generelle Intelligenz) zu 77 Prozent übereinstimmen, obwohl die zweieiigen Paare von vornherein unterschiedliche biologische Ausstattungen mitbringen (W. Johnson et al., „Genetic and environmental influences on the Verbal–Perceptual-Image Rotation (VPR) model of the structure of mental abilities in the Minnesota Study of Twins Reared Apart (MISTRA), in Intelligence, Bd. 35, 2007, S. 542-562).

Diese 77 Prozent nun unterminieren Gabriels glücklich gefundene Richtung, dass zwar alles bis 50 Prozent Vererbung in der SPD bleiben darf, er aber ab dem ersten Prozent darüber mit der Auschwitzkeule zuschlägt. Gerade mit dem Argument, das sogar Sarrazins Verteidigern peinlich ist, legt der seinen Verfolgern also eine Nuss hin, deren Knacken noch viel Kurzweil verspricht.

Und doch ständen wir mit solchen Verrenkungen noch nicht einmal am Anfang von Lösungen für unsere Probleme. Denn bei uns soll ja durch Intensivförderung ab dem 18. Lebensmonat eine Bevölkerung an die Weltspitze geführt werden, die im amerikanischen Jargon überwiegend als „weiß“ firmiert. Solche Amerikaner nun liegen bei der Internationalen Mathematikolympiade für Zehnjährige (TIMSS 2007) mit 550 Punkten deutlich hinter amerikanischen Ostasiaten (Koreaner, Chinesen), die 582 Punkte erreichen. Niemand weiß, wo Menschen aus kürzlich noch bettelarmen Ländern die anregenden Umwelten durchlaufen haben könnten, die sie an die mathematische Weltspitze bringen. Und nicht einmal Nisbett kennt Wege, wie man den Rückstand seinesgleichen mit dem unstrittig besten Anregungsmilieu aller Zeiten gegenüber den Ostasiaten verringern oder gar halbieren könnte. Nur wer den altdeutschen Durchschnitts-IQ von 100 auf die ostasiatischen 107 oder gar auf die aschkenasischen 112 anheben kann, sollte deshalb im SPD-Vorstand direkt neben Gabriel sitzen dürfen.

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