Von Stephan Friedrichs.
Die Jugend soll ja ab diesem Monat auch etwas von den vielen, vielen Gebührenmillionen haben, die der deutsche Beitragszahler den öffentlich-rechtlichen Medien regelmäßig als Tribut zu entrichten hat. Da junge Menschen aber offenbar kaum noch das lineare Fernsehen einschalten, spendieren die Verwalter der Gebührengelder jetzt jedes Jahr 45 Millionen Euro, damit sich junge Menschen im Netz eigens für sie hergestellte öffentlich-rechtliche Produktionen anschauen können. Auch bei der Youtube-Generation möchten die Fernsehanstalten nun endlich einmal ankommen. “Funk” heißt dieser neue Kanal von ARD und ZDF, der mit großen Versprechen gestartet ist.
Viele innovative Formate wurden angekündigt, bei denen nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Macher jung sein sollten. Sie bekommen jetzt die Chance, mit ungeahnter Frische und gutem Gebührengeld an der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Informations- und Bildungsauftrags mitzuwirken. Tatsächlich sieht man in den Trailern und ersten Formaten wirklich recht junge Gesichter, zumindest für öffentlich-rechtliche Verhältnisse. Viele Formate selbst muten allerdings eher an, als wären sie von Vertretern einer Generation erfunden worden, für die die prägende Medieninnovation ihres Lebens die Einführung des Privatfernsehens vor gut drei Jahrzehnten gewesen ist.
Was braucht ein öffentlich-rechtlicher YouTube-Kanal zum Beispiel auf jeden Fall? Richtig, ein Talk-Format. In der neuen Medienwelt ist es natürlich eines für Frauen und soll ein wenig ausgefallen und frech wirken. Deshalb heißt die kleine Gesprächssendung auch „Auf Klo“, was bedeutet, dass Moderatorin Mai nicht nur auf dem Präsentationsfoto mit einem Plüsch-Kackehaufen kuschelt, sondern tatsächlich mit ihren Gesprächspartnerinnen auf die Toilette geht.
"Auf Klo": Ein innovativer Haupthandlungsort für eine Sendung
Fürwahr ein intimer Ort, den bislang noch keine Fernsehanstalt als Haupthandlungsort für eine Sendung entdeckt hatte. Insofern muss man neidlos anerkennen, dass dem öffentlich-rechtlichen Nachwuchs – oder vielleicht doch den älteren Vordenkern, so genau wissen wir das nicht – hier etwas völlig neues eingefallen ist. Die Selbstdarstellung der Sendung klingt dann allerdings trotz Titel und Plüsch-Kackehaufen eher hausbacken:
»Auf Klo« ist ein Talkformat auf YouTube. Und weil es ein Format für Mädels ist, spielt es genau dort, wo Jungs nicht hin dürfen: auf dem Frauenklo. Dort begrüßt Mai jede Woche einen neuen Gast und redet über Freundschaft, Sex, Liebe, Zukunft, Ernährung, Karriere – und was es sonst immer so zu besprechen gibt auf Klo.
Und was erfahren wir über die Macherin?
Mai ist sie ein Chemie-Nerd, aber vor allem ist sie interessiert an starken Frauen, deren Geschichten und daran, Stereotypen den Mittelfinger zu zeigen. Gäbe es »Auf Klo« nicht, würde sie bei einem Pharma-Riesen Chemikalien anrühren. Oder Shampoo erfinden. Gott sei Dank gibt’s das Format.
Ob wir Gott jetzt dafür danken sollen, dass sich die schöne Mai nicht von einem Pharma-Riesen ausbeuten lassen muss oder dafür, dass uns das von ihr angerührte Shampoo erspart bleibt, dürfen die Zuschauer selbst entscheiden.
Manchmal stellt man sich ja vor, wie in den Sendern, die solche Formate produzieren und zuliefern, die Ideen entstanden sein mögen. Wahrscheinlich wurde in vielen, vielen Sitzungen überlegt, wie man denn auch ein wenig provokativ sein kann. Und irgendwer wird folgenden naheliegenden Gedanken ausgesprochen haben: Auch im Jahr 2016 könne man mit der Verwendung des Wortes „ficken“ doch noch ein klein wenig auffallen und zudem jung und frech wirken.
„Fickt euch“, ein Format-Beitrag des MDR
Der letzte Absatz ist reine Fiktion, doch so ungefähr muss „Fickt euch“, ein Format-Beitrag des MDR, entstanden sein. Der Titel sagt eigentlich auch klar, worum es gehen sollte, nur dafür kommt die erste Produktion dieser Formatreihe erschreckend bieder daher. Wenn Moderatorin Kristina Weitkamp beispielsweise knapp drei Minuten lang erklärt, dass Selbstbefriedigung nicht schlecht, sondern gut ist, dann ist das nicht gerade sehens- und hörenswerter als Aufklärungssendungen früherer Jahrzehnte.
Ohne dass es jetzt pornographisch werden sollte, aber hätte sich ein Format wie „Fickt euch“ nicht auch für den Einsatz von bewegten Bildern geeignet? Warum sieht man eigentlich nur einer Moderatorin beim Reden zu? Das ist doch bebildertes Radio, können die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht mehr? Immerhin betreiben sie doch auch Fernsehsender. Vielleicht liegt es daran, dass der MDR das Format unter der Ägide von MDR-Sputnik produzieren lässt und das ist, Sie ahnen es, ein Hörfunksender. Warum die Anstalt nun Produktionen, die sich doch fürs Bewegtbild eignen nicht ihren Fernsehmachern anvertraut hat, ist eines der vielen Rätsel in dem gebührenfinanzierten YouTube-Angebot.
Vielleicht ändert sich das ja alles noch, denn „funk“ hat ja gerade erst angefangen. Ein weiteres Format ist auch ein klein wenig bildstärker. „Living The Healthy Choice“ ist „eine Videoserie rund um bewusste und gesunde Ernährung. Food-Bloggerin Pauline, übrigens eine ehemalige MDR-Auszubildende, zeigt in ihren Videos wöchentlich, wie einfach und schnell vegetarische Gerichte auf den Tisch kommen“, wie der MDR in einer Pressemitteilung zum Start von „funk“ versprochen hat. „Lust auf gutes Essen“ soll der Kanal machen. Gutes Essen mit Fleisch liegt offenbar außerhalb der Lebenswelt des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags. Auch das junge vegetarische Kochstudio wird von MDR-Sputnik produziert. In der ersten Ausgabe wird die Herstellung von Blueberry-Muffins in Bild und Schrift, ohne gesprochenes Wort, erklärt.
Wie wäre es, die Kollegin mit dem Kopftuch übernähme „Fickt euch“?
Nicht nur in Bezug auf vegetarisches Essen achtet ein öffentlich-rechtliches YouTube-Angebot natürlich auf gute Gesinnung. Das Format „Germania“ beispielsweise erklärt uns Deutschland. Und wer erklärt uns Deutschland am besten? Natürlich Menschen, die nicht in Deutschland geboren sind, aber hier leben. Es gehe darum, zu zeigen, dass wir schon lange in einer multikulturellen Gesellschaft leben, beschreiben die Macher ihre Kernbotschaft. Bio-Deutschen wurde das Thema Deutschland und seine Identität lieber nicht angeboten. Bei solch volkspädagogisch wertvollen Ansätzen könnte es sein, dass „Germania“ vielleicht noch etwas weniger Zuschauer haben wird als „Fickt euch“.
Aber wir wollen nicht nörgeln, denn auch öffentlich-rechtlichen Humor bekommen die jungen YouTube-Konsumenten in dem 45-Millionen-Paket angeboten. „Datteltäter“ heißt ein solches Format. Als diese Zeilen geschrieben wurden, war noch keine Ausgabe zu sehen, aber die kurze Beschreibung reicht, um die Richtung zu erahnen:
Politische Satire, deutsch-muslimisches Selbstverständnis und Vorurteile gegen Muslime in Deutschland. Einmal in der Woche räumen die fünf Datteltäter auf YouTube mit Stereotypen auf, machen sich über Engstirnigkeit lustig und haben einfach ihren Spaß dabei. Der Fokus der Datteltäter geht dabei in eine Richtung: Gesellschaftskritik.
Die Engstirnigkeit von Islamideologen steht sicher seltener im Fokus, es geht ja schließlich auch um althergebrachte „Gesellschaftskritik“ und nicht um Parallelgesellschaftskritik. Auf dem Foto der Macher sieht man drei junge Männer und eine Frau. Die Frau trägt natürlich Kopftuch, was sonst? Vielleicht würde das junge Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender mit einem Moderatorinnentausch etwas frischer wirken. Wie wäre es, die Kollegin mit dem Kopftuch übernähme „Fickt euch“? Das sähe doch dann noch innovativer aus und käme auch ungeheuer provokant daher.
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