Maxeiner & Miersch / 11.05.2014 / 09:40 / 3 / Seite ausdrucken

Familienfeste überstehen

Zu den großen Herausforderungen des Lebens, denen sich ein Mann stellen muss, gehören Familienfeiern. Das wäre mal ein lohnendes Feld für Gender-Forscherinnen. Warum werden Verwandtschaftstreffen fast immer von Frauen anberaumt und organisiert? Und wie kommt es, dass gestandene Männer, die stolz darauf sind, vor keiner Macht zu weichen und niemandem nach dem Munde zu reden, sich solcher Sippenhaft leise murrend unterordnen?

Es soll ja auch ein paar Männer geben, die Familienfeiern mögen. Aber auch den Ersten Weltkrieg mochten einige, zumindest am Anfang. Normalerweise sind die meisten froh, wenn es vorbei ist, und versuchen die Zeit zwischen Aperitif und Verdauungsschnaps mit Haltung hinter sich zu bringen.

Je nach Temperament wenden sie unterschiedliche Taktiken dabei an. Man kann sich zum Beispiel sehr schnell betrinken, und dann in einem Zustand wohliger Wurstigkeit das Ereignis an sich vorbeiwabern lassen. Man kann sich jemanden herauspicken, den man trotz Verwandtschaft mag, und sich mit ihm oder ihr in eine ruhige Ecke verkrümeln, wo man möglichst wenig behelligt wird. Oder man opfert sich einer der quietschvergnügten Tanten, Basen, Schwiegermütter oder Schwägerinnen und schaltet den Mhm-Modus ein: So tun, als ob die tausendmal erzählte Geschichte neu sei, und zirka einmal pro Minute „mhm“ sagen. Funktioniert perfekt, denn die meisten Menschen sind glücklich über einen Zuhörer, egal ob er zuhört oder nicht. 

Doch Rettung naht. Vorgestern flatterte uns die Pressemitteilung einer Firma für Sound-Systeme in die Mailbox. Darin lasen wir: „Die Silent Disco ist ein ganz neues Konzept, um Jung und Alt wieder zu vereinen und doch gewissermaßen zu trennen. Denn während auf dem Fest eine leise, angenehme Hintergrundmusik abgespielt wird, können die jungen Leute zu ihrer lautstarken Lieblingsmusik tanzen und so richtig abfeiern.“ Das Set besteht aus drahtlosen Kopfhörern, die man von einem zentralen Steuerungsgerät in verschiedenen Gruppen einteilen kann. Man sitzt also zusammen in einem stillen Raum, die, die sich unterhalten möchten, hören dezente Klänge. Andere können den 100-Dezibel-Techno-Hammer auf sich niedersausen lassen. Jetzt warten wir noch auf die Weiterentwicklung dieser Technologie: Kleine Ohrknöpfe, über die man Radio hören kann, während man der Großtante im Mhm-Modus zunickt. 

Erschienen in DIE WELT am 09.05.2014

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Leserpost

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Martin Lahnstein / 11.05.2014

Gezwungenermaßen an einer Feier teilnehmen und sich doch allem Peinlichen entziehen: das gelingt am besten bei einer Beerdigung, und zwar der eigenen.

Elke Venner / 11.05.2014

Vielleicht hilft ja auch ein gemeinsames Tischgebet “Lieber Gott, lass sich diese Runde möglichst schnell und ohne größere Unannehmlichkeiten wieder auflösen”.

Ludwig Zeche / 11.05.2014

Bei der Lektüre dieses Artikels fielen mir unwillkürlich die sarkastischen Kommentierungen Kurt Tucholskys zu diesem Thema ein, nämlich in : 1. “Familie” von Kurt Tucholsky 2. “Wo kommen die Löcher im Käse her -?” von Kurt Tucholsky Viel Spaß bei der Lektüre

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