Maxeiner & Miersch / 05.10.2014 / 20:32 / 7 / Seite ausdrucken

Analoger Widerstand

In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts propagierten Automobilindustrie und Automobilverbände die „Freie Fahrt für freie Bürger“. Es ging damals darum, ein Tempolimit zu verhindern. Auch heute noch lässt sich mit dem Thema eine aufgeregte Talkshow bestreiten, denn theoretisch gibt es die freie Fahrt immer noch.

Praktisch hat sich das Thema auf weiten Strecken erledigt, weil das hohe Verkehrsaufkommen und die verfallenden Autobahnen die Fahrzeuge von selbst einbremsen. Die einen halten den Stau für eine volkswirtschaftliche Verschwendung erster Güte, die anderen sehen darin so etwas wie ein Instrument zur Zivilisierung des Automobilisten. Und was das Letztere anbetrifft, dürfte sich das fahrende Volk erst am Anfang der Entwicklung befinden.

Wer heute über einen Automobilsalon schlendert, der wähnt sich ja mitunter ohnehin schon auf einer Elektronikmesse. Das Auto ist ein Hochleistungsrechner mit vier Rädern geworden. Aus dem zügellosen Verkehrsgeschehen dürfte daher über kurz oder lang eine streng geregelte Datenwolke werden.

Unsere Autos sind dann so etwas wie individuelle Kabinen einer Straßenbahn. Nur Autos sind es nicht mehr. Das Wort Auto kommt ja vom griechischen Wort Autonomie, das einen Zustand der Selbstständigkeit, Selbstverwaltung und Entscheidungsfreiheit bezeichnet.

Doch damit dürfte es hinterm Steuer rasch zu Ende sein. So wird von der EU bereits an Systemen geforscht, mit denen Verkehrssünder automatisch zum Stillstand gebracht werden können. Der Schritt von der Zivilisierung zur Bevormundung ist halt ein kleiner.

Die Überwacher werden alles wissen: Wann wer wohin wie schnell und unter Missachtung welcher Verkehrsvorschriften gefahren ist. Wer dieses Risiko nicht eingehen will, der gibt das Steuer freiwillig an Big Brother ab. Der heißt dann Verkehrsleitsystem und hat günstigere Versicherungstarife als so ein fehlbares menschliches Wesen.

Wer darauf besteht, das Steuer selbst in der Hand zu behalten, der macht sich dann verdächtig. So wie heute schon beim Zahlungsverkehr. Unser Finanzminister bezeichnete Bargeld ja unlängst schon als „intransparentes Zahlungsmittel“, das vor allem „Geldwäschern“ zugute komme.

So etwas fordert uns dann doch zum analogen Widerstand heraus. Es wird möglichst bar bezahlt, schon um Schäuble zu ärgern. Maxeiner hat sich sogar einen alten Volvo gekauft. Der hält ewig und ist garantiert elektronikfrei. Damit will er künftig an Big Brother vorbeisegeln wie einst Störtebeker auf Freibeuterfahrt.

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Leserpost

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Uwe Müller / 07.10.2014

Wow, da bin ich voll auf Linie, denn: !Isch a`be gar kein Auto” um einen alten TV-Spruch zu zitieren. Und ich will keines. :-)

Michael Schlenger / 07.10.2014

Das Schöne an unserer fortschrittsbesoffenen Zeit ist ja dieses: Keine der angeblich überholten Technologien stirbt vollkommen aus. Darum gibt es immer noch den Kerzenschein, den keine Brüsseler Schlachthofbirne zu ersetzen vermag. Darum werden immer noch Langspielplatten von alten analogen Aufnahmen geschnitzt, gegen die alle aktuellen datenreduzierten Formate ein Sch…dreck sind. Deshalb werden immer noch Ziegelsteine vermauert und Tonziegel verlegt, wenn man nicht gerade deutscher Dämmpropaganda aufgesessen ist, von der merkwürdigerweise im achso kalten und nebelverhangenen England noch nie jemand etwas vernommen hat. Deswegen können wir in bezahlbarer Form die unbezahlbare Musik der letzten 400 Jahre von Schütz, Monteverdi, Bach, Händel, Mozart, Beethoven und Schubert genießen, ohne uns einen Moment um die als Popmusik bezeichnete Musik für die Masse der Gegenwart kümmern zu müssen. Daher können wir antike Möbel und Autos von vor - sagen wir - 1974 kaufen, die zeitlos schön, immer wieder reparierbar und deswegen so nachhaltig sind wie nichts von dem, das derzeit unter dem verkaufsbeschleunigenden Motto der Nachhaltigkeit verkauft wird. Fazit: Es ist einfach sehr unwahrscheinlich, dass gerade in unserer Zeit der internationalen Diplomhektiker und Innovationsdampfplauderer etwas entsteht, dass den mit Überlegung und auf langer Tradition beruhenden Hinterlassenschaften der letzten 2500 Jahre überlegen ist. Und es wird mit jedem Tag unwahrscheinlicher, an dem die 90 Jahre alte Schuhkarton-Ideologie des Bauhauses als Moderne verkauft und sondermüllverdächtige E-Mobile mit der Reichweite von anno 1910 als strahlende Zukunft angepriesen werden. P.S. Bitte nehmen Sie in Ihren automobilen Kanon neben alten Volvos auch noch den klassischen Landrover, den echten Mini und den 190er Mercedes auf.

Ludwig Mertel / 06.10.2014

Trotz durchaus einiger richtiger Analysen, Einschätzungen und entsprechender Schlussfolgerungen, schießen die Autoren bezüglich des Autos ein wenig über das Ziel hinaus. “Automobil” nämlich bedeutet ganz einfach nur “selbstbeweglich”, da im Gegensatz zu ihren Vorgängern (Kutschen) keine Pferde oder andere Zughelfer mehr benötigt werden, hat also mit Selbstständigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit der Benutzer wenig, eigentlich nichts zu tun. Diesen waren immer schon - sinnvollerweise durch Regeln - Grenzen ihrer Selbstständigkeit, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit gesetzt. Was die Zukunftsvision der Autoren über die Autos als “individuelle Kabinen einer Straßenbahn” anbelangt; sind sie das nicht schon jetzt, wenn ich mich stundenlang im Stau in meinem Auto"mobil” sitzend auf der Autobahn befinde? Aus der Straßenbahn kann ich jederzeit an irgendeiner Haltestelle aussteigen wenn mir danach ist und meiner Wege gehen. Was aber würde geschehen, wenn Autofahrer die gleiche Entscheidung in einem dreispurigen Stau träfen? Was die Überwachung und Überwacher anbelangt, einverstanden.

Andreas Bickel / 06.10.2014

Automobil und Autonomie teilen sich zwar das griechische “selbst”. Die Behauptung, Auto würde von Autonomie kommen, ist aber sicher nicht korrekt.

Bärbel Schmidt / 06.10.2014

Diesen Sommer wurde mir in Schweden in einem Geschäft der Telefon- und Internetfirma Telenor gesagt, man nehme kein Bargeld.

Wolfgang Schlage / 05.10.2014

Am längsten leben die Tiere im Zoo. Lange Zeit stieg mit der Freiheit auch die Effizienz. Die gigantische wirtschaftliche Entwicklung der letzten 100 Jahre wäre ohne Freiheit der Individuen nicht möglich gewesen. Die real existierenden sozialistischen Länder des Ostblocks sind ja wirtschaftlich daran gescheitert, dass die Unfreiheit sie gleichzeitig vergeichsweise arm gehalten hat. Mit zunehmender Rechenkapazität stimmt der Satz, dass Freiheit die Effizienz erhöht, in immer mehr Bereichen nicht mehr. Zentrale Kontrolle wird effizienter als individuelle Entscheidungen. Verkehrsleitsysteme sind ein Beispiel. Die Effizienz des internationalen Handels wäre ohne enorme Rechenkapazitäten in den Logistikzentren undenkbar; entsprechend ist der Kapitän nicht mehr die absolute Autorität auf seinem Schiff wie früher. Die individuelle Rolle der Diplomaten in den Botschaften nimmt ab, weil die Ministerien eh schon alles wissen und Weisungen erteilen. In der Medizin wird dem Arzt, vor kurzem noch Halbgott in weiß, immer mehr von zentralen Instanzen vorgeschrieben; der Arzt wird zum Rädchen im Getriebe eines effizienten Medizinbetriebs. Der Automechaniker diagnostiziert nicht mehr nach Gehör, sondern stöpselt die Karre an den Computer an und tut, was der ihm sagt. Das alles gibt zentralen Instanzen eine enorme Macht und entmündigt den einzelnen - und zwar nicht, weil die Zentralen so machthungrig sind, sondern weil die Menschen sich von ihnen Effizienz erwarten und diese auch bekommen. Nur wenn die Menschen sich entschließen sollten, dass ihnen die Autonomie wichtiger ist als die Effizienz, könnte sich dieser Trend umkehren. Das sehe ich - außer bei privilegierten Minderheiten - nicht. Wir werden sein wie Tiere im Zoo: frei von vielen Gefahren der Wildnis und deshalb langlebig, aber auch frei von Freiheit.

Hjalmar Kreutzer / 05.10.2014

Auch im “sozialistischen” Schweden ist Bargeld ja angeblich"verpönt”. IMHO geht es jedoch den Sch…taat eine Tüte nassen Staubes an, in welcher Kneipe oder welchem sonstigen Etablissement ich wieviel Trinkgeld lasse!

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