Gastautor / 14.01.2015 / 07:00 / 1 / Seite ausdrucken

Erfolgsmodell Schweiz? Das gibt es nur noch in den Köpfen

Von René Scheu

Eine neue Studie zeigt, was viele Selbständige längst wissen: Die Vergesellschaftung der schweizer Wirtschaft ist weit gediehen

Wenn es um die wirtschaftliche Lage der Schweiz geht, dominieren zwei Diskurse. Der eine, europäisch kompatibel, läuft so: Die Schweiz steht im Banne von Globalisierung, Deregulierung und Privatisierung; auch hierzulande herrscht der Primat der Ökonomie, die Politik überspielt bloss ihre eigene Ohnmacht. Es sind die Gewerkschaften, die Sozialdemokraten aller Parteien und die sich als progressiv verstehenden Journalisten, die diese Version feilbieten. Ihnen stehen jene gegenüber, die den Status quo mit Zähnen und Klauen verteidigen. Sie verstehen sich als anwaltschaftliche Vertreter der Wirtschaft, sprechen obsessiv vom «Erfolgsmodell Schweiz», verweisen auf die marktwirtschaftliche Ordnung und die unternehmerfreundliche Grundstimmung als Bastion gegen die Avancen politisch-zentralistischer Einflussnahme.

Wer hat recht?

Recht hat zunächst niemand, denn die Verfechter beider Positionen sind sich in ihrem Grundbefund einig: Es gibt so etwas wie eine helvetische Marktwirtschaft, einen liberalen Arbeitsmarkt und einen schlanken Staat mit tiefer Fiskalquote. Der Unterschied ist, dass die einen bewahren möchten, was die anderen gerne umkrempeln würden.

Die Unternehmer wissen hingegen aus ihrem Alltag, dass das «Erfolgsmodell Schweiz» vor allem ein diskursives Phänomen darstellt. Die Gegenüberstellung von Staat und Markt ist obsolet. Der Staat ist nicht «das kälteste aller kalten Ungeheuer» (Nietzsche), sondern der stille unscheinbare Dritte, der den Unternehmern in allen wirtschaftlichen Transaktionen über die Schultern schaut – geschmeidig, allumfassend, totalregulierend.

Diesen staatlichen Fussabdruck vermisst eine neue Studie des Wirtschaftsverbands Economiesuisse. «Staat und Wettbewerb» – der Titel klingt brav, die Zahlen jedoch entfalten eine entzaubernde Wirkung. Sie bestätigen, woran sich mancher Selbständige und Mittelständler täglich reibt: an der Omnipräsenz des unscheinbaren Dritten. Als Preissetzer, als Auftraggeber, als Eigentümer, als Arbeitgeber und natürlich als Steuereintreiber. Hier die Resultate der Studie: 30 Prozent aller Preise sind direkt staatlich administriert, über 50 Prozent indirekt. Die öffentliche Hand ist mit 36 Milliarden Franken Auftragsvolumen grösster Kunde. Ein Fünftel der gesamten Vermögenswerte gehört dem Staat (500 Milliarden Franken). Rund ein Drittel der Erwerbstätigen arbeitet direkt beim Staat oder in einem staatlich dominierten Betrieb. Die Quote an Zwangsabgaben beträgt in der Schweiz zurückhaltend gerechnet 43 Prozent – der Private darf also grosszügigerweise über gut die Hälfte seines Einkommens frei verfügen.

Gesundheits- und Sozialwesen, Bildung, Landwirtschaft, öffentlicher Verkehr, Post, Rundfunk, Energie – diese und andere Branchen sind de facto längst staatlich gelenkte Industrien. Marxisten nannten dies einst treffend Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsweise.

Gemäss Verfassung hätten sich «Bund und Kantone an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit» zu halten – Abweichungen wären mithin begründungspflichtig. Theoretisch. Denn mit Wirtschaftsfreiheit – also mit Wettbewerb, freier Preisbildung und Konsumentensouveränität – hat das helvetische System nur noch am Rande zu tun. Begründungspflichtig sind heute nicht die Eingriffe in den Markt, sondern die letzten Nischen freier privatwirtschaftlicher Aktivität. Wer in einer solchen vergesellschafteten Wirtschaft Erfolg haben will, darf den unscheinbaren Dritten nie aus den Augen verlieren. Nie. Sonst bekommt er knallhart zu spüren, was dessen anwaltschaftliche Vertreter unter Wirtschaftsfreiheit verstehen.

René Scheu ist Philosoph und Herausgeber des liberalen Magazins «Schweizer Monat». Zuerst erschienen in der NZZ am Sonntag vom 11.01.2015.

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Leserpost

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Walter Roth / 14.01.2015

Richtig…............... Ich habe selber 1986 mit 24 Jahren eine Firma gegründet. Damals war die Freiheit viel grösser, der Staat kümmerte sich nicht um alles und jeden. Damals fing ich also an zu Arbeiten, Dinge wie AHV-Beiträge, Steuern usw. die wurden erst mal Beiseite geschoben. Ich konzentrierte mich erst mal darauf, Kunden zu gewinnen und Geld zu verdienen. Die Bank gab mir nach 5 Minuten Gespräch einen Kontokorrent-Kredit. Die AHV meldete sich erst rund 1 Jahr nachdem ich angefangen hatte, bei mir, die Pensionskasse ebenfalls und das erste Steuerformular bekam ich noch später zugeschickt. Mehrwertsteuerpflichtig wurde mich erst einige Jahre später. Damals gabs eine Grenze unter der man die nicht abführen musste. Ich führte lediglich ein Kassenbuch, PC s waren noch kaum da und Registrierkassen waren teuer. Nie zweifelte jemand so einen einfachen Beleg an. Man war der Meinung, das wer selber eine Firma gründet, das derjenige schon weiss was er tut, er das eigenverantwortlich machen muss. Weiter…................... Schon im ersten Jahr musste ich natürlich auch Militärdienst leisten, ....also 3.1/2 Wochen ohne Verdienst, ohne Arbeit, ohne das ich in der Zeit hätte Rechnungen schreiben können, ja in der sowieso noch sehr wenig verdiente, wenn überhaupt….?? Aber ich rief die “AHV” ......zugleich Militärpflichtersatzkasse, an und bekam nach dem WK sofort einen Termin. Ich fragte ihn ob man da nicht schneller etwas für mich auszahlen könne. Zwar konnten wir noch nicht anhand der Steuererklärung feststellen, wie viel Lohnausgleich mir denn wirklich zustand, aber man fand unkompliziert eine Lösung und der Mann vom Amt sprach mir 1000 Franken zu, ging aus dem Büro und kam 5 Minuten später mit 1000 Franken Bargeld zurück. Das drückte er mir in die Hand und so hatte ich wenigstens das um die nächsten Wochen wieder anzuschieben. So war das damals. Wo auf einem Amt bekäme man heute noch als Frischling im Geschäft 1000.- Bargeld. Jeder hatte Verständnis und selbst das Steueramt wartete geduldig, jeder wusste das sowas eine Anlaufzeit braucht und man den jungen Schnaufer besser erst mal etwas arbeiten lässt, das es nun wichtigeres gab wie sofort Steuern einzuziehen. Heute ist das ganz anders. Heute muss man im entsprechenden Berufsverband Mitglied sein und Beiträge bezahlen, selbst wenn man nicht will. Die Bank verlangt einen Businessplan bevor sie einen Kredit geben. Der Militärpflichtersatz kommt erst lange nach dem WK, und man braucht faktisch einen Buchhalter.  Und bei einem Kassenbuch bekämen sie wohl einen Lachanfall. Will man eine Firmentafel aufhängen brauchts eine Bewilligung. Wollte ich mal einen 2-3 Monate ausbilden, dann mit allem Papierkram. Früher hatte ich Leute die bildete ich 3 Monate aus, niemand fragte da nach irgendwas. Heute gehe ich oft nach Deutschland und helfe dort Berufskollegen mit Fachwissen aus. Aber nun gibt’s dort ja das Mindestlohngesetz….. Naja, ich frage mich wie das dann Funktioniert.  Das ist wohl noch 3 mal so aufwendig wie heute in der Schweiz. Die Sozialisten alles Klassen sind die schlimmsten Begrenzer der individuellen Freiheit die es gibt.

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