Peter Grimm / 05.07.2016 / 06:00 / Foto: Jesus Solana / 7 / Seite ausdrucken

Engagierte Allparteien-Wahlhilfe für die AfD

Ob in Berlin wie geplant im September wahlrechtskonform gewählt werden kann oder ob die hauptstädtische Verwaltung auch bei der Wahlvorbereitung versagt, weiß man noch nicht genau. Aber immerhin können sich alle derzeitigen Parlamentsparteien darauf einigen, dass die Bürger doch bitte eine von ihnen wählen sollen und ja nicht die böse AfD. Man möchte den Politikern dieser Allparteienfront zurufen, dass all ihre bisherigen derartigen Versuche, die AfD klein zu halten, kontraproduktiv waren und fulminant gescheitert sind.

Das In-die-rechte-Ecke-stellen der AfD gehörte von Anfang an zum Repertoire der damaligen Parlamentsparteien, selbst zu der Zeit, als der Parteivorsitzende noch Bernd Lucke hieß. Mit weitestgehendem Ignorieren hatten es die Parteien auch schon versucht. Das schlug ebenso fehl, wie das anschließende Dämonisieren. Stattdessen wurde die AfD stärker und stärker.

In einem wachen Moment hatten dann zwischendurch fast alle Politiker entdeckt, dass es vielleicht hilfreich wäre, auch diese Schmuddelkinder ganz normal zu behandeln und über ihre Inhalte zu reden. Vollmundig begründeten das einige von ihnen, dass man vermeintliche und tatsächliche Rechtspopulisten so vorführen könne, weil die ja ohnehin keine richtigen Lösungen im Angebot hätten und auch keine praktikablen Antworten auf die drängenden Fragen der Bürger geben könnten. Ein solches Vorführen funktioniert aber dummerweise nur, wenn man selbst mit Lösungsvorschlägen und Antworten aufwarten kann.

Vorführen geht nur, wenn man selbst was zu bieten hat

Insbesondere in Berlin, wo nun der Wahlkampf beginnt, ist das schwierig, denn die Hauptstadt hat sich zu einem veritablen failed state entwickelt. Bis auf die chancenlosen Piraten sehen sich alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien als potentielle Regierungsparteien. CDU und Linke haben in den letzten Legislaturperioden jeweils als Juniorpartner der SPD das entstandene Desaster mit verantwortet. Inzwischen hat die Stadt ihre Verwaltung derart heruntergewirtschaftet, dass die Bürger monatelang allein schon um einen Termin kämpfen müssen, an dem sie beispielsweise einen Personalausweis beantragen dürfen.

Überall ist das Gefühl des Zusammenbruchs mit Händen zu greifen: Die Schulen verrotten, die Polizisten können nicht einmal mehr Schießübungen machen, ohne ihre Gesundheit ernsthaft zu gefährden, beim einstmals vorbildlichen öffentlichen Nahverkehr kann man sich nur noch darauf verlassen, dass er gelegentlich kollabiert und das Straßennetz glänzt durch eine rekordverdächtige Vielzahl an Dauerbaustellen, die nie fertig zu werden scheinen. Die dem Nicht-Berliner bekannten teuren Prestigebaustellen-Fehlleistungen an Flughafen und Staatsoper entlocken dem Berlin-Bewohner da nur noch ein müdes Lächeln.

Angesichts einer solchen Bilanz ist es natürlich schwer, mit der Behauptung zu punkten, man hätte die Antworten, die die bösen Populisten nicht haben. Also versuchen es die politischen Verantwortungsträger wieder mit der Drohung, AfD-Wähler in die rechte Ecke abzuschieben. Oder wie soll man die folgende Meldung sonst verstehen?

Gemeinsam Position beziehen, das ist im Wahlkampf nicht so einfach. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sagt das gleich zu Beginn. In seiner Funktion als Landeschef der SPD unterzeichnen er sowie die Berliner Parteispitzen von CDU, Grünen, Linken, Piraten und FDP am Freitag den Berliner Konsens gegen Rechts. „In Wahlkampfzeiten wird eher Trennendes betont, aber ich bin froh, dass die demokratischen Parteien für Werte wie Weltoffenheit, Toleranz und Internationalität einstehen, die selbstverständlich weltweit mit Berlin verbunden werden“, sagt Müller bei der Vorstellung der gemeinsamen Erklärung im Haus für Demokratie und Menschenrechte in Prenzlauer Berg. […] Die Berliner werden aufgefordert, mit ihrer Stimmabgabe ein Zeichen gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien zu setzen. Die NPD hetze gegen Flüchtlinge und trete mit Kandidaten zu den Wahlen an, die wegen Volksverhetzung verurteilt seien oder zum Spektrum gewaltbereiter Nazis gehörten, heißt es. Doch den Parteien macht insbesondere die wachsende Popularität der AfD Sorgen. Die Partei steht vor dem Sprung ins Abgeordnetenhaus. Dass solche Gruppierungen nicht nur hierzulande ein Problem sind, macht Thomas Heilmann, der stellvertretende CDU-Vorsitzende, deutlich. „Am Beispiel Englands zeigt sich, dass von Rechtspopulisten eine akute Gefahr ausgeht“, sagt er. „Antieuropäische Bewegungen waren mit absichtlichen Lügen erfolgreich.“

Die Grünen üben schon mal Koalitions-Kuschelei

Das ist ja eine äußerst differenzierte Analyse. Die rechtsextreme NPD wird einfach mit AfD und EU-Gegnern in einen Topf geworfen und ihr schlechter Ruf soll dann potentielle AfD-Wähler abschrecken? Falls nicht, wollen es die Abgeordnetenhaus-Parteien gleichzeitig noch mit der anderen Variante probieren: „Die Parteien müssen ihre Positionen deutlich machen und zeigen, dass die AfD keine Antworten hat“, sagt Elke Breitenbach, stellvertretende Vorsitzende der Linken.

Wie schon gesagt, wenn die Anderen auch keine Antworten haben und nicht mit Erfolgen ihrer Arbeit glänzen können, hilft das ja nicht. Warum allerdings die Grünen sich in die Einheitsfront mit den Verlierern der Parteien einreihen, die Berlin zum failed state gemacht haben, ist fraglich. Die Nähe zu den Noch-Mächtigen kann der langjährigen Oppositionspartei doch nur schaden. Aber manchmal will man mit der Koalitions-Kuschelei nicht bis nach der Wahl warten. Und wenn es um gemeinsames Vorgehen „gegen rechts“ geht, lässt sich eine Ablehnung schwer begründen, auch wenn das konkrete Papier noch so schwachsinnig ist. Die AfD wird sich über die proklamierte Allparteiengegnerschaft unter Führung der Parteien, die bisher in der Landesregierung versagt haben, herzlich freuen. Fast scheint es so, als hätte die neue Partei in allen Alt-Parteien inoffizielle Wahlkampfhelfer platzieren können.

Alle kursiven Zitate aus der Berliner Morgenpost hier.

Zuerst erschienen auf Pter Grimms Blog Sichtplatz hier.

Siehe zum Thema auch: Parteien finden „Konsens gegen rechts“, aber nicht gegen links

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Wieland Schmied / 05.07.2016

Zitat: ” Fast scheint es so, als hätte die neue Partei in allen Alt-Parteien inoffizielle Wahlkampfhelfer platzieren können.” Sehr geehrter Peter Grimm, dieser Satz hört sich gerade so an, als ob Sie befürchten, daß dem so ist.  Selbst die AfD ist m.E. zu solcher Glanzleistung nicht fähig.

Thomas Schade / 05.07.2016

Als SPD-Mitglied in Berlin bin ich schockiertIch über dieses Bündnis - ein Eingeständnis der Hilflosigkeit! Es wird nicht genügen, zu sagen, dass man zu den Guten gehört. Die Wähler/innen wollen Vorschläge zur Lösung politischer Probleme. Sie brauchen keine Nicht-Wahlempfehlungen sondern müssen zum Wählen einer Partei von dieser überzeugt werden - nicht mehr und nicht weniger. Das wäre Wahlkampf und Konkurrenzkampf verschiedener demokratischer Parteien mit unterschiedlichen Zielen. So wie es jetzt - so kurz nach den Erfolgen der AfD in gerade zurückliegenden Landtagswahlen - wieder aussieht, muss die AfD auch in Berlin selbst nichts mehr tun, um als eigenständige politische Kraft gelten zu können.

Wolfgang Richter / 05.07.2016

Die sogenannten Etablierten der an vielen politischen Baustellen gerade in Berlin erkennbaren Versager machen es dem Wahlbürger mit der Bildung ihrer an die bis 1990 aktive Einheitspartei erinnernden Konsenztruppe relativ einfach, die Alternative dazu für das mögliche Kreuzchen auf dem Wahlzettel auszumachen.  Das mit ihrer Aktion erneut zutage getretene mangelnde politische Fingerspitzengefühl könnte sich im September als schmerzhafter Knieschuß erweisen.

JF Lupus / 05.07.2016

Die Altparteien erklären ihren politischen Bankrott. Andersdenkende, über deren politische Richtung man durchaus geteilter Meinung sein darf/kann, werden nicht mit demokratischen Mitteln oder gar in sachlichem Disput “bekämpft”, sondern - was für ein Armutszeugnis! - durch Lügen, Diffamieren und den heftigen Einsatz der “bewährten” Nazikeule. Das haben Pack-Gabriel und Gesindel-Maas (oder wars andersrum?) vorgemacht und der Rest der Polit"Elite” trottet hinterher wie Lemminge. Ich interpretiere das so: zum einen scheinen die politischen Konzepte der AfD nicht ganz falsch zu sein, denn zum zweiten hat die geballte Altparteienfront von der SED-Nachfolgepartei bis CSU dem argumentativ nichts entgegenzusetzen. Auch, wenn ich angesichts mancher Gestalten in der AfD Bauchschmerzen habe, bei der nächsten Wahl werde ich, so nichts Weltbewegendes geschieht, wohl dort mein Kreuz setzen. Denn die AfD-Bauchschmerzen sind harmlos im Vergleich zu den argen Kopfschmerzen, die das Demokratieverständnis der restlichen Parteien erzeugt.

Geo / 05.07.2016

Super geschrieben Danke für diese Zusammenfassung.

Thomas Schlosser / 05.07.2016

Dass ausgerechnet in Berlin die Nachfolgepartei der SED von CDU, SPD und FDP als ‘demokratische Partei’ mit ins Boot genommen wird, zeigt, wie moralisch verrottet das Personal der etablierten Parteien ist. Mit dieser Komplizenschaft spucken die Christ- und Sozialdemokraten den 200 Toten der Berliner Mauer nachträglich in die Gräber. Aber Hauptsache, eine gemeinsame Front gegen die AfD bilden, die jüngste Berliner (und deutsche) Geschichte wird da eben mal schnell ausgeblendet….

Thomas Schenk / 05.07.2016

Die Versager schließen die Reihen. So stellt sich dieses vielerorts in Deutschland festzustellende Verhalten der „Etablierten“ dar. Wundern sollte uns das nicht. Was sich dort formiert, ist die auf uns zukommende „ganz große Koalition“ der multikulturell-transatlantischen Kaste, die Ihre Felle wegschwimmen sieht, und nun bestrebt ist zu retten, was noch zu retten ist. Mit der „ganz großen Koalition“ lässt sich das System aus unkontrollierter Masseneinwanderung und Aushöhlung der Nationalstaaten noch eine Zeit lang weiterbetreiben. Wenn wir Pech haben wird danach von unserem Land wie wir es aus unseren Kindertage kennen, nicht viel übrig sein.

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