Männliche Ferkel werden kastriert, damit sie nicht nach «Säuli» stinken. Der hinterhältige Eingriff geht zu weit. Man könnte die armen Schweinchen auch impfen.
Wer kein Blut sehen oder nicht mit der Tatsache leben kann, dass wir Affen sind, sei gewarnt: Es geht darum, ob die Schweizer Fleischproduzenten weiterhin Ferkel kastrieren sollen. Da Dinge rund um die Hoden ein delikates Thema sind, betrachtet man sie am besten aus einer wissenschaftlichen, in unserem Fall der evolutionsbiologischen Warte.
Die Hodengrösse korreliert nämlich mit der Promiskuität von Säugetieren. Streng monogam lebende Affen, wie etwa die Gibbons, haben kleine Hoden. Die Gorillas, die es mit der Treue nicht so genau nehmen, haben grössere. Die allergrössten Hoden haben die Schimpansen. Sie repräsentieren in diesem Sinn die Krönung der «Schöpfung». Monogame Partner schaften verlangen nämlich nicht nach überdimensionierten Samenfabriken wie bei den Schimpansen, die ihre sozialen Konflikte gerne mit Sex lösen. Dabei sind sie, mit menschlichen Massstäben gemessen, unmoralisch, weil sie nicht einmal vor Kindern haltmachen. Nachwuchs kriegt also der Schimpanse, der nicht nur am meisten Gelegenheit hatte, sondern viel Samen produziert: survival of the sexiest.
Unsere Hoden sind kleiner als die der Schimpansen, aber grösser als jene der Gibbons. Nun, was hat dies mit der Ferkelkastration zu tun? Jemandem die Eier abzuschneiden, ist auch eine moralische Frage, und weil grundsätzliche moralische Werte ein evolutionäres Programm sind, muss man sich fragen, was wäre, wenn wir Menschen so grosse Hoden hätten wie die Schimpansen.
Jedem Wissenschaftler leuchtet ein, dass belastende Tierversuche an nahverwandten Säugetieren zu unterlassen sind. Auch die Tierärzte, denen man noch vor wenigen Jahren dozierte, die fachgerechte Kastration sei problemlos, da kleine Ferkel nicht so schmerzempfindlich seien, haben dazugelernt. Die Schweizerische Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (STVT) hat bereits Ende November ein Pressecommuniqué an alle grösseren Tageszeitungen der Schweiz versandt. Darin weist die STVT darauf hin, dass es neben modernen Ebermasten eine erprobte und in der EU zugelassene Impfung gibt, die verhindert, dass ein Eber nach «Säuli» stinkt.
Der Ebergeruch beruht vor allem auf Skatol und Androstenon. Beide Stink-Stoffe fallen nach einer Impfung unter die menschliche Wahrnehmungsgrenze. Der Impfstoff hinterlässt keine Rückstände im Fleisch und ist schmerzlos in der Anwendung. Bei der Kastration, mit oder ohne Betäubung, verenden an den Folgen bis zu einem Prozent der Eber. Die umweltbelastende Gasnarkose ist keineswegs narrensicher und führt manchmal trotzdem zu einem schmerzvollen Eingriff. Niemand redet übrigens von postoperativen Schmerzen und Infektionen. Wahrscheinlich weil kleine Eber, mit oder ohne Schmerzen, wie Glücksschweine aussehen.
Die Grossverteiler haben alle von der Kastration während der gesetzlichen Übergangsfrist profitiert, obwohl die Impfalternative in der Praxis bereits erprobt war. Ansonsten ist dieser Gilde jedes Label gut, um den Umsatz zu steigern. Sogar «mit ohne Gentechnik» wird als sinnvoll erachtet. Warum also nicht ein neues Label: «mit ohne Hoden ab»? Es wird vorgeschoben, der Konsument wolle keine geimpften Tiere. Oh ja, solche Konsumenten gibt es, das sind wahrscheinlich die gleichen, die auch ihre Kinder nicht gegen Masern impfen, aber schon etliche Lachse verzehrt haben, die gegen Furunkulose geimpft sind. Vielleicht sind sie auch durch die impfkritische Broschüre der schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz irregeführt worden? Die Mehrheit der Konsumenten reagiert anders. Laut einer Studie von ProSchwein haben bereits 2007 68 Prozent der Konsumenten angegeben, die Eberimpfung zu akzeptieren. Die Grossverteiler sollten in der Nähe ihrer Fleischtresen einen Videofilm laufen lassen, der zeigt, wie man kastriert oder wie man impft. Dies würde langwierige Diskussionen oder einen runden Tisch, wie kürzlich vom Präsidenten von Suisseporcs, Peter Hofer, vorgeschlagen, unnötig machen.
Die verpönte Impfung kostet rund fünf Franken. Der Krampf mit der Betäubung, wie er jetzt aus unverständlichen Gründen durchgestiert wird, geht selbst Karnivoren wie mir zu weit. Die Grossverteiler müssen endlich Farbe bekennen. Man kann doch nicht ständig von «glücklichen Schweinen» und «Bio» reden und dann hinterrücks ohne Notwendigkeit mit dem Skalpell den männlichen Nachwuchs verunstalten, womit wir wieder am Anfang wären. Die geistige Evolution und die Erkenntnisse aus der Biologie müssen bei derart vitalen Problemen miteinbezogen werden. Die meisten von uns haben schliesslich Marx und Freud verarbeitet, jetzt ist die geistige Verarbeitung von Darwin dran. Wer es geistig nicht schafft, sollte es wenigstens mit dem Magen tun.
Zuerst erschienen in: Die Weltwoche vom 14.01.2009, Ausgabe 03/09