Gastautor / 16.03.2013 / 10:23 / 0 / Seite ausdrucken

“Die Hose muss sitzen!” - Das etwas andere Interview

Marcus Ertle

Vor dem Schaufenster eines Modehauses steht ein älterer
Herr in grünem Jackett und mit Pferdeschwanz. Richard W.,
so stellt er sich vor, hat zwar noch Termine, aber am Ende
bleibt doch etwas Zeit für einen Plausch über Mode, Pferdewetten
und das Leben an sich.

Sie haben einen bemerkenswerten Kleidungsstil, darf ich
mal raten, in welcher Branche Sie tätig sind oder waren?

Sie dürfen, ich bin übrigens im Ruhestand, aber
da kommen Sie nie drauf.

Tanzlehrer?

Nein!

Fußballschiedsrichter?

Nein!

Schreiner?

Nein!

Na gut, lösen Sie bitte auf.

Jetzt kommt der Hammer: Beamter bei der LVA!

Sie waren da aber wohl eher ein bunter Hund, wenn ich
das mal so sagen darf.

Also den Zopf hatte ich erst in den letzten Jahren,
da bin ich aber schon angeeckt, also jetzt nicht
so, dass man gesagt hat: Der Pferdeschwanz
muss sofort ab, aber man hat schon gesagt, dass
ein Beamter doch nicht so rumläuft. Ich habe das
vielleicht auch aus Protest gemacht, weil es eh
hieß, dass ich kein richtiger Beamter sei. In jüngeren
Jahren war ich zu gut angezogen, da hieß
es dann: Der kommt daher wie der Direktor.

Wollten Sie schon immer Beamter werden?

Ich war zuerst Großhandelskaufmann im Eisenwarenhandel,
dann hat sich das aus privaten
Gründen gelöst, ich wollte danach Offizier bei
der Bundeswehr werden, das hat sich aber auch
zerschlagen und dann hat meine Mutter selig gesagt:
Du, da suchen sie bei der LVA Angestellte,
geh da doch hin, das Arbeitsamt hat es mir auch
empfohlen und so bin ich da hängen geblieben.

Hatten Sie einen Traumberuf?

Ich wäre gern Schauspieler geworden, also jetzt
nicht auf eine kindische Weise, sondern schon
ernsthaft. Ich habe dann auch bei Laientheatergruppen
mitgespielt.

Welche Rolle hätten Sie gern gespielt?

Schon etwas klassisches, wie Hamlet.

Wieso wurde es dann doch nichts mit dem Theater?

Mein Vater starb als ich neunzehn war und ich
musste die Brötchen verdienen. Wir haben in
derselben Firma gearbeitet, er auch als Kaufmann
und wir haben auch drüber geredet und er war
nicht grundsätzlich dagegen. Aber als er dann
tot war, musste ich weiterarbeiten, da hätte mich
schon einer entdecken und mir ein Stipendium
anbieten müssen.

Haben Sie es bereut?

Damals habe ich gesagt, dass mir Geld gar nicht
so wichtig ist, als Theaterschauspieler hat man ja
nicht so viel, aber es kam dann eben so, wie es
gekommen ist.

Glauben Sie an Schicksal?

Ach, Schicksal, jeden trifft halt irgendein Schicksal.

Ziegelstein auf den Kopf: Die einen sagen Schicksal, die
anderen sagen Pfusch am Bau.

Ja, das eine schließt das andere nicht aus.

Sind Sie religiös?

Ach, wissen tun wir nichts. Wenn man Genaues
wüsste, wäre es keine Kunst, dann müsste man
nichts glauben. Aber hinter jedem Ereignis göttliche
Fügung zu vermuten, oder Angst vor der Hölle
zu haben, weil man gesündigt hat, davon halt ich
nichts, insoweit hab ich keine Angst vor dem Tod.
Aber in meinem Alter kommen die Einschläge natürlich
näher. Das heißt aber nicht, dass ich jeden Tag
daran denke. Aber ich denke, dass das Leben schon
einen Sinn hat, sonst müsste man ja sagen: Was
soll’s? Man wird geboren, werkelt bisschen herum,
der eine geht früher, der andere später, da würden
wir uns nicht viel von den Tieren unterscheiden.

Themensprung: Wann ist ein Mann gut angezogen?

Also früher ging man ja zum Schneider,
heute kann man sich das nicht mehr leisten. Man
sollte darauf achten, dass zum Beispiel die Hose in
die klassische Richtung geht, also nicht zu auffallend.
Ich muss immer lachen, wenn ich heute die
Jugendlichen sehe, die ihre Jeans unterm Hintern
tragen, da muss ich mich immer zusammenreißen,
dass ich nicht sage: Junge, Du verlierst Deine Hose.
Das finde ich unmöglich, die Hose muss sitzen.

Gürtel zur Hose?

Muss nicht sein, wenn sie gut sitzt.

Farben?

Im Sommer frische, helle Farben, ich neige eher
zu Beige, Braun und auch Gelb, ein dunkelblaues
Sakko, dazu ein gelbes Hemd, statt ein überkorrektes
weißes Hemd. Man kann farblich natürlich
viel falsch machen, es darf ruhig auffallend sein,
aber die verschiedenen Kleidungsstücke müssen
miteinander harmonieren. Korrekt, aber nicht zu
korrekt, Stilmix ist gut.

Ein wenig verspielt darf es sein.

Ja, es soll aber auch nicht zu spinös sein.

Spinös?

Ja, die Hose unterm Hintern tragen ist spinös.

Einstecktuch?

Besitze ich, aber das ist heutzutage etwas überkandidelt.

Hut?

Ja, ich trage gerne einen Panama-Hut, früher
auch einen Borsalino.

Mit Ihrem Stil haben Sie bei den Damen aber sicher nen
gewissen Schlag.

Ich war verheiratet,
mit einer Italienerin, aber ansonsten war ich
recht zurückgezogen. Ich habe mich dann auch
lange um meine Mutter gekümmert und bei ihr gewohnt,
es ist jetzt nicht so, dass ich einen großen
Frauenverschleiß hatte, auch wenn ich wohl die
ein oder andere Chance gehabt habe. Ich war vielleicht
zu eingebildet, ich dachte mir oft: Wenn ich
will, kann ich. Bei vielen Männern ist es ja so, dass
sie Frauen vor allem zur Selbstbestätigung jagen
und erobern müssen, das habe ich nie gebraucht.

Was sind für Sie die schönen Dinge des Lebens?

Rassige Pferde und darauf zu wetten und schöne,
elegante Frauen, die eine gewisse Zurückhaltung
haben – zumindest öffentlich. Eleganz muss immer
ein wenig mit Zurückhaltung verbunden sein.

Sie wetten auf Pferde?

Ja, ich habe gestern wieder zweihundert Euro
verdient durch eine erfolgreiche Pferdewette.

Schon richtig viel Geld verloren?

Ja, aber ich kenne schon meine Grenzen, jedes
Hobby kostet Geld, das gehört dazu
.

Was ist der größere Antrieb: die Aussicht auf Gewinn
oder der pure Nervenkitzel?

Der Nervenkitzel. Mal gewinnt man dreimal hintereinander,
dann wochenlang nichts, aber natürlich will ich auch Geld gewinnen.

Wird bei Pferderennen auch betrogen?

Kaum, heute wird ja alles gefilmt und die Richter
sehen sich die Filme später an, der Jockey kann
also kaum mehr betrügen. Er wird schon bestraft,
wenn er die Siegaussichten nicht voll ausnutzt,
das sieht man sofort. Das Einzige, was man heute
machen kann ist, wenn der Jockey beim Start
nicht gut wegkommt und dann von Anfang an
bisschen nachhängt, das kann den Sieg kosten,
das passiert einfach mal, dann wird er eben nur
Zweiter oder Dritter. Winston Churchill hat mal
gesagt: Es sind nicht alles Ganoven auf der Rennbahn,
aber alle Ganoven sind auf der Rennbahn.

Viel Glück beim nächsten Rennen.

Marcus Ertle, 32, findet seine Interviewpartner überall: An der Straßenbahnhaltestelle, im Cafe, vor und hinter der Supermarktkasse, auf einer Parkbank. Sie warten auf irgendetwas und Ertle will wissen, was es ist. Es sind kurze, zufällige Begegnungen mit Menschen, die vollkommen unauffällig sind und für die sich keiner interessiert. Szenen aus dem wirklichen Leben. 40 dieser “Zufallsinterviews” sind jetzt als Taschenbuch erschienen: “Warten auf…”, Unsichtbar Verlag, 86420 Diedorf, 247 Seiten, 9.99 Euro

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