In der kommenden Ausgabe von liberal erklären wir unter anderem, wie die Demokratie in Ungarn zunehmend in Bedrängnis gerät. Vorab eine kleine Geschichte, die exemplarisch zeigt, wie es in Budapest derzeit zugeht.
Von Philip Fabian
Um den Liberalismus ist es in Ungarn nicht gut bestellt. Die konservativ-nationale Partei Fidesz nimmt dank ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament Schritt für Schritt rechtsstaatliche Prinzipien zurück, Premierminister Orbán stellt die Demokratie mittlerweile sogar offen in Frage. Parallel dazu ist der rechtsextreme Nationalismus auf dem Vormarsch, die Nazi-Partei Jobbik ist bereits eine feste Größe in der politischen Landschaft.
Doch ausgerechnet bei Jobbik keimte vor kurzem die Hoffnung auf eine überraschende Liberalisierung auf. Hatte sich einer der Parteiführer noch vor ein paar Wochen mithilfe eines DNA-Tests seiner ungarischen „Reinrassigkeit“ gerühmt, hätte man meinen können, dass nun ein Teil der Parteimitglieder von der Vorstellung abrücken würde, diese sei für eine Parteimitgliedschaft zwingend notwendig.
Der Grund dafür: Der Europaabgeordnete und militante Nazi-Sympathisant Csanád Szegedi gab plötzlich bekannt, er habe eine jüdische Großmutter (und Auschwitz-Überlebende) – mütterlicherseits. „Sogar (sic!) wenn sie aus Afrika wäre“, erklärte er danach, „ich wäre immer noch ein stolzer Magyar“ – freilich nicht ohne seinen tiefen Schock über diese Entdeckung einzugestehen.
Es sei doch nicht wichtig zu wissen, wer ein reinrassiger Ungar sei, sagte Szegedi außerdem, wichtig sei nur, dass man sich wie ein Magyar benimmt. Was für Csanádi unter anderem bedeutete, im EU-Parlament in der Uniform der verbotenen paramilitärischen „Ungarischen Garde“ aufzutreten, die sich an die Pfeilkreuzler-Miliz aus dem Zweiten Weltkrieg anlehnt. Und tatsächlich zeigte sich die Partei in unmittelbarer Reaktion auf die Nachricht „tolerant“: Parteichef Gábor Vorna stellte sich hinter ihn und sprach sogar davon, dass dieser Fall doch beweise, dass seine Partei gar nicht antisemitisch sei.
Doch die Geschichte hatte natürlich noch ein Nach- und auch ein Vorspiel: Wie sich später herausgestellte, waren es Feinde aus der rechtsextremen Szene, die seinen Stammbaum recherchiert hatten und ihn schon 2010 mit der unbequemen Wahrheit erpresst hatten. Er habe also fast zwei Jahre lang „gelogen“, wie der Jobbik-Vizeparteichef meinte und sogleich nun doch seinen Rücktritt forderte.
Außerdem weist ein Tonband nach, wie er seinen Erpressern – einer bewaffneten „Wehrsportgruppe“ von einschlägig bekannten und vorbestraften Neonazis – EU-Gelder anbot, um sie zum Schweigen zu bewegen. Die Jobbik ist zwar nicht gerade europafreundlich (Szegedi selbst hatte einmal bei einer Demonstration die EU-Fahne verbrannt), aber angesichts von Bestechungsversuchen mit umgeleiteten Geldern aus der EU-Kasse hört die Toleranz dann doch auf.
Am Montag gab die Partei bekannt, Szegedi werde austreten. Seine nationalen Ämter hat er bereits aufgegeben, nur sein EU-Mandat in Brüssel werde er wohl noch eine Weile behalten. Zumal das Parlament dort gerade sowieso Sommerferien hat.