Henryk M. Broder / 09.09.2012 / 09:23 / 0 / Seite ausdrucken

Der Grund ist die Ursache der Voraussetzung

Kein anderes Thema, nicht einmal die steigenden Strompreise und die “Klimakatastrophe”, erregt die Bürger in den deutschen Landen dermaßen nachhaltig wie die Frage der Beschneidung, von der sie selber so betroffen sind wie vom Parkverbot auf dem Paradeplatz in Alma Ata. Es ist wirklich unglaublich, welche Emotionen und Energien dabei ausbrechen und sich flächendeckend verteilen. Gestern bekam ich von einem Irren eine wahrlich geniale mail, in der er den Antisemitismus folgendermaßen erklärt:

Wenn also ein heutiger Körper sich immer noch als „Jude“ bezeichnet, so ist er letztlich „selber schuld“, denn: Hätte es keine „Juden“ gegeben, so hätte es auch keine „Muslime“ und „Christen“ gegeben; ohne Christen hätte es aber keine Protestanten gegeben, ohne Protestanten (laut Max Weber) aber keine Kapitalisten; ohne Kapitalisten aber keine Marxisten-Kommunisten, ohne Kommunisten aber keine Faschisten und Nationalsozialisten (etc. etc. etc.)…

Noch besser ist eine mail, die ich heute bekommen habe, von einem Kretin aus Stuttgart, der sein ganzes Leben lang “die Juden gegen Anwürfe in Schutz genommen” hat und nun bitter enttäuscht feststellen muss, dass “den Juden Auschwitz lieber als das Grundgesetz” ist. Aber lesen Sie selbst:

Ich habe heute folgendes gelernt.

1.: Grundrechte, die bisher einklagbar waren, sind auf einmal verhandelbar.
2.: Grundrechte, die bisher absolut waren, sind auf einmal religionsabhängig.
3.: Ob ein Mensch Grundrechtsträger ist, entscheidet offenbar das aschkenasische Oberrabbinat in Tel Aviv.

Die Republik hat heute ihre Unschuld verloren. Und ich überlege endgültig, um die Enttlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit nachzusuchen. Deutschland ist nicht mehr mein Land.

Der dritte Punkt in der Auflistung ist besonders bitter. Er gibt auch meine Resignation in der Auseinandersetzung mit dem Judentum wieder.
Mein ganzes Leben lang, und das sind nun über 49 Jahre, habe ich die Juden gegen Anwürfe in Schutz genommen, u.a. vor meinen eigenen Etern. Und jetzt bläst ein Rabbi das Schofar, und macht den Staat kaputt, der uns 8 Mio. jüdische Todesopfer erspart hätte, wenn dessen einklagbare Grundrechte in den 1000 Jahren von 1933 bis 1945 gegolten hätten.

Ich formuliere es simpel: Die Juden haben sich für einen Staat ohne einklagbare Grundrechte entschieden, offenbar, und ich spitze es so zu, wie ich es im Augenblick empfinde, mit all meiner Trauer, mit all meiner ohnmächtigen Wut und mit meiner Fassungslosigkeit, ist den Juden Auschwitz lieber als das Grundgesetz. Denn Auschwitz ist das Symbol für reilgionsabhängige Grundrechte.

Nicht allen Juden? Gibt es etwa noch ein kleines gallisches Dörflein? Dann frage ich mal in die Runde: Warum sagt niemand was?
Warum ist heute gegen diese unerträgliche Kinderschänderdemo in Berlin, und ich nenne Kinderschändung, was Kinderschändung ist, kein Mensch auch nur einen Ton gesagt?

Ein mit der Fassung ringender
Detlef B.

BTW: Wo sollen demnächst Sharia-Steinigungen stattfinden? Mit der heutigen Demo haben wir ab sofort alle Grundrechte zur Verhandlungssache gemacht. Das ist der Sündenfall, von dem Herr Merkel spricht. Wenn also morgen ein Mufti meint, eine Ehebrecherin steinigen zu müssen, sollten wir nicht wagen, das für rechtswidrig zu halten. Seit heute demonstrieren dann in Berlin hunderte von Menschen für Religionsfreiheit.

Wir dürfen uns nicht wundern, wenn ab morgen steinigende und beschneidende Horden durch Berlin marodieren wie weiland Tillly und Pappenheim durch Magdeburg. Denn die deutsche Justiz hat heute ihre Staatsgewalt aus der Hand gegeben - wie die Legislative und die Exekutive auch. Es sind keine Steinigungen, die wir dann haben werden, es sind Demonstrationen für Religionsfreiheit.

Eltern, die ihre Kinder beschneiden dürfen, dürfen sie auch steinigen, sie dürfen sie töten. Wo ist die Grenze?
(In der Tat töten sie ihre Kinder vielleicht mit Wahrscheinlichkeit nahe Null, aber die billigende Inkaufnahme, juristisch: der bedingte Vorsatz zur Tötung, ist da.)

Siehe auch:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article109113576/Juden-und-Muslime-gehen-gemeinsam-auf-die-Strasse.html
http://www.welt.de/newsticker/news3/article109112154/Hunderte-Demonstranten-fordern-Rechtssicherheit-fuer-Beschneidung.html
http://www.morgenpost.de/politik/inland/article109111033/Wie-Juden-das-Leben-in-Deutschland-empfinden.html
http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-19535090#sa-ns_mchannel=rss&ns_source=PublicRSS20-sa
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13971
http://www.haolam.de/index.php?site=artikeldetail&id=10358
http://www.tabletmag.com/jewish-arts-and-culture/111393/the-crown-jew
http://www.stern.de/panorama/demonstration-fuer-religionsfreiheit-juden-und-muslime-protestieren-gegen-beschneidungsverbot-1891877.html#utm_source=standard&utm_medium=rss-feed&utm_campaign=alle
http://www.focus.de/politik/deutschland/zentralrat-praesident-zu-beschneidungen-juden-als-kinderquaeler-fuer-graumann-unertraeglich_aid_815934.html
http://www.ksta.de/politik/juden—muslime—christen-gemeinsame-demo-fuer-religionsfreiheit,15187246,17195182.html

 

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