Vom Ableben der Amy Winehouse erfuhr ich nebenbei beim Securitycheck auf einem Flughafen.
Die Nachricht machte mich augenblicklich schrecklich traurig, und ich konnte mir zunächst gar nicht erklären, warum. Sie war mir nicht sympathisch, ihre Musik konnte ich auch nicht leiden, und als Stilikone kam sie für mich nicht in Frage.
Vielleicht, weil ich im Gegensatz zu vielen anderen der Überzeugung bin, dass dieser Tod eben gerade nicht unvermeidlich war.
Ein internationaler Star ist schließlich nicht allein auf der Welt. Da gibt es einen Riesenstab von Mitarbeitern - vom Management und besonders Freunden und Familie ganz zu schweigen.
Spätestens, nachdem Winehouse ihre Tournee abbrechen musste, weil sie nicht einmal mehr gerade auf der Bühne stehen konnte, hätten bei allen Betroffenen die Alarmglocken schrillen müssen. Man hätte sie augenblicklich in eine therapeutische Einrichtung bringen können. Stattdessen starb sie an dem letzten Ort, wo sie hätte sein dürfen: Allein zuhause. Die eigene Mutter hat sie angeblich noch am Tag vor ihrem Tod gesehen und feststellen dürfen, dass Töchterlein total neben der Spur war. Das wars dann aber auch schon.
Wenn man einen sechzigjährigen Gewohnheitstrinker aufgibt, nachdem er jahrzehntelang das Familienleben, die Nerven, Gefühle und Finanzen seiner Umgebung ruiniert hat:
Meinetwegen. Aber eine begabte junge Frau von siebenundzwanzig?
Ich bin weiß Gott keine Sozialromantikerin. Auch ich finde Suchtkranke wie Alkoholiker und Drogenabhängige abstoßend und, im Gegensatz zu Psychotikern, eben auch nicht unschuldig an ihrem Zustand. Von erfahrenen Sozialarbeitern weiß ich, dass keine Arbeit so aufreibend, entnervend und undankbar ist wie die mit suchtkranken Klienten. Sie wollen für gewöhnlich auch nicht therapiert werden, so wie Winehouse.
Dennoch hilft es alles nichts. Es sind nun einmal kranke Menschen.
Ich muss zugeben, dass ich nicht weiß, was das englische Medizinrecht in diesem Falle hergibt.
In Deutschland ist es so, dass Suchtpatienten in diesem Zustand auch zwangstherapiert werden können, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Das ist sinnvoll, denn ab diesem Stadium der Erkrankung kann der Patient den Ernst seiner Lage nicht mehr selbst einschätzen. Amy Winehouse war seit langem in diesem Zustand. Deshalb ist sie jetzt tot.
Wie widerwärtig ist es obendrein, mit welcher Schadenfreude die Tragödie dieser Künstlerin seit Jahren in sämtlichen Medien durchgehechelt wurde.
Es ist immer hart einzusehen, dass man für vieles im Leben schon zu alt ist. Fürs Rad schlagen zum Beispiel. Wenn ich heute noch mal freihändig in den Spagat rutschen wollte wie in der guten alten Zeit, bräuchte ich eine Notoperation und anschließend sechs Wochen Reha. Auch kann ich keine Miniröcke mehr tragen, die knapp unterm Hintern enden, oder mir die Nächte auf der Reeperbahn im Beisein sturzbetrunkener Abiturienten um die Ohren schlagen.
Aber ich bin verdammt glücklich darüber, dass ich schon zu alt bin, um zu dieser Generation von emotional Derangierten zu gehören, für die der Verfall einer jungen Frau bloße Unterhaltung ist; ein Phänomen, dass parallel zu dem ritualisierten Betroffenheitsgetue, dass man heute vermutlich schon in der Grundschule lernt, besonders abstoßend ist. Ich war aber auch schon 1994 zu alt für die geschmacklosen Witze über die Hirnmasse in der Garage Kurt Cobains.