Gastautor / 09.03.2012 / 08:14 / 0 / Seite ausdrucken

Das System Putin - Teil 2

Filipp Piatov

Wowa ist nun ein alter Hase im großen, ganz großen Geschäft. Ein Hase, der seine Jäger nicht nur abgehängt. Er hat sie gegessen. Und das sieht man Wowa natürlich an; das großzügige Lächeln, der entspannte Gang, die häufigen Einblicke in prahlerische Hobbies.

Vergleichen Sie einfach selbst. Hier ein Bild des alten Wowa, am Anfang seiner Präsidentschaft:

http://www.20min.ch/diashow/32014/putin1-6b9e86a5f61bd477e79f9885e16bb01f.JPG

und hier ein Aktuelles:

http://i.telegraph.co.uk/multimedia/archive/01749/putin_1749220c.jpg

Ganz abgesehen vom diktatorischen Größenwahn hat unser Wowa viele Gründe für seinen politischen Lebenswandel. In der ersten Zeit seiner Präsidentenlaufbahn ging es für ihn darum, das Fundament für die Zukunft zu schaffen, welches ihn sicher oder beinahe unantastbar tragen würde.

Knappe zehn Jahre nach dem Zerfall der UdSSR befand sich Russland immer noch ein einer gesellschaftlichen und politischen Instabilität, was die staatliche Autorität stark in Frage stellte. Mächtige Wirtschaftsbosse, gedeckt von Mafia und korrupter Politik regelten wirtschaftliche Fragen unter sich, schufen Konzerne und kontrollieren die Medien.

Zu den wichtigsten Personen dieser Art zählen Boris Berezovski, Michail Chodorkovski und Roman Abramowitsch. Wie der Zufall es will, geben diese drei Männer einen wunderbaren Einblick in die Möglichkeiten der Oligarchen vor und nach Wowas Wahl zum Präsidenten.

Ich beginne mit Berezovski als Vertreter aller grauer Eminenzen auf dieser Welt. Er stieg, wie alle anderen, nach dem Zerfall der Sowjetunion schnell zu einem der mächtigsten Männer Russlands auf, erwarb Geschäftsanteile aller möglichen Unternehmen und eignete sich einen beträchtlichen Teil der russischen Medienwelt an. Selbstverständlich ging nichts davon mit rechten Dingen zu.

Wie auch, wenn einen Kuchen gab,  jedoch kein Messer und erst Recht niemanden, der hätte schneiden können? Man nahm sich, was man nehmen konnte und häufte Reichtümer absurder Größenverhältnisse an, ohne etwas wirklich aufgebaut zu haben, so wie man das von einigen der hiesigen Milliardäre behaupten kann. In Russland ging es um Bekanntschaften und Schnelligkeit. Natürlich kann man diesen Männern vieles anlasten, darf aber nicht um die Anarchie vergessen, die ehrlichem Wettbewerb keinen Raum lies.

Berezovski stand hinter Jelzin und beschäftigte sich Ende der Neunziger mit dessen Nachfolge. Ziel war es, einen leicht manipulativen, eigentlich nicht für das Amt des Präsidenten geeigneten, Kandidaten zu finden, dessen Schwäche Berezovski weiterhin erlauben würde, seine Geschäfte nach den eigenen Regeln zu führen.

Wer schien besser für diesen Posten geeignet zu sein, als unser alter, treuer Freund Wowa, der wohlerzogen und gut ausgebildet immer höher in der Politik aufstieg, ohne dass irgendjemand ihn bemerkte. So wurde Wowa zum Kandidaten für das Amt des Präsidenten und gewann die entsprechenden Wahlen.

Kurze Zeit später fand das letzte Treffen Berezovskis mit unserem Wowa statt.

Grund für die dringende Besprechung war der Untergang des U-Boots Kursk, dessen Mannschaft mehrere Tage etwa hundert Meter unter Wasser auf Hilfe wartete, während die unfähigen russischen Behörden alle ausländischen Hilfsangebote anwiesen und so eine klare Mitschuld am Tod der Soldaten und Offiziere der Kurst tragen.

Der russische Fernsehkanal ‚ORT‘ übte scharfe Kritik am Verhalten des jungen Präsidenten während der Kursk-Tragödie. Dieser sah nämlich keinen Grund, seinen Urlaub abzubrechen, um sich der Bergung der Besatzung zu widmen und zog deshalb den Zorn der Bevölkerung auf sich.

Berezovski, dem der Sender gehörte, wurde somit zum direkten Ansprechpartner des Präsidenten. Er wurde in den Kreml gerufen, wo Putin die über ihn verbreiteten Informationen als Lügen bezeichnete, aufgebrachte Mütter ‚Prostituierte‘ nannte und der gesamten Kampagne unterstellte, seine weißte Weste zu beschmutzen. Um das nicht wieder vorkommen zu lassen, forderte er Berezovski dazu auf, seine Anteile an ORT zu verkaufen und zwar an keinen geringeren als sich selbst. Berezovski weigerte sich, dies zu tun, war ORT doch schon damals der beliebteste Sender mit dem höchsten Einfluss auf die Bevölkerung. So gingen die beiden mächtigen Männer auseinander und sollten sich bis heute nicht wieder begegnen.

Zuvor hatte man Berezovski bereits informiert, dass es im Falle einer Weigerung zu seiner Inhaftierung kommen würde und die Gefängnisse um einen Milliardär reicher würden. Sofort nach dem Treffen im Kreml verließ Berezovski das Land und siedelte nach London über, wo er 2003 politisches Exil gewährt bekam. Kurz danach wurden mehrere Haftbefehle gegen ihn erlassen, bis heute fordert man seine Auslieferung.

Hier kommt Roman Abramowitsch ins Spiel, der in der westlichen Welt mit dem Kauf des Fußballclubs FC Chelsea für Aufruhr sorgte.

Abramowitsch war in den Neunzigern ebenfalls zu einem der reichsten Männer Russlands aufgestiegen und machte sich auch in den Hinterzimmern der Politik einen Namen, wo er schon vor Putins Prasidentschaftskandidatur als dessen Vertrauter bekannt war.

Anscheinend lag Abramowitsch viel an seinem Leben sowie an dessen Standard, weshalb er nach den ersten Verhaftungen von Milliardären seine Anteile an strategisch wichtigen Firmen an den Staat verkaufte (Beispiel: Aeroflot), der ihm im Gegenzug – sozusagen als Belohnung für die politische Zurückhaltung – in Frieden lies. So wurde Abramowitsch zu dem offiziellen Anführer der Liste der reichsten Männer Russlands, zum Feindbild der Bevölkerung und zu einem der wichtigsten Sponsoren Putins, dessen Berater und Vertrauter er zuvor gewesen war.

Einige Jahre nach Berezovskis Flucht aus Russland reise Abramowitsch im Auftrag unseres Freundes Wowa nach London und verlangte die Aktienanteile am Fernsehsender ORT; im Gegenzug versprach er die Befreiung des inhaftierten Nikolai Glushkov, eines engen Freundes von Berezovski. Berezovski nahm den Deal an, verkaufte die Aktien für ein Füftel ihers Werts, sein Freund ging im Knast.

Nun kommen wir zum interessantesten Fall, dem Fall des Michail Chodorkowski, der sich bereits Ende der Achtziger durch sein Engagement bei der kommunistischen Jugend eine begünstigte Stellung erarbeitet hatte und zu den ersten gehörte, der das Experiment Kapitalismus wagen durfte.

Wie auch die zuvor genannten Oligarchen betätigte er sich neben der Wirtschaft aktiv in der Politik. Zuerst unterstützte er Jelzin, wie man es in den Neunzigern eben machte, wählte am Ende des Jahrzehnts jedoch einen anderen Weg und finanzierte diverse Oppositionsparteien, die gegen unseren Wowa antraten. Diesem war er sowieso ein Dorn im Auge.

Denn Chodorkowski hatte dummerweise Ideale, die sich stark von den wirtschaftspolitischen Vorstellungen Putins unterschieden. Innerhalb weniger Jahre modernisierte Chodorkowski den riesigen Energiekonzern Jukos, in dem er mit westlichen Mitteln die alten, russischen Probleme beseitigte: Intransparenz, Korruption, Ineffizienz.

Mehr noch, er warb öffentlich für diese Werte, kritisierte die Regierung und warf ihr alles vor, was man ihr nicht vorwerfen durfte, setzte sich für freies Unternehmertum als Grundbedingung von Wohlstand ein und avancierte so zum Hoffnungsträger für ein liberales, wirtschaftlich starkes Russland.

Damit spielte er jedoch nicht nach den Regeln Wowas, der mehr als nur Antipathie gegenüber Chodorkowski empfand und beschloss, diesem pro-amerikanischen Liberalen einen Strich durch die Rechnung zu machen und gleichzeitig ein Exempel an ihm zu statuieren.

Als wäre Chodorkowski nicht der vermögendste Mann des Landes, sondern der letzte Straßenpenner, wurde er wegen Steuererziehung angeklagt, gewürzt mit Mordvorwürfen, und wanderte ins Gefängnis, wo er in regelmäßigen Abständen – trotz internationalen Protesten – zu weiteren Strafen verurteilt wird.

Michail Chodorkowski befindet sich seit 2003 in Haft. 2011 wurde seine Haftzeit bis 2016 ausgeweitet. Doch solange unser Wowa an der Spitze Russlands steht, steht es schlecht um Chodorkowski, denn der Fall ist mehr als nur politisch motiviert. Chodorkowski hat es geschafft, Putin persönlich zu treffen, in dem er ihn – in einer Rede – zu seinem Premierminister degradierte, sich selbst sah er als Präsidenten.

Immer noch finanziert Chodorkowski wohltätige Projekte, das Nenneswerteste ist ein Internat für Waisenkinder, deren Eltern als Feuerwehrleute oder Polizisten starben. Sie erhalten eine hervorragende Bildung und Erziehung und werden nach Chodorkowskis westlicher Lebensphilosophie für die Zukunft ausgebildet.

Als russischer Milliardär hat man nur bestimmte Freiheiten. Entweder ist man Wowas Freund, dann lässt sich alles regeln. Oder man ist Wowas Feind, dann ist man tot, inhaftiert oder im Exil.

Wowa scheint sich nicht verändert zu haben. KGB ist eben KGB.

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