Peter Grimm / 15.05.2017 / 11:28 / Foto: Tim Maxeiner / 18 / Seite ausdrucken

Zurück aus der Hundertprozent-Welt

Wer heutzutage einen Wahlausgang ein klein wenig pointiert kommentieren möchte, hat es schwer. Die politischen Akteure sind selbst schon am Wahlabend um so viel Realsatire bemüht, das lässt sich kaum überbieten. Früher haben alle artig ihren Wählern gedankt und wer verloren hatte, zeigte ein zerknirschtes Gesicht und versuchte zu erklären, das Signal der Wähler verstanden zu haben, um danach die Ergebnisse noch zu einem kleinen Erfolg umzuinterpretieren.

Doch jetzt geht es ja um Hoffnungsträger, die es kürzlich noch mit Heiligenschein auf einen Spiegel-Titel geschafft hatten. Ich will hier nicht auch noch das in den letzten Stunden schon arg abgenutzte Bonmot bemühen, wonach der berühmte Schulz-Zug nun seine Kraft verloren hätte. Aber der Auftritt des SPD-Vorsitzenden, Kanzlerkandidaten und Kurzzeit-Heilsbringers Martin Schulz am Wahlabend im Willy-Brandt-Haus verdient durchaus eine Würdigung. Wenn einem schon von den Realsatirikern die Pointen gestohlen werden, dann wollen wir sie wenigstens angemessen zitieren.

Bemerkenswert war schon das Bild. Da steht der Vorsitzende eingerahmt von seinen Genossen Ralf Stegner zur Rechten und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller zur Linken und alle drei schauen in die Kamera, als wollten sie den Wettbewerb im Mundwinkel-nach-unten-ziehen gewinnen. Gut, die Mundwinkelstellung war bei den Ergebnissen durchaus angemessen. Doch dann erklärte Genosse Schulz:

Es ist ein Tag, der sicher dazu beitragen wird, dass wir nachdenken müssen, was wir hier in Berlin ändern müssen. Wir werden nachdenken müssen, was haben wir bisher erreicht und wir müssen darüber nachdenken, was müssen wir zulegen. Wir haben 17000 neue Mitglieder seit Januar. Wir haben eine ganze Menge Menschen davon überzeugt, das zeigen auch steigende Wahlbeteiligungen, dass es sich wieder lohnt, in der Politik mitzumachen. Und es geht um viel, es geht um viel, denn ab heute geht es auch darum, dass wir in die Auseinandersetzung um die Bundestagswahl einsteigen, die im September stattfindet.

Warum hat sich keiner auf die Niederlage vorbereitet?

Er hätte den Erfolgen noch sein Hundertprozentergebnis bei der Wahl zum Parteivorsitzenden hinzufügen können, es nützt an einem Wahltag ebenso wenig, wie ein paar Tausend neu verteilte Parteibücher. Immerhin ist es ja gut, zu erfahren, dass der Genosse Schulz jetzt mit dem Nachdenken anfangen will. Nein, jetzt zu fragen, warum er das nicht schon längst getan hat, wäre zu billig. Man darf schließlich nicht vergessen, dass er nicht mehr über den üppig ausgestatteten und ebenso großzügig besoldeten Mitarbeiterstab verfügt, an den er sich als EU-Parlamentspräsident vielleicht ein wenig gewöhnt hat. In der SPD hat ihm offenbar niemand den Hinweis gegeben, dass er sich auf den Fall der Niederlage schon einmal vorbereiten und ein paar präsentablere Sätze hätte formulieren können.

Dann hätte er sich vielleicht auch nicht die gestiegene Wahlbeteiligung zu Gute gerechnet, denn die trug ja nun wahrlich nicht zu einem besseren SPD-Ergebnis bei. Genosse Schulz hat sich offenbar darauf verlassen, dass seine Partei in seinem Heimatland irgendwie alternativlos ist. Noch eine Woche zuvor, bei der SPD-Niederlage in Schleswig-Holstein twitterte er: „Für uns ein trauriger Tag, keine Frage. Aber die SPD steckt so etwas weg.“ Danach sah der Auftritt am NRW-Wahlsonntag wahrlich nicht mehr aus.

Immerhin, im Gegensatz zu Schleswig-Holstein war die Sündenbocksuche schnell abgeschlossen. Hannelore Kraft nahm alle Verantwortung auf sich und trat von allen Ämtern zurück. Solches steht im Norden noch bevor. Zwar haben die Genossen auch hier den amtierenden Ministerpräsidenten Albig zum Sündenbock auserkoren, während der Landesvorsitzende Ralf Stegner bleiben soll, doch so ganz scheint die Sündenbock-Pateidisziplin nicht zu funktionieren. Während in Kiel künftige Regierungskonstellationen sondiert werden, murren die ersten Genossen vernehmlich und fordern, der Genosse Stegner möge die Kraft finden, der Genossin Kraft zu folgen.

"Ich sage, was alle denken"

Der Vorstand des SPD-Kreisverbands Nordfriesland hat am Wochenende einstimmig beschlossen, Stegners Rücktritt vom Parteivorsitz zu fordern: „Herr Stegner muss die Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis ziehen und zurücktreten“, sagte der nordfriesische SPD-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Matthias Ilgen dem sh:z. Zudem müsse Ministerpräsident Torsten Albig seinen Rückzug erklären. „Nach der dramatischen Niederlage ist beides notwendig, damit wir zu einem glaubhaften Neuanfang kommen können“, sagte Ilgen und zeigte sich überzeugt, dass seine Meinung von der großen Mehrheit der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten geteilt wird: „Ich bin derjenige, der sagt, was alle denken“.

Doch Genosse Stegner denkt bestimmt ebenso wenig an Rückzug, wie der Genosse Schulz. Auch wenn sie aus der Hundertprozentwelt ihrer Vorsitzendenwahlen wieder in der rauen Wirklichkeit angekommen sind, so verstehen sie nicht, wieso sie die Wähler nicht mehr erreichen. Also machen sie konsequent weiter wie bisher. Mit solchen Spitzenkräften wird die SPD dafür sorgen, dass Angela Merkels nächste Amtszeit gesichert ist. In NRW hat sie es gezeigt. Selbst mit einem so farblosen und kaum inspirierenden Kandidaten wie Armin Laschet an der Spitze konnte die CDU stärkste Kraft werden. Wer sich so sehr auf die Schwäche der Anderen verlassen kann, braucht selbst auch nur mäßig überzeugendes Personal an der Spitze. Für die künftige Regierungsqualität sind das wahrlich keine rosigen Aussichten.

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Foto: Tim Maxeiner

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Lothar Hannappel / 15.05.2017

Stegner ist in der SPD in guter Gesellschaft. Wie Maas und Gabriel zeigen, können dort auch Wahlverlierer immer Karriere machen.

Andreas Hartig-Tauber / 15.05.2017

Vor allem inhaltlich,  neben seiner farblosen Geländegängigkeit, ist Laschet ein Garant dafür, dass sich rechts von der Union eine Alternative verfestigt…

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