Chaim Noll / 09.11.2023 / 06:00 / Foto: Achgut.com / 127 / Seite ausdrucken

Zum 9. November: Brüllende Barbaren

Deutsche Politiker werden heute ihre Gedenkreden halten, darüber sprechen, dass sie die Juden in Deutschland schützen und die Werte der Demokratie verteidigen. Das gilt dann ein paar Feierstunden lang, doch im grauen Alltag überlässt man die Straße wie damals den brüllenden Barbaren.

In meiner Kindheit war noch viel von den aufregenden SA-Aufmärschen die Rede, mit denen die Nationalsozialisten über Jahre ihr Kommen angekündigt hatten, ihren allmählichen Aufstieg zur Macht. Tausende junge Männer mit starken Stimmen waren durch Berlin oder andere Städte marschiert, sie zeigten geballte körperliche Kraft, machtvolle Masse, eindrucksvolle Entschlossenheit. Zur Zeit meiner Kindheit war es erst zwei, drei Jahrzehnte her und gut in der allgemeinen Erinnerung. Viele Ältere hatten es noch miterlebt. Was sie sagten, klang nicht immer ganz aufrichtig, manchmal war nicht klar, ob sie es nicht immer noch heimlich bewunderten.

Das Wort „Nationalsozialisten“ wurde damals möglichst vermieden, man sprach verlogen von „Faschismus“ (wie es die deutsche Linke heute noch tut), um den Umstand zu vertuschen, dass es sich bei den Nazis im Kern um eine sozialistische Bewegung handelte, getragen von Sozialneid, Gleichmacherei, Hass auf alles Besondere. Bestimmend war die Gier nach Umverteilung und Enteignung. Die Nazis lockten die deutsche Jugend in den Krieg mit Versprechungen von Land im Osten. Sie enteigneten und plünderten die deutschen Juden und verteilten die Beute unter sich. Hinter den großen Parolen verbarg sich Handgreifliches, Materielles. Heute ist Deutschland selbst die Beute, ein reiches, schwaches Land, in dem viel zu holen ist.

Nun marschieren sie wieder, Kolonnen junger Männer bewegen sich durch deutsche Innenstädte, brüllen ihre Hassparolen und äußern ihre Forderungen. Es sind andere junge Männer als damals, andere Stimmen schreien die alten Parolen in die Welt, zwischen den Schlägertrupps von damals und heute liegen rund hundert Jahre. Erschreckend ist jedoch, wie wenig sich seither geändert hat. Nie wieder!, hieß es über Jahrzehnte. Hat Deutschland, wie in tausend Reden beteuert wird, aus seiner Vergangenheit gelernt? Offensichtlich nicht. Wenn doch wieder brüllende Horden aufmarschieren dürfen und es für Juden und kritische Intellektuelle, für Homosexuelle und leicht bekleidete Mädchen, für liberale Muslime, für jede Art Abweichende, Auffällige und Andersdenkende in Deutschland erneut gefährlich wird.

Da wir keine Rassisten sind, hat die Frage, ob es sich bei den marschierenden, Hassparolen brüllenden, mit Gewalt drohenden jungen Männern um Türken, Araber oder Deutsche handelt, nur geringe Bedeutung. Der andere Ton der Haut, das Überwiegen von schwarzen Haaren statt, wie damals, blonden, die andere Art von Musik und Aufmachung kann uns nicht vom Wesentlichen ablenken. Gewiss, es gibt Unterschiede zwischen den Marschkolonnen von damals und denen von heute, aber einige wesentliche, erschreckend ähnliche Merkmale haben sie gemeinsam: den Judenhass, die Aversion gegen die westliche Demokratie, die Forderung nach einem totalitären Staat, heute Kalifat genannt, damals „Tausendjähriges Reich“. In jedem Fall ein Staat für starke Männer, in dem Frauen wieder in Küche und Kinderzimmer verbannt, Intellektuelle zum Schweigen gebracht, Homosexuelle umerzogen, junge Mädchen züchtig bekleidet, Kritiker mundtot gemacht, Juden ausgetrieben oder umgebracht werden sollen.

Die Taubheit des Westens

Das sind starke Gemeinsamkeiten zwischen den Hassaufmärschen damals und heute, und die Frage, ob die Fahnen braun oder rot-grün, die Inschriften in deutscher Fraktur oder arabischen Schriftzeichen gehalten sind, ist dann vergleichsweise unerheblich. Der Vorgang bleibt verstörend, bis ins Mark erschreckend. Und – wie damals – geschieht nichts dagegen, lässt man die Brüller gewähren, das Unheil seinen Lauf nehmen. Neuerdings, unter dem Schock der von der Hamas verübten Judenmorde, werden schöne Reden gehalten wie letzte Woche von Robert Habeck, dem deutschen Wirtschaftsminister. Nach langem Zögern wurden endlich die Hamas und der Hetzverein Samidoun verboten, aber die deutsche Innenministerin Faeser, eine ausgepichte Juristin, sorgte dafür, dass dieses Verbot wirkungslos bleibt, indem sie „vergaß“, es den Länderregierungen zustellen zu lassen. (Nun weiß man wenigstens, wozu diese sonst unfähige Frau, die von den Wählern in Hessen glatt verworfen wurde, immer noch im Amt gehalten wird.) Denn in Wahrheit geschieht: nichts.

Und nun naht der neunte November. Der Jahrestag des großen Judenpogroms der damaligen brüllenden Horden. Ich habe mir vorgenommen, an diesem Tag keine deutschen Online-Zeitungen zu lesen, um mir die Flut heuchlerischer Reden zu ersparen, gehalten von deutschen Politikern, die ihr Land eiskalt dem nächsten Unheil überlassen. Schon vor Jahren habe ich die deutschen Juden dazu aufgerufen, diesen beschämenden Feierstunden fernzubleiben. Die Hamas hat dem Westen den Krieg erklärt, und wir haben am 7. Oktober in Israel gesehen, wozu ihre „Gotteskrieger“ fähig sind. Ihre Anhänger ziehen grölend durch Berlin, Essen, Hamburg, durch Paris und London, doch der Westen nimmt ihre Kriegserklärung nicht an. Er stellt sich taub. Seit Jahrzehnten. 

Die Wenigen, die sich mit Mahnungen und Warnungen hervorgewagt haben – etwa hier, auf der Achse des Guten – wurden als „islamophob“ oder „rassistisch“ abgetan, als „extrem“ oder „rechtspopulistisch“. Die Diffamierung gab den Vorwand, die unangenehme Wahrheit nicht hören und lesen zu müssen. Inzwischen beginnt man in Deutschland – wie immer reichlich spät – zu erwachen. Der Triumph der neuen Sturmkolonnen auf deutschen Straßen verdankt sich vor allem Deutschlands Schwäche. Einer desorientierten, verschüchterten Polizei, einer opportunistischen Justiz und zynischen, feigen Politikern, denen das Gemeinwohl, das Schicksal ihrer Bevölkerung gleichgültig ist, solange sie sich ihre Diäten erhöhen können. 

Nicht ein einziger Schreier ist bisher für den immer wieder zu hörenden offenen Aufruf zum Judenmord („Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“) in Deutschland rechtskräftig verurteilt worden, das wagt offenbar kein deutscher Richter mehr, und kaum ein deutscher Politiker wagt es zu fordern. Sie werden wunderbare Reden halten am 9. November über die Notwendigkeit, die Juden in Deutschland zu schützen und die Werte der Demokratie hochzuhalten, ein paar Feierstunden lang wird die Stimmung gehoben und zuversichtlich sein, und schon der nächste Tag wird zeigen: Die Reden sind gute Vorsätze, doch den grauen Alltag, den Schulhof, die Straße überlässt man wie damals den brüllenden Barbaren.

 

Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.

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Klaus Biskaborn / 09.11.2023

Grandioser Artikel! Vor allem die Parallele zu 1933 ist erschreckend. Eines wird jeden Tag deutlicher, dieser Staat hat sich aufgegeben und längst mit islamistischen Terroristen verbündet, zumindest ist die Angst vor diesen Horden riesengroß! Da gibt es kein Zurück, sie werden eines nicht mehr fernen Tages dieses Land beherrschen.

Stefan Ahrens / 09.11.2023

Das unverhältnismäßige staatliche Handeln in der sog. “Corona-Pandemie” und noch einmal beim sog. “Rollator-Putsch” hat mir endgültig klargemacht, dass die Bundesrepublik, wie wir sie kannten, wohl nicht mehr existiert. Das dröhnende Nichthandeln gegenüber islamistischen Terrorverstehern und linksextremen Terror-Beschwichtigern rundet das negative Bild leider nur noch ab. All die schönen Worte - “Erinnerungskultur”, “Staatsräson”, “Zivilcourage” - waren oder sind hierzulande nichts anderes als Politikfolklore.

Dr. med. Jesko Matthes / 09.11.2023

“..., hat die Frage, ob es sich bei den marschierenden, Hassparolen brüllenden, mit Gewalt drohenden jungen Männern um Türken, Araber oder Deutsche handelt, nur geringe Bedeutung.” - Das ist die ethisch und ideell richtige Formulierung. Die kulturell und soziologisch richtige Formulierung ist: Jeder nach Deutschland zugewanderte Judenhasser hat eine sehr erhebliche Bedeutung. - Seien Sie also nicht zu milde und machen auch Sie sich keinerlei Illusionen: Auch Adolf Eichmann, Alois Brunner, Johann von Leers waren “Geflüchtete”.

Birgitt Mangelsdorf / 09.11.2023

Die AfD-Fraktion Hamburg hatte gestern in der Bürgerschaft eine aktuelle Stunde zum Thema:  ““Ausschreitungen von Migrantenmobs und Hass gegen Juden, Israel und Deutschland – wann wird die Massenmigration gestoppt?“ beantragt Der „Mob“ wurde in der Ankündigung der Debatte gestrichen. Aus Sicht der Bürgerschaft verstoße der Begriff „Migrantenmob“ gegen den parlamentarischen Sprachgebrauch. Es sei eine pauschale Herabwürdigung von Migranten. So wird auch hier deutlich, dass Offensichtliches nicht benannt werden darf. Die anschließenden Redebeiträge der Politiker von CDUSPDGRÜNELINKE ergingen sich dann AfD-Bashing (“Dass so eine Partei im Parlament sitzt, ist schwer erträglich”) und Solidaritätsadressen in Richtung Israel. Von notwendigen konkreten Änderungen sprach nur die Dame von der FDP.

Karl Mistelberger / 09.11.2023

Die Deutschen sind gerne Weltmeister, auch in der Disziplin der Scheinheiligkeit.

P. Meyer / 09.11.2023

Tja, so ist das hier in Deutschland. In der Heimat der Bigottrie, Doppelmoral und Verlogenheit. Aber am deutschen Wesen soll ja bekanntlich die Welt genesen ... Das ist das “neue Normal”, das man uns am Anfang von Corona versprochen hat.

Heiko Stadler / 09.11.2023

Die ReGierung übt Appeasement-Politik. Zu sehr ist man beschäftigt mit dem Kampf gegen Rechts, gegen Querdenker, gegen Journalisten, die Missstände aufdecken, gegen Klimaleugner, gegen Wissenschaftler, die sich weigern, Narrative zu verbreiten, gegen Leugner des besten Deutschland, das es je gab. Da bleibt eben keine Zeit für die Strafverfolgung von “Juden ins Gas”-Brüller. Und außerdem sind die Judenhasser in den Innenstädten und bald auch im ganzen Land in der Mehrheit. Judenhass ist somit demokratisch. Man will kein Spielverderber sein. Man will Demokrat sein. Die demokratischen Parteien wissen das.

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