Silvia Meixner / 11.01.2011 / 10:22 / 0 / Seite ausdrucken

Wüster Service

Der Begriff „Service-Wüste“ wird umgehend abgeschafft, denn er suggeriert völlig falsche Erwartungen. In der Wüste nämlich besteht Hoffnung, dass eines Tages doch noch ein Blümchen den Widerständen trotzt, ein kleiner Kaktus eine Blüte in Richtung Sonne schickt. In der sogenannten deutschen Servicewüste tendieren die Anzeichen für Besserung hingegen gegen unter Null. Drei aktuelle Beispiele. Und eines, wie es auch sein kann.

Beispiel 1: Ich habe einen neuen Herd. Der steht nicht dort, wo ich ihn haben wollte, er steht so ein bisschen schräg in Richtung Mitte der Küche. Nun wollte ich sowieso niemals eine korrekt gegen den Polarstern ausgerichtete Einbauküche (langweilig!), aber so wie jetzt habe ich es mir auch nicht vorgestellt. Es kam so: Ich orderte das Gerät bei einem Unternehmen, das das Wörtlein „Innovation“ im Firmennamen trägt. Das machte Hoffnung. Da ich ahnte, dass man dort, wo er stehen sollte, ein längeres Kabel benötigen würde, fragte ich den Fachverkäufer, in welchen Längen es die gibt. „Nur zweieinhalb Meter“, beschied er mir. Das erschien mir etwas kurz und ich fragte, ob es auch längere gebe. Seine Antwort, ich erinnere mich deutlich, war „Nein“.

Dass die Fahrer unfreundlich, angeblich wegen einer Autopanne massiv unpünktlich und unverschämt waren: geschenkt. Das Kabel war natürlich zu kurz. Als ich einen Beschwerdebrief an die beiden Geschäftsführer des Fachunternehmens schrieb, kam ein Brief des Fachverkäufers zurück. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Auszug: „Es ist unser Ziel, unseren Arbeitgeber, dem Kunden, jederzeit einen einwandfreien Ablauf des Einkaufs zu gewährleisten.“ Das liest sich wie ein im Google-Verfahren übersetzter Satz aus dem Chinesischen. Weiter im Text: „INNOVA investiert mehr Mittel für die Fortbildung seiner Mitarbeiter als die Menge der Handelsunternehmen in der BRD, um den Wünschen unserer Arbeitgeber, unserer Kunden möglichst gerecht zu werden.“ Niemand hat die Absicht, seine Kunden zu veräppeln! „Im Umgang mit Ihnen konnten wir das Erlernte leider nicht zu Ihrer Befriedung umsetzen.“ Dankeschön, ich muss nicht befriedet werden. Bei der Kabellänge handele es sich um ein „Missverständnis“, sagt der Verkäufer. Ich sage: Der Mann lügt, wenn er behauptet, er hätte gesagt, es gäbe sehr wohl längere Kabel, aber er habe keine vorrätig. Ich habe nämlich extra nachgefragt, ob man ein längeres bestellen könne. Die Antwort war „Nein“.

Das passiert mir nie wieder. Das nächste Mal werde ich zum Herdkauf einen gerichtlich beeideten, befriedeten Zeugen mitnehmen. Die Krönung des Schreibens ist der Vorschlag, das Kabel „originalverpackt“ in der Filiale zurückzugeben. Dann bekomme ich den entrichteten Kaufpreis erstattet. Heissa! Wenn das kein Service ist! Wie man bei INNOVA bestimmt weiß, hat das Fachpersonal das Kabel zum einen verlegt und zum anderen die Verpackung mitgenommen. Ich habe überlegt, ob ich noch einmal zurückschreibe. Aber nur zwölf Sekunden lang. Schade um die Zeit (davon gehen wohl auch Menschen aus, die ihren Kunden solche Briefe schicken – Klappe zu, Kunde tot). Schaden: Mindestens 150 Euro für Erwerb und Verlegen des neuen Kabels plus Kabel-Erstkauf.

Fall 2: Die Bahn. Mein Fahrgastrechte-Formular ist eines von über 100.000, die derzeit bei der Deutschen Bahn zur Bearbeitung liegen. Ich rechne nicht vor Ostern mit der Überweisung meiner 17,50 Euro, die ich mir dadurch verdient habe, dass mein Weihnachtszug von Berlin nach Hamburg mehr als eine Stunde Verspätung hatte. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, wegen 17,50 Euro einen Antrag zu stellen, aber neben mir saß ein älterer, äußerst kommunikativer Herr, der Übung in so was hatte und sämtliche Passagiere vergnügt in den Modalitäten unterwies. Nett wäre gewesen, wenn der Schaffner uns ein Formular ausgehändigt und die Verspätung schriftlich bestätigt hätte, aber der Mann verwies uns ans Internet: „Geht ganz einfach, müssen Sie nur ausdrucken.“

Auf der Rückfahrt erklärte mir sein Kollege, dass Kollege eins möglicherweise gar keine Formulare mehr gehabt hatte: „Normalerweise haben wir sie kartonweise mit, aber es kann sein, dass Sie zu Weihnachten ausgegangen sind.“ Vielleicht sollte man jedem Zug einen kleinen, kunterbunten Sonderzug mit Formularen hinterherschicken. Als ich den freundlichen Schaffner nach Details des Ausfüllens fragte, riet er mir: „Machen Sie das einfach, so weit Sie kommen.“ Das ist ein Angebot! Es ist nämlich zeitraubend, im Internet die Zugnummern jener Züge herauszusuchen, die dann doch nicht gefahren sind. Wer auf bahn.de das PDF sucht, braucht Ausdauer. Spontan hätte ich es unter „Services“ vermutet, dort aber kurz nach Weihnachten nicht gefunden, aber zum Glück gibt’s ja Google. Die Bahn scheint das Problem erkannt zu haben, seit kurzem steht unter Information auf Rückgabe und Erstattung auf der Startseite. Geht doch! Kürzlich las ich, dass die Bahn am Zweiten Weihnachtsfeiertag zu nur 20,5 Prozent pünktlich war, d.h. nur jeder fünfte IC oder ICE war pünktlich. Wäre das mein Unternehmen, ich würde für solche Zahlen nicht auch noch extra PR machen.

Dass die Bahn bei all dem Ärger Humor hat, beweist sie mit ihrem neuesten Magazin. Es heißt- haha!- „mobil“. Aber das ist noch nicht alles. Auf Seite 46 die Enthüllungsgeschichte „Deutsche Bahn rüstet sich gegen Schnee und Eis“. Vermutlich als journalistisches Vorprodukt schon im vergangenen Sommer geschrieben und gedruckt. Der Text hat bestimmt zehntausende Bahnkunden, die in den vergangenen Wochen irgendwo liegengeblieben sind, aufgemuntert. Die Bahn, so lese ich, hat „neue Enteisungsanlagen beschafft“. Und Reserve-ICE gibt’s auch. Und mit den Winterdiensten wurden neue Qualitätsstandards vereinbart. Und Signale, Stellwerkstechnik und Weichen sollen „empfindlicher gegen Schnee und Eis“ werden. Wenn ich das richtig verstanden habe, in Deutschland. Angeblich. Dass die Teile empfindlich sind, haben sie ja ausgiebig bewiesen. Informativer war da der vergleichsweise eher versteckt angepriesene „Netbook-Rucksack“ aus Büffelleder (99 Euro). Eignet sich für Wanderungen durchs Land. Außerdem passt alles rein, was Experten neuerdings für eine Bahnfahrt empfehlen: Schmusedecke, Thermoskanne mit Tee, Wasser. Ich packe noch eine Landkarte, ein Buch und einen Müsliriegel dazu.

Beispiel 3: Vor ein paar Tagen in einem Berliner Kleiderladen. Zwei Kundinnen, Finninen, unterhalten sich laut. Sie freuen sich über die angebotenen Schnäppchen. Der Sicherheits-Mann, der an der Tür steht, geht erbost zur Kassierin und fragt: „Darf ich den Kunden sagen, wenn sie zu laut sind?“ Die Kassierin guckt irritiert: „Natürlich nicht. Das sind doch Kunden!“

Kein Tadel ohne Lob. Kürzlich kaufte ich in einer Normalo-Backkette zwei Brötchen. Die Verkäuferin war bezaubernd, flink und fröhlich, zu allen Kunden- das hat in Berlin Seltenheitswert. Ich sagte ihr, dass ich toll fände, wie freundlich sie sei, da antwortete sie strahlend und zugleich ernsthaft: „Wir müssen doch freundlich sein! Wir verkaufen heilige Sachen.“ Brot, eine heilige Sache. Man kann es schnell vergessen, in einer globalen Welt. Meine ungarische Großmutter machte, bevor sie einen Laib Brot anschnitt, mit dem Messer ein Kreuz auf dessen Unterseite. Jedes Mal. Ich kenne heute niemanden mehr, der das macht.

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