Argentinische Kinder sind heute vermutlich die glücklichsten der Welt: Sie haben für die Dauer des WM-Spiels gegen Südkorea schulfrei. Undenkbar bei uns. Wer in Ruhe, also ohne lästige Anrufe und noch lästigere Kollegen, Fußball gucken will, nimmt sich am besten vier Wochen lang frei. Bei uns ist nur schulfrei, wenn Naturkatastrophen den Lernwilligen die Wege abschneiden. Hochwasser, Lawinenabgänge, Schneemassen. Nicht, dass ich gegen die Schulpflicht wäre. Aber an wichtigen Tagen sollte man auch mal fünf gerade sein lassen: Es hört doch sowieso keiner zu, wenn der Lehrer über Kurvendiskussionen oder Rechtschreibregeln referiert, wenn Fußball ist. Alle denken dann nur an das eine.
An diesem wichtigen Tag für den Fußball frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn mal etwas geklappt hätte: In den 90er-Jahren plante ich mit einer Freundin, nach Argentinien auszuwandern. Wir wollten endlich Tango tanzen lernen, für wenig Geld ein feudales Leben führen und ich hatte nach einer Reise nach St. Moritz, wo Polospieler ihre Pferde einmal im Jahr im Winter über den zugefrorenen See jagen, allerbeste Kontakte in die internationale Polo-Szene. Polo-Spieler gehören (neben Golfern) zu den absolut bestaussehendsten Männern der Welt. Ich weiß auch nicht, woran das liegt, vielleicht an der vielen frischen Luft, den tollen Pferden oder den vielen Groupies.
Vielleicht sind die Argentinier auch einfach nur besser drauf. Wir malten uns jedenfalls das Leben in Südamerika auf das wunderbarste aus, ich lernte fleißig Spanisch und wir übten uns in Vorfreude, bis meine Begleit-Auswanderin eines Tages anrief und mir mitteilte, sie hätte es sich anders überlegt und ein Ticket nach Indien gekauft. Ich blieb gottergeben in Berlin.
Wäre ich ausgewandert, hätte ich heute schul- bzw. bürofrei. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Das hat auch BILD-Leser Sven W. erkannt: “Ich habe Trönitus”, klagt er in der heutigen Ausgabe. Er ist das “erste Opfer” der Vuvuzelas. Das lässt befürchten, dass ihm viele folgen werden. Vielleicht sind wir nächste Woche ja alle vorübergehend schwerhörig, taub oder trönitös. Ein Fan hat Sven W. beim Public Viewing ins Ohr getrötet. Diagnose: Tinnitus. Der Patient bekommt täglich Tabletten zur Verbesserung der Durchblutung seines Gehirns. Hypochonder wird’s freuen: Endlich eine neue Krankheit! Bild fordert ein “Tröööt-Verbot”. Ich sage: Gucken Sie niemals mit Hypochondern. Und nach der WM buche ich jetzt endlich den Flug nach Buenos Aires.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de