Wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei? Vergesst es!

Von Ahmet Refii Dener.

Wer sich heute für wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei ausspricht und dieses als ein Instrument sieht, um Erdogan in die Ecke zu treiben, hat nicht mitbekommen, wie es um die türkische Wirtschaft steht. Die türkische Wirtschaft liegt am Boden. Das Teile davon sehr gut funktionieren, weil es exportorientierte Unternehmen sind, unter anderem sehr, sehr viele mit ausländischem Kapital, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Rest richtig schlecht geht. Warum sonst bricht die Arbeitslosigkeit, bei einer auf dem Papier wieder wachsender Wirtschaft (letztes Quartal 2019 angeblich sechs Prozent Wachstum), immer weitere Rekorde? Ein Ende ist nicht in Sicht.

Erdogan ist doch hauptsächlich wegen der schlechten Wirtschaftslage in Syrien einmarschiert. Die Bevölkerung soll vom eigenen Schmerz des Überlebenskampfes abgelenkt und unter der Kriegsfahne zum Schweigen gebracht werden, damit sie nicht Mut fasst und auf die Straße geht. Nun gut, dagegen hat er noch die bewaffneten Anhänger und die Nationalisten, die auf den Moment warten, dass sie sich zeigen können. Dann ist da noch sein Polizeiapparat, der noch nie so richtig gegen das eigene Volk agieren musste. Dass, was bei den Gezi-Demos war, das wird gegen das, was noch kommen kann, fast schon in Vergessenheit geraten.

Europa, und besonders Deutschland, haben den Zeitpunkt verpasst, zu dem sie ihn hätten empfindlich treffen können. Jetzt liegt die Türkei in wirtschaftlichen und größtenteils gesellschaftlichen Scherben. Jetzt auf die Verletzten zu treten, wo doch so viele Deutschtürken in Deutschland leben, würde nur noch mehr böses Blut geben, wo doch in Deutschland die Einheimischen sich nicht einmal grün untereinander sind.

Die seit Jahr und Tag fließenden EU und sonstigen Hilfen aus Deutschland zu stoppen, sieht zwar wie ein möglicher Weg zur Sanktionierung Erdogans aus, aber es sieht eben nur so aus. Die Probleme Erdogans sind viel größer als die 3, 4, 5, 6 Milliarden Euro, die ihm aus Europa zufließen könnten. Den Betrag kann er mittlerweile aus der eigenen Privatschatulle oder der Katar-Connection stemmen. Immer höhere Steuern, wie er das gerade vorführt, tun es auch.

Wie gesagt, mit irgendwelchen Handlungen gegen ihn, kann man ihn nicht bestrafen und zur Raison bringen. Jede Handlung gegen ihn, stärkt ihn nur im Lande und verschafft ihm eine neue frische Haut für seine Opferrolle.

Oft schimpfen wir auf Frau Merkel und die Regierung, warum sie nicht härter gegen Erdogan vorgingen. Die Antwort ist einfach, denn es gibt einfach keine Mittel. Fast 7.000 Unternehmen mit deutschem Kapital gibt es in der Türkei. Es werden aber auch die Unternehmen als ‚Deutsch‘ gezählt, die von Türkeistämmigen aus Deutschland gegründet und inaktiv sind, wo lediglich der Firmenmantel existiert. Selbst wenn man von zweitausend Unternehmen mit deutschem Kapital ausgehen würde, findet man darunter das „Who is who“ beziehungsweise die „Creme de la Creme“ der deutschen Wirtschaft wieder. So kommen wir wieder an den Punkt, dass Geld die Welt regiert.

Die Opferrolle wird ihn an der Macht halten

Die deutsche Wirtschaft würde schwanken, wenn es den deutschen Unternehmen in der Türkei auf einmal, durch eine Handlung nach Art des Hauses Erdogan, schlecht gehen würde. Sowohl gesellschaftlich, wegen der vielen Türkeistämmigen in Deutschland, als auch wegen der vielen deutschen Unternehmen in der Türkei, die einen Teil der erfolgreichen Exporte deutscher Unternehmen im Heimatland ausmachen, sind der deutschen Seite die Hände gebunden. Geld regiert die Welt und da muss man vorsichtig sein mit vorschnellen Handlungen und Sanktionierungen.

Immer öfter und noch längere Zeit werden wir uns über die Handlungen des Herrn Erdogan ärgern, denn die Opferrolle wird ihn noch einige Zeit an der Macht halten. Nur mit einem Unterschied, er muss immer größere Brandherde schaffen. Die Bevölkerung ist derzeit zwar mit gemischten Gefühlen, aber doch unter der Kriegsfahne vereint. Wie sagen viele Türken im Internet: „Klar ist er ein Idiot, der uns nur Unheil bringt, aber es sind unsere Soldaten, die in Syrien kämpfen, also muss ich hinter denen stehen!“ und folglich hinter Erdogan.

Stellt euch auf andere Willkürakte ein. Solange die USA nicht auf den Knopf drücken und sagen: „Mission completed, he can go!“, wird er uns erhalten bleiben und uns um die Nase herumführen.

Auf Anhieb fallen uns Antisemitismus, Rassismus, AfD, Nazis, Ultra Linke wie Rechte ein. Dank der vielen Islamversteher in Deutschland werden die diesbezüglichen Probleme im Land von Tag zu Tag mehr. Hinzu kommen die türkischen Nationalisten, die in Deutschland besser organisiert sind als in der Türkei. Das war auch bei der PKK und Milli Görüs, wo Erdogan seine Laufbahn begann, genauso. In Deutschland kann neben dem jahrelang mühselig Erarbeiteten, auch das Böse, schön und allmählich wachsen und gedeihen. Natürlich unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes

 

Ahmet Refii Dener arbeitet als Berater mit dem Schwerpunkt Türkei. 2017 ist „ARD“, wie er sich (go2tr.de) nennt, nach Berlin gezogen. Er schreibt eine Kolumne für den Tagesspiegel und wird künftig für die Achse über die Türkei berichten.

Foto: Bundesregierung.de

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Leserpost

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Ebs Werner / 05.03.2020

Es ist schon gruselig. Wenn es in den (ideologischen) Kram passt, dann werden in Deutschland stets Symbole, Anfänge, Zeichen, Haltung gefordert. Kosten und Folgen spielen dann keine Rolle, der Zweck heiligt die Mittel. Als Beispiel sei nur die Energiewende erwähnt. Aber gegenüber kriegstreibenden Diktatoren, die lügen, betrügen und Verträge brechen, da sollen wir still schweigen und weiter zahlen? Sind wir so geschichtsvergessen, dass wir die Lehren aus Hitlers Außenpolitik und der Appeasement-politik vergessen haben? Zugegeben, ich verstehe zu wenig von Wirtschaftspolitik, um beurteilen zu können, welche Maßnahmen tatsächlich Druck aufbauen würden. Ich kenne auch keine Lösung für die Lage. Doch dieser Artikel scheint uns davon überzeugen zu wollen, dass wir dem Handeln Erdogans stumm und zahlend zusehen müssen, um ihn nicht zu stärken? Einer Logik, die von uns ein Aufstehen und Handeln gegen Rassismus, Etxremismus, Fremdenfeindlichkeit, Nazis (und natürlich den “Übernazis” der AFD) im eigenen Land fordert, aber gegenüber modernen (“gewählten”) Diktatoren mit zumindest faschistischen Anleihen (man beachte nur den “Wolfsgruß” Erdogans oder sein Menschen verachtendes Instrumentalisieren der Flüchtlinge) ein Schweigen, Wegducken und Weiterzahlen (!) als Allheilmittel preist, kann ich nicht folgen. In Deutschland gibt es zur Zeit augenscheinlich zu viel Haltung und zu wenig Hirn.

Manuela Pietsch / 05.03.2020

“Sowohl gesellschaftlich, wegen der vielen Türkeistämmigen in Deutschland, als auch wegen der vielen deutschen Unternehmen in der Türkei, die einen Teil der erfolgreichen Exporte deutscher Unternehmen im Heimatland ausmachen, sind der deutschen Seite die Hände gebunden. “ - Ich wüsste nicht, wieso uns deswegen die Hände gebunden wären, weder aus dem einen Grund, noch aus dem anderen. Gesellschaftlich? Nur, weil hier so viele türkischstämmige leben und eventuell den Aufstand proben? Ich würde sagen, das könnte die Spreu vom Weizen trennen. Gut integrierte Türken, die hier leben, werden wohl kaum Erdogan-Fans sein, einige sind ja sogar AfD-Mitglied. Und wenn der Rest Randale macht: Je nach Pass-Status ausweisen oder ab in den Knast! Erdogan mag wirtschaftlich am Boden liegen… man kann und sollte ihm jetzt aber ganz klar eine Absage erteilen, was den EU-Beitritt betrifft und sofort sämtliche “Annäherungszahlungen” oder was es da so gibt, einstellen. Des weiteren aus der Nato werfen. Dann kann man ihn auch politisch/militärisch zur Raison rufen. Das unsägliche Sozialversicherungsabkommen muss endlich aufgekündigt werden, es macht ja sowieso keinen Sinn mehr! Es dürfte auch keine privilegierte Behandlung mehr geben, als Drittland müssen dann strengere Visa-Regeln eingeführt werden und die Einwanderung (Familiennachzug) von dort muss nicht mehr erlaubt werden, zumindest nicht für Leute, die keinen deutschen Pass haben. Wir sitzen am längeren Hebel. Und den sollten wir auch endlich mal bedienen.

Jens Hofmann / 05.03.2020

Wir sollten ihm seine „Deutsch“-Türken zur Aufbauhilfe zurückschicken.

Frank Torzinski / 05.03.2020

Ach, ähnliches hören wir schon lange…. - D ist ein Einwanderungsland, es nützt nichts, sich dagegen zu wehren. - Der Islam gehört zu D, seid froh über so viel Buntheit. Nein, wer nichts tut hat verloren. Es gibt genügend Möglichkeiten gegen Erdogan. - Seine Landsleute nach Hause schicken. - Sämtliche EU Beitritsshoffnungen beenden.

Harald Hütt / 05.03.2020

@Ahmed Refii Dehner, Sehr geehrter Herr Dehner, ich nehme Bezug auf Ihren kurzen Meinungsartikel. Zitat aus Ihrem Text: Die deutsche Wirtschaft würde schwanken, wenn es den deutschen Unternehmen in der Türkei auf einmal, durch eine Handlung nach Art des Hauses Erdogan, schlecht gehen würde.” Bitte um Beweis Ihrer These. Grund meiner Skepsis in Bezug auf Ihre Aussage: ” Erst 2017 hatte das bilaterale Handelsvolumen mit 37,6 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert erreicht.” Quelle Deutschland.de/Deutsch-Türkisches Forum - in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, Berlin. Wenn wir der Türkei die finanziellen Zuwendungen sanktionieren hat sie ein Problem. Es reicht schon aus, dass die Touristenzahlen signifikant abnehmen. Was bleibt dann von der wirtschaftlichen Potenz der Türkei? Ihrem ökonomischen Verständnis nach “wackelt hier der Schwanz mit dem Hund”. Ein bisschen weniger orientalische Sichtweise und ebendiese Neigung zur Übertreibung wäre angebracht. Aber vielleicht ist das die Konnotation, die im Tagesspiegel zielgruppenimmanent ist?! Herzlich Willkommen

Holger Schönstein / 05.03.2020

Wie lange wird “ARD” denn noch für den Tagesspiegel schreiben, wenn er auch für die ACHSE schreibt? Da bin ich ja mal gespannt…..Wenn die Genossen vom Tagesspiegel das spitz kriegen…

Ruedi Tschudi / 05.03.2020

Ein einfaches Rezept: keinen Urlaub in der Türkei, dann gibt es einen Aufstand.

Dieter Weingardt / 05.03.2020

Hier nochmal mein Vorschlag mit den Griechenlandfahnen am Auto (griechisches Wort), wie beim Länderspiel, gibt‘s beim Onlineversandhändler. Aus Solidarität mit den Griechen.

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