Zur Unterstützung Irlands bürgt die Bundesrepublik für zirka zehn Milliarden Euro, für Griechenland zwanzig Milliarden. Doch auch ohne dies Verpflichtungen steckt Deutschland tief in den Miesen. Die hausgemachte Staatsverschuldung steuert auf zwei Billionen Euro zu. Umgerechnet auf jeden Bürger sind das über zwanzig Tausend Euro, die der Staat peu à peu durch Steuern eintreiben muss, um aus den roten Zahlen zu kommen.
Jeder wird dafür in Haftung genommen – auch wenn er in seinem Leben nie Schulden machte, keine Bank betrat und sein Geld unter dem Kopfkissen lagerte. Lediglich Menschen, die sich gerade um die deutsche Staatsbürgerschaft bemühen, können frei entscheiden, ob sie sich das antun wollen. Sagt denen eigentlich jemand, dass sie mit der Einbürgerungsurkunde 20 Mille Schulden aufgebrummt bekommen?
Eine originelle Sichtweise auf das Dilemma lieferte kürzlich die Hamburger Autorin Eva Ziessler. Sie vergleicht die Situation der unverschuldet zu Schuldnern gewordenen Bürger mit den Leibeigenen im Feudalismus. Das hört sich weit hergeholt an, doch die Argumente machen nachdenklich.
Im Feudalismus waren die in niedere Stände hineingeborenen Menschen lebenslang dazu verpflichtet dem Herrscher einen Teil ihrer Erzeugnisse abzugeben. Sie hatten keine Möglichkeit dieses Verhältnis zu kündigen. Der bürgerliche Rechtsstaat dagegen sollte sich dadurch auszeichnen, dass man freiwillig Verträge eingeht, etwa seine Arbeitskraft an ein Unternehmen vermietet. Nur die Handlungen des Einzelnen haben rechtliche Konsequenzen. Die Herkunft sollte keine Rolle spielen.
Nimmt der Staat aber Kredite auf, werden alle Bürger zu Schuldnern. Wer das nicht will, kann lediglich auswandern. Das hilft ihm allerdings wenig, weil ja inzwischen fast alle Staaten verschuldet sind. Ähnlich ging es den Leibeigenen, die von ihrem Fürsten nur in andere Fürstentümer flüchten konnten. Doch im Gegensatz zu unseren Vorfahren haben wir gottlob die Möglichkeit, uns eine andere Regierung zu wählen. Nur leider ist derzeit keine Partei im Angebot, der man regieren ohne Schuldenmachen zutrauen würde.
Erschienen in DIE WELT am 3.12.2010