Chaim Noll / 20.02.2023 / 06:00 / Foto: Freud / 80 / Seite ausdrucken

Wieder eine Verschwörungs-Geschichte aus Israel

Viele sogenannte Qualitätsmedien brachten dieser Tage eine Story über eine israelische Geheimfirma, die weltweit Wahlen manipuliert und Fake-News verbreitet. Vielleicht hätten sie besser vom immer neuen Aufguss einer alten Verschwörungstheorie schreiben sollen.

Seit einigen Tagen kann man im Hamburger Spiegel, im Londoner Guardian, in der Pariser Zeitung Le Monde, im Wiener Standard und anderen Qualitätsmedien die erschütternde Geschichte von einer israelischen „Geheimfirma“ lesen, die, wie es im Spiegel heißt, „weltweit Wahlen manipuliert – gegen Geld.“ Das Blatt behauptet: „Ein israelisches Unternehmen steuert Fake-News-Aktionen und hackt wohl hochrangige Politiker, um Wahlen zu beeinflussen. Der Boss? Ein Ex-Soldat mit dem Tarnnamen ‚Jorge‘.“

Erstens: Das eingeschobene, abschwächende „wohl“ (an anderer Stelle ist es ein „offenbar“) verrät, dass die Beweislage zu dünn ist, um sicher zu sein. Die kühnen Behauptungen werden trotzdem verbreitet, selbst wenn sich später erweisen sollte, dass sie substanzlos sind. Zweitens: Was ist eine „Geheimfirma“? Ein Video auf Spiegel Online präzisiert: die Firma sei nicht im Handelsregister eingetragen, nicht beim Finanzamt gemeldet, zahle keine Steuern. Also ist es keine Firma, sondern im schlimmsten Fall eine Gruppe von alten Männern, die von ihrem Tel Aviver Büro aus anderer Leute Facebook- und Telegram-Konten hacken und im Internet Inhalte verbreiten, die Spiegel, Guardian, Le Monde, Die Zeit und ähnliche Medien als „Desinformation“ einstufen. Wobei sie so tun, als ob nicht auch sie selbst bei Bedarf desinformative, sogar falsche Behauptungen verbreiten würden. Relotius – schon vergessen?   

Drittens: Fast jeder Israeli ist ein „Ex-Soldat“. Das erschreckende Attribut „Ex-Soldat“ ist für Leser in einem aufgeweichten Land wie Deutschland bestimmt, wo ein Soldat als eine Art Unmensch und die Verteidigung des eigenen Landes als ein überflüssiges, reaktionäres Ansinnen gilt. Für den Wiener Standard ist der „Ex-Soldat“ dann bereits ein käuflicher „Söldner“ und, wie dort, am 15. Februar 2023 zu lesen war, Anführer eines „Söldner-Teams“.

Die weltweit agierende Söldner-Truppe nennt sich „Team Jorge“ und besteht aus drei älteren Männern. Allerdings suggerieren mehrere Zeitungen, es handle sich um ehemalige „Geheimdienstler“. Ist die „Geheimfirma“ womöglich ein Ableger des Geheimdienstes, dem sie früher angehörten? Angeblich hätten zwei Reporter der schein-israelischen Tageszeitung HaAretz (die seit Jahren von ausländischen Anteilseignern dominiert wird) den Chef dieser Firma, einen gewissen Hanan Tal alias „Jorge“, mit einem fingierten Angebot zum Reden verlockt. Der in einem Video gezeigte bullige Mann lud die vorgeblich an einer Wahlkampf-Manipulation („in einem afrikanischen Land“) interessierten Kunden in sein geheimes Tel Aviver Büro, wo er, wie es für Geheimdienst-Leute typisch ist, den ihm bis dahin Unbekannten in aller Offenherzigkeit und Geschwätzigkeit seine Methoden bei der Manipulation von Wahlen enthüllte.

Großspurige Bekenntnisse

Man kann das glauben oder nicht. HaAretz listet mehrere afrikanische und lateinamerikanische Staaten auf, in deren Wahlkämpfen und Internet-Kampagnen sich digitale Spuren der israelischen Söldner-Truppe gefunden hätten – der Leser kann nichts davon nachprüfen, wer’s glaubt, wird selig. Als Paradestück der investigativen Beweise wird das folgende verblüffende Indiz angeführt:

„Last December, Heiner Hoffmann, a journalist with Der Spiegel, succeeded in reaching one of the recipients of the messages from the hacked accounts. He asked the person to open his phone, found the message that Jorge had sent from the hacked account and asked him to document it. This was proof that Jorge was not only demonstrating hacking; he really was hacking.“ („Im vergangenen Dezember gelang es Heiner Hoffmann, einem Journalisten des Spiegels, einen der Empfänger der Nachrichten von den gehackten Konten zu erreichen. Er bat ihn, sein Telefon zu öffnen, fand die Nachricht, die Jorge von dem gehackten Konto verschickt hatte, und bat ihn, sie zu dokumentieren. Dies war der Beweis dafür, dass Jorge das Hacken nicht nur demonstrierte, sondern wirklich hackte.“)

Und dann sind da noch die großspurigen Bekenntnisse der drei alten „Söldner“ gegenüber den verdeckten Ermittlern von HaAretz: „Jorge behauptete, er und seine Mitarbeiter hätten sich in ‚33 Wahlkämpfe auf Präsidentschaftsebene‘ auf der ganzen Welt eingemischt, ‚in 27 davon erfolgreich‘.“

Diese Beweislage scheint mir zu brüchig, um daraus die Behauptung abzuleiten, eine „israelische Geheimfirma“ manipuliere Wahlkämpfe in aller Welt. Aber wenn der Mann es doch selbst gesagt hat? Dann könnte er immer noch ein Hochstapler sein oder ein Mensch mit einer ausgeprägten Phantasie. Oder es handelt sich bei „Team Jorge“ überhaupt um eine Maskerade, ein Set-up, um die Leute von HaAretz an der Nase herumzuführen. Die Geschichte funktioniert nur auf einer stillschweigend angenommenen Basis: der Gutgläubigkeit der Leser. Hinter der eigentlich dürftigen Recherche steht eine Organisation enthüllungsfreudiger Journalisten namens Forbidden Stories. Sie sorgt für die Verbreitung der Geschichte in internationalen Medien. (Dabei ist sie wenig transparent – zumindest in ihrer Selbstdarstellung im Internet –, wenn es um ihre eigenen Strukturen und Hintergründe geht.)

Bereitschaft zur Leichtgläubigkeit

Einmal in die Welt gesetzt, erreicht die Enthüllung über die „israelische Geheimfirma“ Millionen Leser, vor allem in Europa. In Le Monde kann man etwa lesen: „Diese israelischen Desinformationsspezialisten bieten ihren Kunden alle Dienstleistungen eines privaten Geheimdienstes: Hacking, das Erstellen gefälschter Dokumente, ein gigantisches Netzwerk gefälschter Konten in sozialen Medien und das Einpflanzen von Artikeln und Segmenten in die internationalen Medien. Zu seinen Kunden zählen Milliardäre, Wahlkandidaten, Unternehmen, autoritäre Regierungen und sogar Kriminelle.“

Als zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die Protokolle der Weisen von Zion in Umlauf kamen, stießen sie im aufgeklärten, industrialisierten Europa auf großes Interesse. Heute muss die Leichtgläubigkeit verwundern, mit der Millionen Menschen, darunter gekrönte Häupter, Kleriker, Gelehrte, Professoren und hohe Regierungsbeamte den Betrug geglaubt haben. Besser gesagt: sie müsste verwundern, hätten wir nicht seither noch schrecklichere Beispiele von Massenhysterie erlebt. Die Protokolle der Weisen von Zion wurden bereits 1921 von Wissenschaftlern als Fälschung entlarvt – damals journalistisch unterstützt von der Londoner Times – und wären nichts als ein Dokument des Absurden, enthielten sie nicht den Keim zur antisemitischen Paranoia des zwanzigsten Jahrhunderts, die schließlich zum Genozid an den europäischen Juden führte.

Nach diesem Schock ist das judenfeindliche Elaborat im heutigen Europa weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt. Das heißt nicht, es wäre vergessen und wirkungslos. Denn in den islamischen Ländern erlebt es in unseren Tagen eine ungeahnte Renaissance. Bereits seit 1938 fanden die Protokolle auf Konferenzen der ägyptischen „Muslimbruderschaft“ Verbreitung. Auch Michel Aflaq, dem Gründer der arabischen Baath-Partei, die seit Jahrzehnten mit blutigem Terror in Syrien regiert, waren sie vertraut. Die türkische Milli-Görüs-Bewegung, zu Beginn der 70er Jahre vom früheren Premierminister Erbakan gegründet – dem politischen Ziehvater des heutigen türkischen Premiers Erdogan –, beruft sich auf Stereotype, die das antisemitische Fabrikat verbreitet. „Die Zionisten“, so Erbakan in seinem Buch Die gerechte Ordnung, „beuten mittels der kapitalistischen Zinswirtschaft die gesamte Menschheit aus.“

In einem am 1. Juli 2007 im türkischen Fernsehen ausgestrahlten Interview erklärte er: „Es war der Zionismus, der die Sekte des Protestantismus geschaffen hat. Das ist so, weil der Papst das Konzept des Zinses ablehnt (...), weshalb die Juden beschlossen, die christliche Religion zu spalten und den Protestantismus zu gründen.“ Oder: „Die Industrieentwicklung Chinas und Indiens wird mit jüdischem Kapital betrieben. Japans auch. Nur der Islam steht noch gegen sie.“ Auf ähnliche Weise hat sich die palästinensische Hamas die Ideen der fingierten Protokolle zu eigen gemacht. „Mit Hilfe ihres Geldes“, heißt es in ihrer Charta über die Juden, „haben sie sich Kontrolle über die Weltmedien verschafft, mit ihrem Geld haben sie Revolutionen in verschiedenen Ländern rund um die Welt entzündet. Sie steckten hinter der Französischen Revolution und hinter der Kommunistischen (...) Mit Geld haben sie überall in der Welt geheime Organisationen gebildet, um die Gesellschaft zu zerstören (...) Wo immer es Krieg in der Welt gibt, sind sie es, die im Hintergrund die Fäden ziehen.“

Heute gründen sie „Geheimfirmen“, um die Demokratie zu zerstören, mit Hilfe gefälschter Wahlen und Desinfomation. Statt auf „die Juden“ im Allgemeinen wird der Fokus der Verdächtigungen inzwischen auf Israel gerichtet, den Staat der Juden, in dessen waffenstarrendem Schutz die „geheimen Firmen“ gedeihen und ihr weltweites Unwesen treiben.

„Team Jorge könnte genauso gut nicht existieren“, heißt es in seltsamer Offenheit gegen Ende es Artikels in Le Monde, „diese Scheinfirma hat keine Website, keine Telefonzentrale und keine zugänglichen Kontaktdaten.“ Was ist es also? Ein Hirngespinst? Eine Gruppe alter Männer, deren Hobby das Hacken im Internet ist und die behaupten, damit weltweit Wahlen zu fälschen? Oder, angesichts früherer Erfindungen, ein Symbol der Unsterblichkeit des Hasses, ein sich selbst reproduzierendes Stereotyp?

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Leserpost

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K. Ludeloff / 20.02.2023

Endlich habe ich es begriffen. Die Wahlen in Berlin sind durch die Juden manipuliert worden und nicht aus Unfähigkeit der politischen Klasse des Landes; die ist jetzt rehabilitiert. Schlimm ist nur, dass es bestimmt viele Menschen gibt, die genau das glauben.

Peter Meyer / 20.02.2023

Tja, das ist jetzt die x-te Volte der „Qualitätspresse“, die einen Verschwörungstheoretiker wie mich in die Enge treibt. War doch bisher die Behauptung von Wahlfälschung - es sei denn, man behauptete das über Russland - ein „Ausdruck von Verschwörungsideologie“, „demokratiefeindlich“, „staatsdelegitimierend“, „antisemitisch“, „Trump- bzw. AfD-Lüge“ usw. Jetzt sind die Wahlfälschungen bewiesen, meine Theorie nicht länger eine Theorie, sondern Fakt, denn es berichtet ja die Qualitätspresse, flankiert von Faktencheckern. Bekomme ich jetzt eine Entschuldigung für den Dreck, der über mich ausgekübelt wurde? Oder muß ich jetzt die Seiten wechseln und behaupten „Wahlfälschung gibt es nicht“, um meiner „Ideologie“ treu zu bleiben? Man hat es als Oppositioneller nicht leicht im „Besten Deutschland aller Zeiten“…

TinaTobel / 20.02.2023

Wer macht sich die Mühe, so etwas zu inszenieren? Wer bezahlt für die Inszenierung und Verbreitung so einer Story? Geht es nicht eigentlich darum, Wahlen, Wahlkämpfe und generell politische Auseinandersetzungen im Westen zu delegimitieren? Und zwar folgendermaßen: Wenn den Auftraggebern dieser Story eine Debatte oder ein Wahlergebnis nicht passt, dann wurden Debatte und Ergebnis ganz bestimmt von diesen bösen und ungeheuer mächtigen Israelis manipuliert. Dass diesem Narrativ auch Antisemitismus gegen Israelis befeuert wird, dürfte für derartige Auftraggeber ein willkommener Kollateralnutzen sein.

Dr. Ralph Buitoni / 20.02.2023

Vorsicht Herr Noll bei der Vergabe des Gütesiegels “Verschwörungstheorie” - die werden bekanntlich alle wahr! Andererseits werden diese Infos von den bekannten großen Plattformen der Desinformationsmedien gestreut - also können wir uns entspannt zurücklehnen: definitiv Fake-News!

Torsten Hopp / 20.02.2023

Was in Israel 3 weiße Männer anzetteln schafft in D ein altes Mütterchen. Und das ganz ohne Internet.

Rudolf Dietze / 20.02.2023

Sollten sich wirklich drei alte Herren zusammen gefunden haben, um für ein paar Scheine Einfluss zu nehmen? Da gibts doch ganz andere Kaliber. Es ist ein großes Tauziehen geworden. Wieviel hat die Bundesregierung der Clintonstiftung im Wahlkampf zukommen lassen? Mit wieviel wird unsere Presselandschaft geschmiert? Was treiben die von Regierungen unterstützten NGOs? Es wundert nicht, das mehr und mehr Menschen sich an der allgemeine Koruption beteiligen, um auch ein Stück vom Kuchen zu bekommen. Jetzt schreien sie , haltet den Dieb er hat mein Messer im Rücken. Gut das wir den Juden haben, wer wäre dann sonst dran. Drecksblätter!

Torsten Wilde / 20.02.2023

Eine etwas, ähm, alternative, Sicht der Dinge findet sich unter “„Storykillers“, „Forbidden Stories“, Soros und der Spiegel” bei Herrn Röper.

Volker Kleinophorst / 20.02.2023

Dazu könnte man viel sagen. Leider nahezu alles strafbar. Gut, dass auch hier weiter alle meinen, sie belügen uns den ganzen Tag, aber beim Holocaust, da hat man uns die reine Wahrheit eingeschenkt und schenkt bis heute. Dafür bürgen schließlich CIA, KGB und jüdische Opferorganisation. Warum haben sich die Siegermächte wohl in den 2+4 Vertag schreiben lassen, dass ihr Geschichtsbild weiterhin Bestand hat. Und den “Protokolle”-Faslern ans Herz gelegt. Einfach mal lesen. Lassen wir Zion mal außen vor, dann muss der ominöse russische Geheimdienstmitarbeiter, der es ja geschrieben haben soll, ein Seher gewesen sein. Man braucht auch keine neuen Protokolle, denn alles was heute passiert, ist in der alten Anleitung zur Verschwörung, nichts anderes sind die Protokolle, schon drin und Inspiration für jeden Diktator seither, wie: “Man muss die Leute so bekloppt machen, dass sie Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden können.” Oder: “Die dummen Menschen werden erst merken, wo die Reise hingeht (Weltdiktatur), wenn es zu spät ist.” (In meinen Worten) PS.: Menschheitsverbrechen. Vielleicht befasst man sich mal mit Indien und dem britischen Kolonialismus im Detail, dann kommt die Legendenbildung an Grenzen. Nehmen wir die Politik Lyttons während der Großen Hungersnot in Indien. Die Hungersnot begann im Jahr seines Amtsantritt als Vizekönig von Britisch-Indien und forderte zwischen 6,1 Millionen und 10,3 Millionen Opfer in Südindien als Opfer.” War natürlich kein Menschheitsverbrechen. Schließlich haben die Engländer ja das Fair Play erfunden. Wenn einer sagt, schau da nicht hin, dann muss man sich fragen, wer will das und warum. Und dann genau da besonders genau hinschauen. Immer noch nichts gelernt?

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