Werden heute die Grundrechte entsorgt?

Heute, Freitag, den 6.11.2020, wird im Bundestag in erster Lesung das „Dritte Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” diskutiert. Der Bundestag will uns damit unserer Grundrechte berauben. In Artikel 7 heißt es:

„Durch Artikel 1 Nummer 16 und 17 werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13, Absatz eins) eingeschränkt.”  

So einfach geht das.

Darf der dat? Der darf dat. Dat der dat darf! Wehren sollten wir uns trotzdem. Denn nicht alles, was ein Parlament darf, ist deshalb auch richtig oder gerechtfertigt. Denn genau genommen legalisiert dieses Gesetz nur bisheriges Unrecht. Eingriffe in unsere Grundrechte bedürfen nämlich keiner Zweidrittel-Mehrheit. Aber eines Gesetzesvorbehalts. Nicht mal den hat man bisher gewahrt. Stattdessen war die Exekutive einfach zur Anordnung durch Verordnungen ermächtigt. Ohne Ermächtigungsgesetz. 

Dieser Mangel wird nun geheilt. Denn man hätte das „Gesetz zum Schutz bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auch einfach „Ermächtigungsgesetz“ nennen können. Dann hätten wir beschützten Staatsbürger das auch besser verstanden. Blöderweise war der Begriff schon durch ein entsprechendes Gesetz vom 24. März 1933 besetzt, das der deutsche Reichstag beschlossen hatte. Und im Zeitalter des Framings weiß man, dass Verständlichkeit nur unter der Nebenbedingung der „Political Correctness“ erlaubt ist. 

Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet

Das Gute daran: Sie können klagen. Wenn eine freundliche Abordnung der örtlichen Polizei vor ihrer Tür steht und mit Nachdruck nachfragt, wie vielen Hausständen die anwesenden drei Personen angehören, sind Sie in der Pflicht. Sonst fliegt mindestens einer raus, und wer ein veritables Bußgeld an der Backe hat, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Aber immerhin geht der Gesetzgeber und die uns wohlmeinende, fürsorgliche Bundesregierung davon aus, dass bereits eine von den drei in Ihrer Wohnung befindlichen Personen die nationale Gesundheitslage erheblich verschärfen könnte. Wir wissen nur nicht welche (Person).

Bei der Feststellung der epidemiologischen Lage von nationaler Tragweite wird von einer Gefährdung des Gesundheitssystems und erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten ausgegangen. Wie die quantitativ aussehen, ist dem deutschen Bundestag überlassen. 

In einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages heißt es:

„Der Beschluss des Deutschen Bundestages ist somit konstitutiv für die Rechtsfolgen der § 5 und § 5a IfSG. Außer dem Beschluss müssen keine weiteren Voraussetzungen erfüllt werden, um eine epidemische Lage annehmen zu können. Zwar können mittels der Gesetzgebungsmaterialien einige Ansatzpunkte zur Auslegung des Begriffs der epidemischen Lage ermittelt werden, diese binden jedoch den Gesetzgeber selbst nicht. Der Deutsche Bundestag ist mithin frei, (jeweils) eigene Kriterien für die Ausrufung der epidemischen Lage zugrunde zu legen. Die in § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG angesprochenen „Voraussetzungen für ihre Feststellung“ nach deren Wegfall die epidemische Lage aufzuheben wäre, sind nicht durch weitere Merkmale unterlegt. Der Beschluss des Bundestages ist also maßgebend, unabhängig davon, ob tatsächlich eine epidemische Lage angenommen werden kann. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass nach Art. 80 GG keine inhaltlichen Bedingungen an durch Gesetz geschaffene Rechtsverordnungskompetenzen geknüpft sind. Mit Art. 80 GG werden lediglich allgemeine verfassungsrechtliche Bedingungen, wie der Vorbehalt des Gesetzes oder der Bestimmtheitsgrundsatz aufgestellt. Wenn der Deutsche Bundestag die Rechtsverordnungskompetenz nach Art. 80 GG aber auch ohne jegliche Bedingungen, wie den Bestand einer epidemischen Lage, erlassen kann, dann sind erst recht keine inhaltlichen Voraussetzungen für die nähere Definition der selbst auferlegten Bedingung zwingend.“

Mit anderen Worten: Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Die Garantie der Grundrechte ist davon abhängig, dass die parlamentarische Mehrheit ihre Macht möglicherweise und subjektiv an die momentane Auslastung der Intensivbetten koppelt – oder auch nicht. Es wäre also möglich, aufgrund einer epidemiologischen Notlage von nationaler Tragweite etwa Bundestagswahlen wegen des erhöhten Infektionsrisikos auszusetzen. Dafür bleiben wir alle gesund. 

Der Bundestag kann faktenfrei entscheiden

Betrachten wir die momentane Lage, dann sind derzeit 216.326 Menschen auf das Virus positiv getestet. Das sind 0,26 Prozent der deutschen Bevölkerung. Am 5. November wurden 21.757 Menschen neu positiv getestet (Worldometer/John Hopkins). Das sind 0,03 Prozent. Das Intensivregister meldet am 6.11.2020 um 00.00 Uhr 2.669 Patienten auf Intensivstation, die positiv getestet sind. Acht Monate nach Beginn der Pandemie ist das Robert-Koch-Institut nicht in der Lage, mitzuteilen, wie viele dieser Menschen auf das Virus positiv getestet wurden und aufgrund einer anderen Erkrankung dort versorgt werden müssen und wieviele an Covid-19 erkrankt sind. Das sind 9 Prozent aller verfügbaren Intensivbetten und 12 Prozent der belegten Intensivbetten. 19 von 20 Patienten mit Symptomen werden nach Angabe der Bundesvereinigung der Kassenärzte vom Hausarzt versorgt, 5 Prozent der als infiziert geltenden Patienten werden hospitalisiert. Bei insgesamt 500.000 Krankenhausbetten waren das in der letzten Woche 2.998, also 63 mehr als in der Vorwoche. Sagt das RKI. Wenn 216.329 Menschen positiv auf Corona getestet sind, dann sind das 83,9 Millionen nicht. 

In der 36. Woche wurden 1 Millionen Menschen getestet, in der 44. Woche waren es fast 1,6 Millionen. Der Anteil positiver Tests wuchs von 0,74 Prozent (35. Woche) auf über 7 Prozent. Das kann aber auch schlicht an einer veränderten Teststrategie liegen. Da es keine ernsthafte systematische Studienlage gibt, weiß das keiner.

Das legt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit nahe. Doch so einfach ist das nicht. Die reine Sicht auf die Zahlen würde belegen: Für die Annahme einer nationalen Notlage gibt es keinen Anlass. Das braucht aber den Bundestag nicht zu interessieren. Der kann faktenfrei entscheiden. Bleibt die Hoffnung auf die Gerichte. Aber auch das ist nicht so einfach. Und der Richter hat immer zunächst zwei Kriterien im Auge, bevor er sich das Mühsal eines Urteils auferlegt: “Wurden alle Fristen eingehalten?” Und wenn das nicht reicht, “Bin ich überhaupt zuständig?”. 

Dass meine Grundrechte so schnell futsch sind, habe ich mir nicht vorstellen können 

Wenn die 3. Ausgabe des Gesetzes also das Problem gelöst hat, weitgehende Grundrechtseingriffe zu legitimieren, bleibt die Frage, ob diese angemessen und mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das zu prüfen, ist jede Instanz von Anfang an gehalten. Da deutsche Gerichte aber unabhängig sind, können sie sich aber auch wahlweise einen schlanken Fuß machen und die Sache zur nächsten Instanz durchwinken. 

Schließlich hat der Staat einen Ermessensspielraum. Der ist noch halbwegs justiziabel, weil er sich an den gesetzlichen Rahmen halten muss. Anders ist es mit dem Beurteilungsspielraum, der dem Staat zugestanden wird. Und da kommt plötzlich das Robert-Koch-Institut ins Spiel. In eine vermeintlich fachliche Beurteilung mögen sich deshalb die meisten Gerichte gar nicht einmischen, wenn die fachlich zuständige Behörde halbwegs plausibel vorträgt. Welche Mondzahl da hervorgezaubert wird, ob die 50er”-Inzidenz” oder der auf der Pi mal Daumen Formel basierende, geschätzte R-Faktor, ist egal. Wissenschaft findet eben in der Wissenschaft statt und nicht vor Gericht. Das macht den Ausfall des Diskurses so gefährlich. 

Ich muss sagen, das war mir nicht bewusst. Dass meine Grundrechte so schnell futsch sind, habe ich mir nicht vorstellen können. Aber zu dieser Einschätzung habe ich mir auch fundierten juristischen Rat eingeholt. 

Es wird Zeit, dass das Parlament dem Volk seine Bürgerrechte garantiert, statt sie weiter einzuschränken. Wir müssen reden. Auch über das Grundgesetz. 

 

Siehe zum gleichen Thema auch einen Beitrag von Achgut.com Autorin Vera Lengsfeld hier.

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Leserpost

netiquette:

Volker Kleinophorst / 06.11.2020

Auch in der DDR gab es Grundrechte. Man konnte ohne Grund verhaftetet werden.

Lutz Herzer / 06.11.2020

@Bryan Hayes; nur weil der Artikel 80 des GG vom Gesetzgeber missbräuchlich ausgelegt bzw. angewendet wird, muss das nicht gleich bedeuten, dass dieser Artikel als nichtig zu betrachten ist. Die Idealvorstellung einer vollständigen Gewaltenteilung dürfte ohnehin kaum umsetzbar sein, wenn es darum geht, einen gärigen Haufen von 83 Millionen Einwohnern zu regieren und darin Ordnung zu schaffen. Ein Staatsanwalt z.B. entscheidet darüber, ob er Anklage gegen einen (mutmaßlichen) Straftäter erhebt oder nicht und nimmt hierbei neben der Rolle des Strafverfolgers die Rolle eines Richters ein. Offiziell wird er jedoch in DE der Exekutive zugeordnet. Aber zurück zur missbräuchlichen Anwendung der Regelungen des Artikels 80 GG bei der Implementierung der Rechtsverordnungsermächtigungen des Gesundheitsministeriums in das Infektionsschutzgesetz im März dieses Jahres. Satz 2 des Artikel 80 GG lautet: “Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden.” Hier liegt der Fehler, der vom Gesetzgeber durch Unterlassen gemacht wurde. Von “Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes” und weiteren Ausnahmen ist die Rede, welche jedoch nicht im Ansatz definiert sind. Das hat zur Folge, dass der Gesundheitsminister verordnen kann, was ihm gerade in den Sinn kommt. Die Einschränkung von Grundrechten wird ihm gestattet, jedoch nicht beschränkt. Auf diese Weise werden die Schranken-Schranken-Regel und das Übermaßverbot verletzt. Welche Verfassungsrechtler wollten sich die Blöße geben und dies allen Ernstes bestreiten.

Karlheinz Patek / 06.11.2020

@Wolfgang Rentzsch. So wie viele hier, schätze ich. 47 Jahre, damit dürfte ihr Rentenanspruch einigermassen sein. Und die Rente wird überall hin gezahlt. Ein Bekannter ist vor kurzem nach Kuba übersiedelt. Dort ist er jetzt ein König. Wir haben unsere Schuldigkeit getan, die Netflix-Nachfolgegeneration soll von mir aus vor die Hunde gehen, solange die Renten gezahlt werden. Und vor den Rentnern haben sie Angst. Nicht ärgern.

Irmgard Grünberg / 06.11.2020

Im Bundestag wurde heute ein völlig legitimer und berechtigter Antrag einer Partei, die die Höhe der Kosten der “Flüchtlingsaufnahme” wissen wollte, von allen anderen Fraktionen abgelehnt,  mit der Begründung, wie man angesichts von christlicher Nächstenliebe und humanitären Geboten über Kosten reden könne, das allein mache den Antrag schon von vornherein unmoralisch. Wir erleben nun auch durch die Corona-“Hilfen” die Verabschiedung von Haushaltsrecht und volkswirtschaftlichen Grundbegriffen - allein durch sogenannte Moralvorstellungen. Es ist zu erwarten, dass diese auch in das neue Bundesgesetz einfließen werden. Der Föderalismus sollte uns vor der Macht Einzelner schützen, dass und wie wir uns vor ideologisierten Parlamentariern schützen können, darauf sind die “Mütter und Väter” des Grundgesetzes nicht gekommen. Mir macht das alles große Angst. Was können wir tun?

Kim Loewe / 06.11.2020

Lockdown nicht nur bis Mai, sondern für immer? Falls es mal an Pandemien mangelt, lässt sich sicher auch der normale Schnupfen zur Pandemie erklären, und schon sind die Grundrechte dauerhaft weg. Virologen, die anderes behaupten, kann man ja einfach entlassen. Viele Deutsche möchten ja gerne in einem islamischen Land leben, daher kommt ihnen die Abschaffung unserer Grundrechte sicher entgegen. Zumal dieses Gesetz wahrscheinlich in erster Linie für die hiesigen Türken und Araber gemacht ist, denn diese fallen immer wieder durch Renitenz auf. Ob diese wirklich die meisten Infizierten sind, wäre interessant zu wissen, wird aber sicher nicht veröffentlicht.

Thomas Schmied / 06.11.2020

@Hans-Peter Dollhopf Wie ich das sehe, kritisieren wir im Ergebnis das Gleiche. Die Regierung Merkel hat ein Interesse an politischer Zensur, das leicht nachvollziehbar ist. Sie gewinnt dadurch noch mehr Einfluss auf die Meinungsbildung ihrer Untertanen, als sie über GEZ-Funk eh schon ausüben kann. Das nennen sie dann noch “unabhängigen Journalismus” und rechtfertigen mit dieser angeblichen “Unabhängigkeit” ihre “Demokratieabgabe”, die man inzwischen auch als Propagandasteuer bezeichnen könnte. Leider. Möglich, dass Facebook und Co. auch eigene politische Interessen verfolgen. Die werben zwar mit ihrer Kostenfreiheit, sind unter Umständen aber auch nicht ganz so unabhängig und politisch neutral. Ein weites Feld.

M.Petridis / 06.11.2020

@ Block Thomas: es finden durchaus ständig Demos statt, nur medial werden Sie komplett totgeschwiegen, das demoralisiert völlig. Und werden sie mal nicht totgeschwiegen, dann werden die Teilnehmer doch wenigstens ordentlich diffamiert. Ich muss ein schlechter Mensch sein, denn in all dem Elend, welches hier gerade stattfindet, empfinde ich dennoch ein klein wenig Schadenfreude, denn mein Eindruck ist, dass die Gegner der Coronamaßnahmen zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem klassischen links-grünen Milieu entstammen und gerade am eigenen Leib erfahren müssen, wie schnell man heutzutage in der Schmuddelecke landen kann. Davon haben sicherlich Etliche in der jüngeren Vergangenheit selbst Menschen mit einer Meinung abseits des Mainstreams in die böse Ecke gestellt.

Karlheinz Patek / 06.11.2020

@Thomas Bigalke. Haben sie das von mir abgeschrieben? Siehe Leserbrief von mir, 4.11. ,Martin Heuser. “Es klingt nicht nur totalitär. Es ist totalitär.” Sie haben es aber nicht verstanden. Ist das Ergebnis positiv wird das Ergebnis verworfen, weil wertlos. Es werden mitnichten alle 5 Personen als pos. gezählt und sie müssen auch nicht zur Nachtestung geladen werden, die (Rückstell-)Proben von den Herrschaften sind noch vorhanden. Sie müssen jetzt lediglich einzeln analysiert werden und dann sind von den 5 nur DIE positiv die jetzt auch wirklich als positiv gemessen werden. In der Summe spart das Testkapazitäten weil weitaus die meisten Patienten negativ sind, d.h. in den meisten Fällen haben sie mit EINER Analyse 5 Patienten erledigt.

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